INT / Gender: Verbannung des „binären Geschlechtsverständnisses“ aus internationalem Recht
IEF, 08.11.2021 – Ein UN-Sonderberichterstatter kämpft für die offizielle Anerkennung der Gendertheorie in den Menschenrechten.
Wer einen Eindruck bekommen möchte, was auf internationalem Parkett in den Bereichen Gender bzw. Genderideologie derzeit diskutiert wird, der sei auf den jüngsten Bericht des UN-Sonderberichterstatters für den Schutz vor Gewalt und Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität (!) aufmerksam gemacht:
Ein Ende September der UN-Generalversammlung vorgestellter Bericht von Victor Madrigal-Borloz wirbt für eine progressive Auslegung der Menschenrechte, durch die die Gendertheorie ins internationale Recht integriert werden soll. Nach Meinung des UN-Sonderberichterstatters hätten die Mitgliedsstaaten demnach die Verpflichtung, sich jedem Widerstand gegen die Aufnahme der Gendertheorie in das Menschenrechtssystem entgegenzusetzen.
„Backlash“ gegen LGBT-Menschenrechte
Einen solchen Widerstand erblickt Madrigal-Borloz unter anderem in dem von ihm beobachteten „Backlash“ („Rückschlag) gegen die von LGBT-Personen errungenen Menschenrechten. Der „Backlash“ sei auf die Zunahme von ultrakonservativen Politikern und religiösen Gruppen zurückzuführen, die „Bigotterie fördern, Personen entmenschlichen … und Stigma und Intoleranz unter ihren Anhängern verbreiten“ und damit zu Gewalt gegen LGBT-Personen beitragen würden. Dabei handle es sich um akkordierte und gut finanzierte Strategien, die sich gegen die Anerkennung von progressiven Standards in den Menschenrechten bezüglich „Gender“-Gleichheit und Sexualität richten.
Katholische Kirche „verbreitet Anti-Gender-Narrative“
Eine der genannten religiösen Gruppen, die der UN-Sonderberichterstatter explizit an den Pranger stellt, ist die katholische Kirche selbst. Dabei kritisiert er die Doktrin des Vatikans, wonach Mann und Frau nicht gleich seien, sondern einander ergänzende, gesellschaftliche Rollen aufweisen würden. Missbilligend äußert sich Madrigal-Borloz auch über das Ehe- und Familienverständnis der katholischen Kirche, das gegen Menschenrechtstandards verstoßen würde, da es gleichgeschlechtliche Paare und Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen ausschließe.
Binäres Geschlechtssystem als Fundament patriarchaler und heteronormativer Konzepte
Anti-Gender-Narrative, wie die des Vatikans, würden auf dem Vorurteil basieren, wonach die menschliche Natur einem binären, männlich-weiblichen System entspringe, das auf dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht beruhen würde. Laut Madrigal-Borloz leite sich aus diesem Narrativ auch ein angebliches gesellschaftliches Ziel ab, alles exklusiv in „männliche“ oder „weibliche“ Sphären einordnen zu wollen, seien es gesellschaftliche Rollenbilder, Gefühle, Ausdrucksformen oder auch Verhaltensweisen. Das binäre Geschlechtssystem sei das Fundament patriarchaler und heteronormativer Konzepte, die die Ursache der meisten Ungerechtigkeiten, wie der Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen und LGBT-Personen, bilden würde.
Nein zu Frauensport, Elternrechten und Schutz von biologischen Frauen
Als typische Anti-Gender-Narrative werden unter anderem die Bestrebungen genannt, Trans-Frauen aus dem Frauen-Sport auszuschließen. Als nicht förderlich und unbegründet werden in dem Bericht zudem Bedenken gegenüber der Gefährdung von „Cis-Frauen“ durch das Öffnen von Gefängnissen, Umkleiden und sonstigen Schutzräumen für Trans-Frauen genannt. In ein negatives Licht werden Bemühungen gestellt, die darauf abzielen, Eltern mehr Mitspracherechte bei der Erziehung ihrer Kinder zu gewährleisten. Als Negativbeispiel beschreibt der Bericht unter anderem eine Kampagne aus Mexiko, die Schulen dazu verpflichten wollte, eine Einwilligung der Eltern vor der Ausgabe von Lernmaterialien über Sexualität und Gender an ihre Kinder einzuholen. Als „Backlash“ bezeichnet der Bericht außerdem das kürzlich erlassene ungarische LGBTIQ-Gesetz (das IEF hat berichtet), das im Schulunterricht die Behandlung unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten untersagt. Besorgniserregend sei für den UN-Sonderberichterstatter auch die Weigerung einiger europäischer Staaten, die Istanbul Konvention wegen des darin enthaltenen progressiven „Gender-Verständnisses“, zu ratifizieren (das IEF hat berichtet).
„Gender-Ideologie“ – eine Erfindung von Verschwörungstheoretikern
Als „Kampf-Vokabel“ gegen die progressive Auslegung und Anwendung der Menschenrechte bezeichnet Madrigal-Borloz in seinem Bericht den Begriff „Gender-Ideologie“. Dieser richte sich gegen von konservativen Kreisen als negativ empfundene Entwicklungen, wie etwa die Homo-Ehe, die Geschlechtsselbstbestimmung, die „umfassende Gender- und Sexualerziehung“ und die Abtreibung. Jene, die den Begriff verwenden, werden vom Sonderberichterstatter in eine Ecke mit Verschwörungstheoretikern, die in der „Gender-Ideologie“ eine Strategie zur Zerstörung der politischen und sozialen Ordnung sehen, gestellt.
Forderungen nach Kriminalisierung von Hassverbrechen und Hassrede aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität
Zuletzt stellt Madrigal-Borloz auch einige Forderungen in seinem Bericht auf. So sollen Staaten u.a. der Anstiftung zu Akten diskriminierender Gewalt und Hassverbrechen aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität durch geeignete Maßnahmen, Gesetze und Rechtsdurchsetzungsverfahren begegnen. Zudem sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um „Hassrede“ (hate speech) zu bekämpfen. Schließlich sollen Staaten Bestrebungen entschieden entgegentreten, die versuchen, den Begriff „Gender“ aus regionalen und internationalen Verträgen sowie anderen internationalen Rechtsinstrumenten zu verbannen.
Geschlechtsselbstbestimmung für Minderjährige
In einem ergänzenden, an den UN-Menschenrechtsrat gerichteten Bericht forderte der Sonderberichterstatter zudem, dass sich Staaten der Anerkennung des Rechts auf körperliche und psychische Unversehrtheit, Autonomie und Selbstbestimmung verpflichten. Sie sollen Verfahren zur Sammlung und Analyse von Daten über Fälle von mehrfachen und sich überschneidenden Diskriminierungen etablieren. Eine große Dringlichkeit misst Madrigal-Borloz zudem den Selbstbestimmungsrechten im Zusammenhang mit Geschlechtsidentität zu. Diese sollten auf freier Geschlechtsselbstbestimmung, einfachen unbürokratischen Verfahren, der Anerkennung von nicht-binären Geschlechtsidentitäten in ihrer ganzen Vielfalt und der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität von Minderjährigen basieren und an keine Voraussetzungen, wie etwa medizinische Gutachten, geknüpft werden. Zuletzt sollen auch Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich für die Rechte von Trans-, Nicht-binären- und Gender-nonconforming-Personen einsetzen und den Anliegen von LGBT- und intergeschlechtlichen Personen dienen, durch großzügige staatliche Finanzierung und sonstige Unterstützungen gefördert werden.
Ideologische Herangehensweise
Der Bericht sei gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch, stellt Mag. Antonia Holewik, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF) fest. Einerseits würde das vom Sonderberichterstatter geforderte, progressive Verständnis der Menschenrechte den im Internationalen Recht geltenden Interpretationsregeln, die eine primäre Ausrichtung am Wortlaut, Kontext und Ziel und Zweck des völkerrechtlichen Vertrages vorsehen, widersprechen. Holewik weist in dem Zusammenhang auch darauf hin, dass laut C-Fam, die UN-Generalversammlung den Begriff „Gender“, der Geschlecht als soziales Konstrukt versteht, nie anerkannt habe. Andererseits werde das Geschlecht im internationalen Hard Law gemäß dem geltenden Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs weiterhin als „weiblich“ oder „männlich“ definiert (das IEF hat berichtet). Eine vom Wortlaut und Kontext abweichende Interpretation des „Geschlechts“ würde damit gegen die vom Berichterstatter zitierte Wiener Vertragsrechtskonvention verstoßen, so die Juristin weiter.
Hinzu komme, dass viele der Bedenken gegenüber einer undifferenzierten Einführung neuer LGBT-Menschenrechte vom Sonderberichterstatter pauschal als unbegründet abgetan werden, kritisiert Holewik. Dabei würden sich Berichte über die Schwierigkeiten, die die Zulassung von Trans-Frauen im Frauensport (das IEF hat berichtet) und die die Öffnung von Gefängnissen für Transfrauen (das IEF hat berichtet) mit sich bringen, häufen. Dass der UN-Experte die Bedenken gegenüber der Frühsexualisierung von Kindern im Rahmen gewisser sexualpädagogischer Programme, der Einschränkung von Elternrechten und der experimentellen Behandlung von Kindern mit Pubertätsblockern (das IEF hat berichtet) ebenfalls als grundlos quittiert, spreche außerdem für eine ideologische und voreingenommene Herangehensweise des Berichterstatters und stelle den Bericht in ein sehr bedenkliches Licht, kommentiert Holewik abschließend.
Darüber wie private Akteure das UN-Sonderverfahren, zu dem auch das Mandat des UN-Sonderberichterstatters für den Schutz vor Gewalt und Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität gehört, für ihre Ziele missbrauchen, lesen Sie hier. (AH)