INT / Familie: Über den Wunsch, das Leben weiterzugeben
Susanne und Richard wohnen in Görlitz. Sie sind Mitte September zum ersten Mal Vater und Mutter eines kleinen Sohnes geworden. Mit ihnen reden wir über „Hoffnungsquellen“ im Familienalltag, über den Wunsch, das Leben weiterzugeben und über die Notwendigkeit, das Geschenk der Hoffnung mit anderen Familien zu teilen.
IEF: Hoffnung ist die zentrale Botschaft des bevorstehenden Heiligen Jahres. Was ist Hoffnung für euch?
SUSANNE: Ich sehe Hoffnung als etwas, was Gott schenkt, was die Beziehung zu ihm nährt und erleichtert und als etwas, was das Leben einfacher und „Sinn-voller“ macht. Ich würde aber auch sagen, dass Leute, die nicht gläubig sind, Hoffnung haben können. Das zeigt, dass Hoffnung etwas ist, wofür wir geschaffen sind. Wir sind in der Lage etwas zu erwarten, was über uns hinausgeht. Vielleicht kann man sagen, dass Hoffnung eine Art von „Ahnung“ ist, dass es etwas Besseres gibt, das uns erwartet.
RICHARD: Genau, ich denke, dass Hoffnung verschiedene Dimensionen hat: Ich hoffe, dass ich heute die Sachen erledigen kann, die ich mir vorgenommen habe, dass unser Sohn diesen Winter keine schlimme Erkältung bekommt, bis hin zur Hoffnung, dass ich irgendwann in den Himmel komme und Gott begegnen kann.
IEF: In wenigen Tagen beginnt offiziell das Heilige Jahr. Papst Franziskus schreibt in der Verkündigungsbulle des Jubiläums mit dem Titel „Spes non confundit“ („die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen“):
„Hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken, bedeutet auch eine begeisterte Lebenseinstellung zu haben, die es weiterzugeben gilt. Leider müssen wir mit Bedauern feststellen, dass es in vielen Situationen an einer solchen Sichtweise mangelt. Die erste Folge ist der Verlust des Wunsches, das Leben weiterzugeben. Aufgrund hektischer Lebensrhythmen, Zukunftsängste, fehlender Garantien für einen Arbeitsplatz und eine angemessene soziale Absicherung sowie aufgrund von Gesellschaftsmodellen, in denen statt der Pflege menschlicher Beziehungen das Streben nach Profit die Agenda bestimmt, erleben wir in verschiedenen Ländern einen besorgniserregenden Rückgang der Geburtenrate.“
Ihr seid vor kurzem Eltern geworden. Was hat euch die Hoffnung und gewissermaßen den Mut gegeben, zu heiraten und Vater beziehungsweise Mutter zu werden?
RICHARD: Wahrscheinlich war das bei mir eher eine verinnerlichte Hoffnung. Ich hatte nämlich nie Angst davor. Ich dachte immer, wenn ich eine Frau kennenlernen sollte, die ich liebe, dann würde ich gerne mit ihr eine Familie gründen und dieses Geschenk annehmen. Da steckt natürlich schon eine gewisse Hoffnung drinnen, die sich aus verschiedenen Quellen speist. Und zwar einerseits aus dem Wunsch, den Willen Gottes zu erfüllen. Konkret bedeutet das für mein Leben – als Ehemann und Vater – Teil Seines Schöpfungs- und Liebeswerkes zu werden. Es war natürlich auch die Hoffnung da, dass es tatsächlich schön ist, wenn der Kleine da ist. Ich denke, dass ganz wichtig für mich auch Vorbilder als Hoffnungsquelle waren. Ich habe fünf Geschwister. Wir sehen uns nicht immer, sind sehr unterschiedlich, aber wenn wir uns sehen, dann haben wir sozusagen „unsere kleine Welt“ und es ist immer sehr schön. Das habe ich meinen Eltern zu verdanken: Sie hatten auch den Mut, Vater und Mutter zu werden. Auch sind Susanne und ich beide gesund, wir haben stabile Verhältnisse… das sind sicherlich wichtige Aspekte, die Mut machen, ohne dass man es aktiv reflektiert. Da ist aber natürlich auch die Hoffnung drinnen, dass das in Zukunft so bleibt.
SUSANNE: Ich finde die Frage auch nicht einfach. Es war nie etwas, was mir besonders Angst gemacht hat, vielleicht aber auch, weil ich als Kind weder Krieg noch große finanzielle Krisen erlebt habe, Aspekte die Papst Franziskus zu Recht in dem Schreiben anspricht. Es war eher der Wunsch da, zu heiraten und die Hoffnung, dass wir das Geschenk bekommen, ein Kind zu bekommen. Das ist nämlich nichts, was man sich „dazu bucht“, wenn man heiratet. Jetzt wo wir das Kind haben, kommen ab und zu Sorgen, die davor nicht da waren. Beispielsweise die Sorge, dass den Kleinen etwas plagt … Es gibt so viele Dinge, die ich nicht in der Hand habe, die ich Gott hinlege und wo ich ihn bitte, dass er sie zum Guten führt. Das ist im Grunde nichts anderes, als der Hoffnung Ausdruck zu verleihen.
IEF: Du hast schon Sorgen angesprochen. Wo schöpft ihr in eurem Alltag Hoffnung, vor allem dann, wenn ihr vor Herausforderungen steht?
SUSANNE: Ich versuche die Dinge, die mich beschäftigen, Gott hinzulegen. Die Hoffnung kann nämlich Sorgen in Dankbarkeit verwandeln. Auch trägt mich die Überzeugung, dass uns unser Sohn geschenkt wurde. Wir glauben daran, dass er ein Kind Gottes ist, das uns anvertraut wurde. Deswegen denke ich mir: „Ok – Gott hat mir das zugetraut, Mutter zu werden! Und zwar, Mutter dieses Kindes und nicht eines anderen.“ Dieser Glaube lässt mich hoffen, dass Gott mir alles schenken will, was ich als Mutter brauche, damit der Kleine ein möglichst glücklicher, vitaler und hoffentlich auch gläubiger Mensch wird.
RICHARD: Ich finde den Punkt der „hektischen Lebensrhythmen“, den Papst Franziskus in der Bulle anspricht, extrem wichtig. Es ist wichtig, dieser Hektik entgegenzuwirken. Viele Probleme des Alltags sind gar nicht so dramatisch, wie sie oft wirken, wenn man gestresst ist. Man muss sie nur einordnen. Ich denke, Ordnung ist hier das Stichwort. Ich versuche in meinem persönlichen Leben ein Gleichgewicht von Körper, Geist und Seele zu haben. Ganz klar ist, wie Susanne meinte, dass das Gebet eine unglaubliche Kraftquelle ist, um Ruhe zu finden und Hoffnung zu schöpfen. Körper und Geist darf man aber auch nicht unterschätzen! Sport, wie auch die geistige Beschäftigung mit anderen, größeren Sachen als die eigenen Gedanken, können helfen, die eigenen Sorgen einzuordnen. In der Familie bedeutet „Ordnung“, dass Susanne und ich primär schauen, dass wir als Paar eine gute Beziehung haben, dass wir uns beispielsweise bemühen, den Ehepartner mit seinen persönlichen Wünschen wahrzunehmen. Das ist natürlich eine Herausforderung. Was auch extrem hilft, ist das Umfeld. Wir haben in unserem näheren Umfeld gläubige und nicht gläubige Familien, die ähnliche Herausforderungen haben und mit einer positiven Grundhaltung leben. Sie im Alltag zu sehen, macht es leichter, zuversichtlich zu bleiben.
SUSANNE: Genau, daher auch eine Empfehlung für alle, die vielleicht Respekt oder sogar Angst davor haben, eine Familie zu gründen: das Ambiente hat enorm Einfluss darauf, wie viel Hoffnung man hat!
IEF: Ihr habt beide das Thema Gebet als besondere „Hoffnungsquelle“ angesprochen – wie geht das Beten in der Familie – dazu noch mit frischgeborenem Baby?! Hat sich da für euch schon ein Weg herauskristallisiert?
SUSANNE: Auf Richards Vorschlag hin haben wir angefangen, abends gemeinsam ein Gesätz vom Rosenkranz zu beten, um den Arbeitsalltag von dem Rest des Tages zu trennen und mit einer guten Haltung in den Abend zu gehen. Der Rest, würde ich sagen, passiert unabhängig voneinander. Die letzten drei Monate habe ich versucht, die Aufmerksamkeit, die ich meinem Sohn schenke, mit ins Gebet zu nehmen, zum Beispiel bete ich gerne beim Stillen.
RICHARD: Ich muss sagen, dass mir die Entschleunigung, die wir zum Teil durch den Kleinen erleben – unter anderem, weil wir nicht mehr so oft weite Strecken fahren können, um am Wochenende Freunde zu besuchen – extrem in meinem Gebetsleben hilft. Auch haben wir das Glück, eine sehr gute und aktive Gemeinde in Görlitz zu haben. Das merkt man jetzt auch im Advent: Wir können gerade nicht fixe Gebetszeiten einplanen und sagen: „So, jetzt singen wir ein paar Adventlieder.“ Wir haben aber zum Beispiel in der Gemeinde eine Wanderikone (in Österreich „Herbergssuche“), die von Familie zu Familie wandert und hatten gestern eine kleine Andacht bei uns zuhause.
IEF: Interessant, dass du von „Entschleunigung“ sprichst, Richard. Es kursiert ja nämlich oft die Vorstellung, dass das Leben mit Kind nur noch komplizierter und hektischer wird.
RICHARD: Das ist das, was ich meinte mit dem „Ausbrechen aus den hektischen Lebensrhythmen“, um überhaupt den Wunsch zu entwickeln, das Leben weiterzugeben, wie Papst Franziskus schreibt. Ich denke, dass es in unserer Generation oft die Angst gibt, etwas zu verpassen. „Fear of Missing Out“ (FOMO) nennt man das, glaube ich. Das ist aber eine Versuchung von der man sich als Vater oder Mutter losmachen muss. Klar, gibt es Abendveranstaltungen, zu denen ich vielleicht nicht mehr einfach so hingehen kann. Aber ich habe keine Angst, etwas zu verpassen, denn das, was ich durch den Kleinen gewonnen habe, ist viel schöner als alles, was gerade nicht geht.
IEF: Wenn schon von „Schönheit“ die Rede ist: Wie könnt ihr als Familie ein Ort der Hoffnung sein? Und gleichzeitig, inwieweit sind andere Familien solche Orte für euch?
SUSANNE: Familien sind Orte der Heimat, der Wärme und der Geborgenheit oder zumindest ist das unser Ziel, dass unsere Familie so ein Ort wird. Das ist auch genau das, was jeder Mensch braucht, um zu gedeihen. Insofern können Familien Orte der Hoffnung sein. Es bedarf aber auch an Hoffnung, um so einen Ort schaffen zu können. Wie wir schon angesprochen haben, haben wir dank anderer Familien die Hoffnung entwickelt, um selbst diesen Weg einzuschlagen.
RICHARD: Ich denke, dass wir versuchen können, unser Leben auf Gott auszurichten, zu schauen, dass jeder von uns gesund ist, und zwar, wie vorhin angesprochen, sowohl seelisch als auch körperlich und geistig. Ich denke aber auch, dass wir uns bemühen sollten, offen über Herausforderungen zu reden und Hilfe anzunehmen, dabei gleichzeitig natürlich selbst zur Verfügung stehen und ein offenes Ohr für andere zu haben. (SM)