Fehlgeburt
Lesezeit: 3,9 Minuten

INT / Beratung: Fehlgeburt – für viele noch immer ein Tabuthema

IEF, 12.09.2022 – Die meisten Frauen erleben nach dem Verlust des Kindes Gefühle der Angst, Trauer, Schuld und einen Schock.

Hinzu kommt, dass ein Frühabort häufig mit einem Tabu belegt ist. Abwertende Kommentare, gemieden werden von anderen und ein Mangel an Mitgefühl sind häufige Erfahrungen. Die Betroffenen verlieren mit dem Verlust des Kindes oft auch an Sicherheit, Selbstbewusstsein und Vertrauen. „Weil das Thema stark mit Scheitern verbunden werde, hätten viele ein Gefühl des Alleingelassen-Werdens,“ berichtet Julia Böcker, Kulturwissenschaftlerin am Institut für Soziologie in Lüneburg.

Norman Brier und Carmen Bonanno beschreiben in ihrer Studie, dass diese Zeit von den betroffenen Frauen als sehr stressreich erlebt werde. Die Frauen würden auf körperlicher und psychischer Ebene reagieren. Sie trauerten um ihr Baby, erlebten Chaos und Verwirrung, hätten Gefühlsschwankungen und gesundheitliche Defizite. Oft seien sie auch in ihrem sozialen Umfeld und beruflichen Bereich sehr beeinträchtigt. Auch Hannah Lohtrop schreibt in ihrem Buch, dass sich Frauen nach einer Fehlgeburt mit ihrer Trauer und dem Verlusterleben alleine fühlen und denken würden, auf Unverständnis zu stoßen, da ihre Schwangerschaft dem Umfeld noch nicht bekannt war. Nicht selten würde der Tod eines nahen Angehörigen als persönliches Versagen wahrgenommen, da man nicht in der Lage gewesen sei, für einen positiven Ausgang zu sorgen. Kontrolle und Beherrschbarkeit, die in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert haben, ließen Schwäche und Versagen nicht zu. „Daraus resultiert, dass der Trend dahin geht, Verluste geheim zu halten,“ so das Fazit von Pauline Boss in einer weiteren Studie zum Thema.

Wenige Studien über die Häufigkeit von Fehlgeburten

Es gibt wenige Studien, welche eine zuverlässige Aussage über die Häufigkeit aller Fehlgeburten geben könnten. Heike Wolter beschreibt in ihrem Buch, dass in Deutschland 10 bis 20 Prozent der diagnostizierten Schwangerschaften zu einem Spontanabortführen würden. Sie führt weiters aus, dass ältere Frauen häufiger eine Fehlgeburt erleiden. Am größten sei das Risiko bis zur 12. Schwangerschaftswoche, deshalb würden viele Eltern erst einmal für sich behalten, dass sie ein Kind erwarten. Die Ergebnisse der Untersuchung von Julia Frost, Harriet Bradley und Ruth Levitas zeigen eine Vielzahl der Teilnehmerinnen wisse kaum über die Häufigkeit einer Fehlgeburt Bescheid. Für diese Frauen würde mit ihrer eigenen Fehlgeburt erst bekannt, dass bereits einige ihrer Freunde und Familienangehörigen selbst eine Fehlgeburt erlebt haben. Viele Frauen würden berichten, dass nur wenige Frauen zu finden seien, die ihre Erfahrungen teilen wollten.

Großer Bedarf an Unterstützungsangeboten

Die Erfahrung zeigt, dass es nach einer Fehlgeburt oft optimal wäre, wenn Personen aus dem sozialen Umfeld Schutz und Geborgenheit vermitteln. Durch Gespräche sollte dieser Bedarf geklärt werden. Besonders schwierig ist die Situation, weil der Verlust „unsichtbar“ bleibt und somit häufig die Unterstützung durch Gespräche fehlt.  Lina Nadia Abboud und Pranee Liamputtong kritisieren in ihrer Studie, dass es nach einer Fehlgeburt nur wenige anerkannte Rituale und Riten gebe. Viele Menschen würden „Bilder“ und „Erinnerungen“ brauchen, um sich von ihren Geliebten verabschieden und sie loslassen zu können. Fehle es jedoch an der toten Person (Fehlgeburt), sei das „gute Abschiednehmen“ besonders wichtig. Ein erst 2013 eingeführtes Gesetz regelt, dass Fehlgeburten auch standesamtlich eingetragen werden können. Betroffene dürften ihr totes Baby inzwischen begraben, sogar im eigenen Garten. In Geburtskliniken würden sie gesammelt und meistens in einem Sammelgrab beerdigt werden. Es gäbe zwar kein Baby, das man in den Arm nehmen könnte und auch keine Fotos, aber die Möglichkeit, dem Kind einen Namen zu geben, eine Trauerfeier abzuhalten oder Erinnerungsstücke aus dem Krankenhaus aufzubewahren.

Detlev Hecking und Clara Moser beschreiben, dass nicht alle Mütter nach dem Verlust ihres Babys einen Gottesdienst oder einen religiösen Ritus wünschen. Manchmal reiche das Angebot einer „Seelsorge“, die der betroffenen Frau Zeit und Raum schaffe, sich der religiösen Ressourcen bewusst zu werden.

Keine Scheu, Beratung in Anspruch zu nehmen 

Als Leiterin des Beratungsteams am IEF ermutige ich alle betroffenen Frauen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Einfühlsame Beratung und empathische Gesprächsmöglichkeiten tragen häufig dafür Sorge, dass sich die Mutter in ihrer Situation nicht alleine fühlt. Außerdem kann es der Frau helfen, nicht nur ihre „greifbaren“ Erinnerungsstücke, sondern auch ihre innere Erinnerung wahrzunehmen. Das Kind kann dadurch nochmals „Gestalt annehmen“. Der IEF- Beratungsdienst bietet hierprofessionelle und kostenfreie Krisenberatung in methodisch geführten, persönlichen Gesprächen. Sie erreichen uns unter dem IEF-Krisentelefon 01/34 84 777, mittels Videotelefonie sowie per E-Mail unter beratung@ief.at oder finden mittels moderner Onlineberatungs-Tools http://www.ief.at/onlineberatung kostenfreie Soforthilfe. (BS)

Diesen Artikel teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Nach oben