Sterbenden begegnen - junge Hand hält alte Hand
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AT / Lebensende: Bericht über IMABE-Symposium „Dem Sterbenden begegnen“

IEF, 14.11.2017 – 300 Interessierte nahmen am Symposium „Dem Sterbenden begegnen – Herausforderungen an Medizin und Pflege“ im Raiffeisen Forum Wien teil, das am 10.11.2017 vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) veranstaltet wurde. Hochkarätige Referenten aus verschiedenen Fachbereichen beleuchteten das Tabuthema Sterben und Tod und boten Antwortversuche auf Fragen wie etwa nach den Bedürfnissen der Sterbenden und deren Begleitern, Notwendigkeiten des organisationalen Rahmens und ethischen Konflikten im Bereich der palliativen Sedierung. Ein roter Faden zog sich durch alle Vorträge: Humane Sterbebegleitung im medizinischen Hochleistungsbetrieb ist unverzichtbar.

Jungendwahn und Sterbeangst versus Annahme des Sterbens und Fürsorge der Gemeinschaft

Den Einstieg in die Thematik bot Ao. Univ.-Prof. Dr. Franz Kolland von der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität Wien, mit einem geschichtlichen Überblick über die Kultur und Wahrnehmung des Sterbens. Während der Tod früher als spirituelle Phase betrachtet wurde, in der der Priester die erste Ansprechperson war, gelte der Tod heute als „natürlicher Vorgang“, bei dem der Arzt die Kontrolle hätte und der Tod infolgedessen ein Scheitern der Medizin bedeute. Das wiederum führe zu einer „Gerontophobie bei Ärzten“. Bei der zunehmend alternden Gesellschaft – Prognosen zufolge werden in Österreich 2075 mehr al 1,2 Mio. hochaltrige Personen (80+) leben – sei ein Jugendwahn festzustellen, der mit einer Sterbeangst einhergehe. „Die Gebrechlichkeit des Sterbens, die die Fürsorge der anderen hervorruft, gehört zur Anthropologie des Menschen“, setzte Kolland dem gesellschaftlichen Mainstream jedoch entgegen und betonte die Relevanz einer Verantwortungsbeziehung zwischen Alterndem/Sterbenden und seinem Umfeld.

Begegnung mit dem Sterbenden: Auseinandersetzen mit der eigenen Endlichkeit

Die Beziehung zwischen Sterbenden und Pflegenden/Betreuenden stand im Mittelpunkt des Referats von Univ.-Prof. Dr. Martin W. Schnell, Lehrstuhlinhaber für Sozialphilosophie und Ethik an der Universität Witten/Herdecke in Deutschland, in dem er Ansätze zur Überbrückung der Asymmetrie zwischen Arzt und Sterbenden (auch bezeichnet als „Diversität“) herausarbeitete. Der Arzt und der Sterbende bewegten sich in verschiedenen Bedeutungswelten. Während der eine sich unmittelbar mit dem eigenen bevorstehenden Tod auseinandersetze, stehe der andere weiterhin im Leben und der Tod sei für ihn weit entfernt. Das erschwere die Kommunikation, da diese immer eine gemeinsame Bedeutungswelt voraussetze. „Voraussetzung für die Begegnung mit dem Sterbenden ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit: ‚ich sterbe‘“, erklärt Schnell. Die Unterstellung einer gemeinsamen Kontinuität durch Aussagen wie etwa „Es wird ein schöner Frühling“ oder „Wir freuen uns auf den Urlaub“ sei für Patienten schwer zu verzeihen, betont der deutsche Professor, der in verschiedenen Projekten die Bedürfnisse und das Kommunikationsverhalten von Sterbenden und deren Angehörigen untersucht hat (nachzulesen und nachzuschauen unter www.30gedankenzumtod.de und http://30jungemenschen.de/).

Aktive Sterbehilfe ist ein Verbrechen

Univ.-Prof. Dr. Günther Gastl, Onkologe und Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck, setzte sich anschließend mit der „Kunst des Sterbenlassens“ auseinander. Sterbenlassen sei „ein Teil der ars medici“, was eine zunehmende Ökonomisierung und Rationalisierung der Ressourcen allerdings erschwere. Der Tod als eine Phase, zu der auch die Trauerarbeit gehöre, sei Bestandteil der Palliativmedizin, erklärte Gastl. Eine Hauptaufgabe der Palliativmedizin sei „der Gewinn von lebenswertem Leben auch in der Phase des Sterbens“ durch die Behandlung physischer, psychischer und spiritueller Probleme. Dazu sei ein multiprofessionelles Team bestehend aus Ärzten, Pflegern, Seelsorgern und Sozialarbeitern nötig. Der Onkologe betont: „Die Behandlung von physischem Schmerz ist sehr gut möglich. Schwieriger wird es bei der psychischen Dimension.“ Es sei  problematisch, wenn das Sterben und der Tod von der säkularen Gesellschaft in den Hintergrund gerückt würden, während der „Perfektionismus der Medizin floriert“, so Gastl. Die Medizin hätte aber auch Grenzen, sie könne und dürfe nicht alles. An dieser Stelle positionierte sich der Innsbrucker ganz klar gegen aktive Sterbehilfe, die „ein Verbrechen ist und dem ärztlichen Ethos wiederspricht. Die Geschichte macht uns Euthanasie gegenüber  besonders sensibel.“

Qualitätsorientiertes Sterben als Ersatz für metaphysische Obdachlosigkeit

Nach den wissenschaftlich fundierten, teils humoristisch verpackten Inhalten der Vorredner, mischte der ehemalige protestantische Pastor und Univ.-Prof. DDr. Reimer Gronemeyer vom Institut für Soziologie der deutschen Justus-Liebig-Universität in Gießen, das Auditorium, das mehrheitlich aus Fachkräften aus dem Pflegebereich bestand, merklich auf. Gronemeyer gab zu Bedenken, dass die „Kunst des Sterbens“ immer mehr zu einem „Projekt des Sterbens“ werde. „Das Palliativprojekt ist ein Projekt der Jüngeren, um das Sterben zu organisieren und Chaos zu vermeiden“, so Gronemeyer. Zum qualitätskontrollierten Projekt des Sterbens gehöre dann auch so etwas wie Spiritualität dazu – sobald aber die Spiritualität Teil des „Sterbeprojekts“ werde, werde „die Tiefe der wichtigsten Fragen zuschanden gemacht“. Gronemeyer beklagte, dass „die weibliche Hospizbewegung“ zunehmend in Konkurrenz steht zu einer „männliche Palliativmedizin“, obwohl die Ehrenamtlichen die Quelle der Spiritualität seien. Jeder Mensch könne Anderen beim Sterben beistehen, dazu brauche es keine Maschinerie von Fortbildungspunkten. „Das qualitätsorientierte Sterben ist ein Ersatz für die metaphysische Obdachlosigkeit“, formulierte Gronemeyer provokant und plädierte für eine „Entprofessionalisierung des Sterbens, um als Menschen füreinander da zu sein“.

Palliative Sedierung nicht ohne Indikation

Über ethische Konflikte im Bereich der „palliativen Sedierung“ referierte Dr. Dietmar Weixler, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin am Landesklinikum Horn-Allentsteig. In bestimmten Fällen könne die herbeigeführte Bewusstseinsdämpfung als Bekämpfung von Symptomen ethisch gerechtfertigt werden, erläuterte Weixler. Jede Therapie brauche allerdings eine Indikation, die beschrieben werden müsse, weshalb es dem Anästhesisten wichtig sei, von „Sedierungstherapie“ zu sprechen. Das Ziel sei die Symptomlinderung durch Bewusstseinsdämpfung, nicht die Bewusstseinsdämpfung an sich, betont Weixler. Er halte es für problematisch, dass bei über 30 % der pharmakologisch sedierten Patienten als Indikation „psycho-emotionaler Distress“ angegeben werde und verwies auf eine japanische Studie, die zeigte, dass palliative Sedierung häufiger durchgeführt werde, wenn es einen Mangel an psychischer und seelsorgerischer Betreuung gebe. Weixler zeigte anhand der Österreichischen Leitlinien zur Palliativen Sedierungstherapie (PST), wie sich eine ausufernde „Sedierungskultur am Lebensende“ durch klare Vorgaben vermeiden lassen könne.

Zu Hause sterben ist Wunsch der Gesunden

Hilde Kössler MMsc, 2. Vizepräsidentin der Österreichischen Palliativgesellschaft und Koordinatorin eines Mobilen Hospizteams, erläuterte, dass 80 % der Österreicher unter „gutem Sterben“ das Sterben zu Hause verstehen. 2015 seien österreichweit aber nur 26 % der Menschen an ihrem Wohnort verstorben, in städtischen Bereichen sank der Prozentsatz bei Tumorerkrankungen sogar auf knapp elf Prozent. Den Wunsch, zu Hause zu sterben, äußerten aber Gesunde, relativierte Kössler die Zahlen. Palliativpatienten hingegen wollten dort sterben, wo sie sich sicher fühlten. Das bestätigte auch die Sozialphilosophin und Ethikerin Irena Schreyer, MScN, die eine Studie präsentierte, wie häusliche Palliativsituationen durch Angehörige stabilisiert werden können. Kössler und Schreyer waren sich einig, dass auch Hausärzte, Hauskrankenpflege, 24-Stunden-Betreuerinnen und Ehrenamtliche Unterstützung bräuchten, „um einen Menschen sterben zu lassen, ohne in einen Kontroll- und Absicherungswahn zu verfallen“. Angelika Feichtner MSc, Dozentin für Palliativpflege, zeigte deutlich auf, dass der Verlust von Appetit und Durst am Lebensende etwas Natürliches sei, das zu respektieren sei. „Menschen sterben nicht, weil sie nicht essen und trinken, sondern sie essen und trinken nicht, weil sie sterben“, betonte Feichtner, die sich gegen einen therapeutischen Übereifer am Lebensende wandte.

Zur Veranstaltung „Dem Sterbenden begegnen“ wird es zwei Tagungsbände geben, die unter postbox@imabe.org oder www.imabe.org bestellt werden können.

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