AT / Lebensende: Im Sterben begleiten oder zum Tod verhelfen?
IEF, 25.06.2020 – „Kreuz und Quer“ lässt in einer Doku über die ethische Debatte um „Sterbehilfe“ verschiedene Experten und Betroffene zu Wort kommen.
Der österreichische Verfassungsgerichtshof berät gerade über Anträge zur Aufhebung des Verbots der Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB) und Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB). Das IEF hat dazu berichtet. Das mediale Interesse an diesem höchst brisanten Thema hält sich jedoch in Grenzen. Die „Kreuz und Quer“ Sendung bildete hier eine erwähnenswerte Ausnahme.
Beinhaltet ein Recht auf Leben auch ein Recht auf den Tod?
„Ein Recht auf den Tod?“ – so der Titel der im ORF 2 am 16.06. ausgestrahlten Dokumentation von Peter Beringer, der Mediziner, Juristen, Theologen, Ethiker und Betroffene bezüglich ihrer Einstellung zur „Sterbehilfe“ und ihren Erfahrungen mit sterbenden und schwer kranken Personen befragte. Unter den interviewten Experten fanden sich unter anderem Dr. Stephanie Merckens, Juristin und Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF), der Moraltheologe und Mediziner, DDr. Matthias Beck, der Palliativmediziner Univ. Prof. Dr. Herbert Watzke, der Rechtsanwalt Dr. Wolfram Proksch und der Abtreibungsarzt Dr. Christian Fiala. Eingebettet wurden die Expertenmeinungen in die persönlichen Erfahrungen einer an Multipler Sklerose erkrankten Frau.
Die Autonomie am Lebensende ist ein fragiles Pflänzchen
Merckens geht in der Doku auf das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts ein, das erst im Februar das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe als verfassungswidrig aufhob. Das IEF hat berichtet. Das Gericht habe mit dieser Entscheidung festgestellt, dass es ein Recht gibt, die Hilfe eines anderen beim Suizid in Anspruch zu nehmen, wobei dieser auch Geld dafür verlangen darf. Ist Suizidbeihilfe einmal legalisiert, gäbe es gemäß dem deutschen Höchstgericht keine Möglichkeit sie an irgendwelche materiellen Bedingungen, sei es eine unheilbare Krankheit, unerträgliche Schmerzen oder ähnliches, zu knüpfen. Man dürfe auch nicht glauben, dass sich durch die Legalisierung der „Sterbehilfe“ Suizidzahlen beschränken ließen. Überall dort wo Suizidbeihilfe legalisiert wird, gingen die Zahlen unweigerlich in die Höhe, gibt Merckens abschließend zu bedenken.
Für Beck stellen klare Regeln, wie etwa das Verbot der „Sterbehilfe“ eine Entlastung für Ärzte dar, die so nicht in Versuchung geführt werden, um sich von Angehörigen unter Druck setzten zu lassen und jemandem Sterbehilfe zu leisten.
Watzke geht vor allem auf die Geschäftemacherei mit der „Sterbehilfe“ in der Schweiz und insbesondere den Niederlanden ein und betont das fragile Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein. Der Arzt sei eine Vertrauensperson und könne als solche die Möglichkeiten vorgeben. Der Patient wäre in dieser Situation dem Arzt weitgehend ausgeliefert und würde auch nicht selten nachgeben, wenn der Arzt meint, sein Leben wäre nicht mehr lebenswert. Die Autonomie am Lebensende sei damit ein Trugbild, zumal Menschen in einer Situation in der sie nicht wissen, wie ihr Leben weitergehen wird, für jedwede Beeinflussung sehr empfänglich seien.
Babyboomer fordern Selbstbestimmung
Als Befürworter der „Sterbehilfe“ treten unter anderem Proksch und Fiala auf. Proksch beklagt einerseits, dass in Österreich jede Form der Tötung auf Verlangen, die Beihilfe zum Suizid und sogar das Mitreisen mit einem sterbewilligen Angehörigen beispielsweis in die Schweiz unter Strafe gestellt ist.
Fiala andererseits meldet sich in der Doku als Vertreter der Babyboomer Generation zu Wort, die als erste Generation ein selbstbestimmtes Leben von Anfang gehabt hätte und sich diese vermeintliche Selbstbestimmung auch nicht am Lebensende nehmen lassen würde. Menschen würden im klinischen Alltag immer wieder sagen: „Ich mag nicht mehr“. Diese Feststellung falle üblicherweise nicht leichtfertig und ihr gehe eine lange Überlegungsphase voraus, so Fiala. Die Menschen würden sich in solchen Fällen wünschen, in ihrem Todesverlangen respektiert zu werden.
Die „Sterbehilfe“-Player
Fiala und Proksch sind beide Mitglieder des Beirats der „Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende“ (ÖGHL), die sich für „eine Kultur des humanen Sterbens in Österreich und die gesellschaftliche, politische und legale Durchsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung am Lebensende, insbesondere die Entkriminalisierung der Sterbehilfe“ einsetzt. Wie diese und andere „Sterbehilfe“-Player in Österreich vernetzt sind und welche Vereine, Personen und Themen sie verbinden, hat das IEF im Politblog-Beitrag vom 18.03.2020 thematisiert.
ÖGHL-Petition auf Legalisierung der Sterbehilfe in Österreich
Die ÖGHL hat auch zusammen mit dem Initiator der Online-Petition „Recht auf Sterbehilfe“, Wolfgang Obermüller, anlässlich der vom Verfassungsgerichtshof erwarteten Entscheidung bzgl. den oben genannten Anträge auf Legalisierung der „Sterbehilfe“ in Österreich auch eine Petition im Nationalrat eingebracht. Darin wird das Parlament aufgefordert, die „Entkriminalisierung von Sterbehilfe zu diskutieren und gesetzgeberisch umzusetzen“. (AH)