IEF-Stellungnahme: Rückmeldung zur Initiative der EU-Kommission „Grenzüberschreitende familiäre Situationen – Anerkennung der Elternschaft“
IEF, 09.02.2023 – Das IEF spricht sich gegen die Initiative aus, da sie das Kindeswohl gefährdet, die Menschenrechte von Frauen verletzt und gesetzlichen Regelungen einzelner Mitgliedstaaten entgegensteht.
Das Institut für Ehe und Familie (IEF) ist eine Einrichtung der Österreichischen Bischofskonferenz und engagiert sich seit vielen Jahren im Bereich Familienberatung und Familienpolitik. Das Wohlergehen von Familien ist uns ein besonderes Anliegen, weshalb wir alle Initiativen, die Familien stärken und entlasten, grundsätzlich begrüßen. Allerdings muss bei allen Regulierungsvorhaben das Kindeswohl und die Menschenrechte aller Betroffenen, wie auch die Regulierungskompetenz der Mitgliedstaaten gewahrt bleiben und Berücksichtigung finden. Diese Kriterien sehen wir im Falle des Vorschlags der EU-Kommission für eine Verordnung des Rates zur grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft zwischen den Mitgliedstaaten und der Schaffung eines europäischen Elternschaftszertifikats (COM(2022) 695) vom 7. Dezember 2022 als nicht gegeben beziehungswiese als nicht gehörig berücksichtigt an.
Das IEF hat bereits eine Stellungnahme während der öffentlichen Konsultation der EU-Kommission am 10.05.2021 im Zusammenhang mit der Initiative „Grenzüberschreitende familiäre Situationen – Anerkennung der Elternschaft“ eingebracht, auf die, ergänzend zu den hier ausgeführten Punkten, verwiesen wird.
Förderung der Leihmutterschaft durch EU-Verordnung
Wie die EU-Kommission in ihrem Vorschlag darlegt, kann die unterschiedliche Anerkennung der Elternschaft zur Erschwernis der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU führen. Es ist daher nachvollziehbar, dass man nach Lösungen sucht, um die Anerkennung aller in einem EU-Mitgliedstaat festgestellten Formen der Elternschaft – neben der biologischen und Adoptionselternschaft auch jene durch Rechtsakt – EU-weit durchzusetzen. Doch gerade die Elternschaft durch Rechtsakt führt häufig zur De-facto-Anerkennung von Praktiken, wie etwa jener der Leihmutterschaft, die von einzelnen Mitgliedstaaten bewusst abgelehnt werden, weil sie unter anderem das Kindeswohl gefährden.
Gefährdung des Kindeswohls
Im Vorschlag der EU-Kommission wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die Verordnung über die Anerkennung der Elternschaft vor allem auf das Wohl und die Rechte des Kindes abzielt. Sie soll Grundrechte von Kindern, einschließlich ihres Rechts auf Identität, Nichtdiskriminierung und auf Privat- und Familienleben schützen. Der Vorschlag nimmt zudem mehrfach, wenn auch selektiv, auf die UN-Kinderrechtskonvention Bezug. Selektiv, da gewisse Aspekte des Kindeswohls ausgeklammert werden. So heißt es in der UN-Kinderrechtskonvention, dass jedes Kind das Recht hat, seine biologischen Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden. Die Konvention verbietet zudem den Verkauf von und Handel mit Kindern. Gegen beide Vorschriften wird im Falle von Leihmutterschaft verstoßen. Die geplante Verordnung würde die Inanspruchnahme dieser Reproduktionspraxis jedoch durch die automatische Anerkennung der Elternschaft in der ganzen EU erleichtern und fördern.
Die Behandlung des Kindes als Vertragsgegenstand im Rahmen von Leihmutterschaftsverträgen verstößt gegen dessen Würde und kann aufgrund mangelnder Überprüfung der Eignung der Auftraggeber, manchmal auch seine physische Integrität gefährden. Außerdem wird das Kind durch Leihmutterschaftsverträge bewusst einer gespaltenen Elternschaft ausgesetzt, bei der es neben den gesetzlichen Vertretern noch weitere genetische und biologische Elternteile gibt, die die Bestelleltern zumeist nicht in ihre Familie integrieren wollen. Dabei zeigt die Erfahrung von Spenderkindern (siehe Verein Spenderkinder), dass Kinder früher oder später die genetischen beziehungsweise biologischen Eltern kennenlernen möchten. Aus dem Adoptionsbereich ist zudem bekannt, dass Kinder trotz gutem Verhältnis zu ihren rechtlichen Eltern eine emotionale Bindung zu den leiblichen Eltern aufbauen können – auch bei mangelndem Kontakt zu diesen. Außerdem können Kinder das Desinteresse der genetischen und biologischen Eltern, wie beispielsweise einer Eizellspenderin oder der Leihmutter, als verletzend empfinden.
Verstoß gegen Menschenrechte
Es gibt kein internationales Recht auf Familiengründung und der Kinderwunsch, so edel er auch sein mag, darf nicht auf Kosten der Rechte anderer Menschen verwirklicht werden. Die automatische und grenzüberschreitende Anerkennung der Elternschaft aus Leihmutterschaftsvereinbarungen würde die Missachtung von Menschenrechten, wie sie etwa in der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen verankert sind, nach sich ziehen. Darauf weisen unter anderem der Bericht der UN-Sonderberichterstatterin betreffend Kinderhandel und Kinderprostitution und der EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt hin.
Ausbeutung und Missachtung der Menschenrechte von Frauen
Leihmutterschaft verstößt nicht nur gegen das Wohl und die Würde von Kindern, sondern degradiert außerdem Frauen zu Objekten, zumal Leihmutterschaftsverträge oft sklavenähnliche Bedingungen für Leihmütter enthalten. Diese müssen sich beispielsweise von Anfang an dazu verpflichten, das Kind, das sie austragen und zur Welt bringen, abzugeben und auf alle ihre Rechte, die sich aus ihrer Mutterschaft ergeben, zu verzichten. Ferner sind sie gesundheitsgefährdenden medizinischen Behandlungen ausgesetzt, die auch ein Risiko für spätere Schwangerschaften mit sich bringen. Auf Wunsch der Besteller können sie dazu angehalten werden, einer Abtreibung oder Mehrlingsreduktion zuzustimmen und müssen das Kind meist per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Die Besteller können außerdem über die Lebensgewohnheiten der Leihmutter entscheiden und darüber bestimmen, was sie isst oder trinkt. Auch die Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit der Schwangeren wird mit fortschreitender Schwangerschaft immer stärker eingeschränkt. Schließlich liegt es immer wieder im Ermessen der Auftraggeber, ob die Leihmutter im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung, am Leben bleiben soll oder nicht. Damit wird die Leihmutter zu einem Instrument zu Diensten der intendierten Eltern und eine reine Trägerin der Schwangerschaft.
Wenn man sich diese unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen vor Augen führt, wird ersichtlich, dass Leihmutterschaft meist die wirtschaftliche Notlage und sozial prekäre Situation von Frauen ausnützt. Besondere Schuld trifft dabei Vermittlungsagenturen, die unter dem Vorwand der Kinderwunscherfüllung aus der Not der Frauen und der intendierten Eltern Profit schlagen.
Missachtung der Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten
Die EU-Kommission beruft sich in ihrem Regulierungsvorschlag auf die EU-Kompetenz zur Regelung der Freizügigkeit von Personen innerhalb der EU. Nach der Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten fällt das Familienrecht inklusive des Personenstandsrechts allerdings in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Länder. Laut dem Verordnungsvorschlag der EU-Kommission soll die Feststellung der Elternschaft in einem rein nationalen Kontext auch nach Umsetzung der „Verordnung des Rates zur grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft zwischen den Mitgliedstaaten und der Schaffung eines europäischen Elternschaftszertifikats“ weiterhin ausschließlich durch nationales Recht der Mitgliedstaaten geregelt werden.
Im Moment gibt es innerhalb der EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtsvorschriften in Bezug auf Familiengründung und Elternschaft. Uneinigkeit bzw. Schwierigkeiten bei der gegenseitigen Anerkennung von Elternschaft besteht vor allem in Bezug auf Kinder, die von homosexuellen Paaren adoptiert wurden und jenen, die aus Leihmutterschaft stammen. Sollten in einem EU-Land in Zukunft mehr als zwei Personen als rechtliche Elternteile zugelassen werden, wie das etwa in Deutschland diskutiert wird, müssten auch diese Familienkonstellationen bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts EU-weit anerkannt werden.
Trotz der Zusicherung seitens der EU-Kommission nicht in die familien- und personenstandsrechtlichen Angelegenheiten der Mitgliedstaaten eigreifen zu wollen, ist zu befürchten, dass die vorgeschlagene Verordnung die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Ländern ungehörig aushöhlen wird. Schließlich drängt sie die im Bereich des Familienrechts liberalste Gesetzgebung in der EU allen anderen Mitgliedstaaten auf.
Wir sprechen uns daher gegen eine EU-Verordnung zur automatischen grenzüberschreitendenden Anerkennung der Elternschaft zwischen den Mitgliedstaaten und zur Schaffung eines europäischen Elternschaftszertifikats aus, da eine solche Verordnung im Widerspruch zu den familien- und personenstandsrechtlichen Vorschriften einzelner Mitgliedstaaten steht, das Kindeswohl gefährdet und die Menschenrechte von Frauen verletzt.