IEF-Kommentar: Ist das Modell „Vater-Mutter-Kind“ veraltet?
IEF, 13.03.2023 – Warum Familienstrukturen nicht irrelevant sind und Vollzeiterwerbstätigkeit kein Maß für Selbstbestimmung ist.
Ein Kommentar von Teresa Suttner-Gatterburg
Anlässlich des Weltfrauentages am 8. März veröffentlichte der ORF einen Artikel mit dem Titel „Kinder, Küche, Kabinett – Konzept von Kernfamilie als ‚Korsett‘“. Eine ORF-Redakteurin interviewte Ulrike Zartler, Professorin für Familiensoziologie an der Universität Wien, die unter anderem zu der Frage forscht, wie Familienbilder und Frauenrollen von Normen geprägt werden. Das Resümee des Artikels lautete: Wie eine Frau zu sein habe, welche Rollen sie im Laufe ihres Lebens einnehmen solle und wie sie diese am besten ausfülle, sei immer noch stark von gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt – vor allem wenn es um das Thema Mutterschaft und Beruf gehe. Laut Zartler seien Familienbilder in Österreich nach wie vor stark traditionell verhaftet, obwohl „eng geschnürte Familienkonzepte aber längst nichts mehr mit der Realität“ zu tun hätten. Sie plädiere daher dafür, sich von vorgegebenen Normen zu befreien – schließlich könne man es als Frau zwischen Karriere und Kind ohnehin „nie richtig machen“.
Wir möchten in folgendem Kommentar auf einige Aussagen des Artikels näher eingehen und andere Sichtweisen aufzeigen. Warum? Weil wir davon überzeugt sind, dass die Ehe zwischen Mann und Frau und deren Gründung einer Familie nicht veraltet sind, sondern fruchtbringend für die ganze Gesellschaft und dass die Familie kein Mühlstein am Bein der Frau ist, sondern eine wunderbare Gabe und Aufgabe, für die sie sich selbstbestimmt entscheiden kann.
1. „Die Dominanz des Kernfamilienmodells widerspricht der Realität“
Die Soziologin Zartler kritisiert, dass die „Kernfamilie“ bei einer „Hierarchisierung von Familienformen ganz klar an oberster Stelle“ stehe, während andere Familienformen, ganz besonders Ein-Eltern-Familien, als nachteilig gelten würden. Zentral sei die Ansicht, dass es ideal sei, wenn zwei Elternteile gemeinsam mit biologischen Kindern lebten. Dabei sei das Konzept der „Kernfamilie“ eine Konstruktion aus dem entstehenden Bürgertum des 18. Jahrhunderts, das eigentlich nur im Zeitraum zwischen den 1950ern und 1970ern gelebt worden sei, so die Soziologieprofessorin. Wenn die Kernfamilie als „normal“ bezeichnet werde, würden andere Familienformen wie Patchwork-, Regenbogen- oder Ein-Eltern-Familien gleichzeitig abgewertet werden, kritisiert Zartler.
Im Artikel wird das Forschungsergebnis Zartlers zur „Kernfamilie“ leider nicht näher beschrieben oder belegt. Offensichtlich ist jedoch, dass Menschen seit jeher in Partnerschaften zusammenlebten und die stabile Verbindung zwischen Mann und Frau Basis für die Gründung einer Familie gewesen ist. Was sich sicherlich geändert hat, ist die Rolle der Großfamilie. War das Leben in der Großfamilie früher (überlebens)notwendig, lebt man (zumindest im Westen) heute eher in der Kleinfamilie zusammen. Die gegenseitige Unterstützung in der Großfamilie ist aber beispielsweise am Land oder im bäuerlichen Bereich nach wie vor üblich. Sollte Zartler meinen, dass das Großfamilienkonzept an Relevanz verloren hat, so könnte man ihr sicherlich zustimmen, weil der zunehmende Wohlstand (teilweise) die Funktion der Großfamilie übernommen hat. Der Rückschluss, den sie zieht, dass die Idee von Kernfamilie, also die Gründung einer Familie durch einen Mann und eine Frau, die eine stabile Beziehung eingehen, lediglich konstruiert sei und daher nicht als ideale Familienform bezeichnet werden könnte, überzeugt allerdings nicht. Außerdem: Was spricht dagegen, sich am Ideal zu orientieren?
2. „Die Familienform ist für das Aufwachsen des Kindes nicht relevant“
Zartler behauptet weiter: „Die Kernfamilie als Idealfamilie wird nicht gestützt von empirischen Erhebungen, dass das tatsächlich die beste Form für Kinder ist, aufzuwachsen oder die einzige Form, in der Kinder sich gut entwickeln können.“ Dafür seien weniger die Familienstrukturen wichtig, sondern vielmehr die Frage, „wie Familie konkret gelebt wird“. Kinder, so erklärt Zartler, würden eben auch mit „sehr vielen ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen ganz gut zurechtkommen“. Das Wichtigste sei, dass sie in einer liebevollen, sicheren Umgebung leben und ausreichend Zuwendung bekommen.
Richtig ist, dass es zahlreiche Studien gibt, die belegen wollen, dass die Familienkonstellation für das glückliche und gesunde Aufwachsen von Kindern nicht ausschlaggebend sei. Nicht erwähnt werden im ORF-Artikel jedoch Studien, die das Gegenteil aussagen. Abseits davon stellt sich die Frage, ob es im Sinne des Kindeswohls nur darum gehen sollte, dass das Kind „ganz gut zurechtkommt“ oder darum, die für das gute Aufwachsen des Kindes notwendigen Voraussetzungen zu eruieren und in weiterer Folge zu schaffen. Und außerdem: Was möchte man in den Vordergrund stellen? Die Realisierung der Wünsche und Vorlieben der Erwachsenen oder eben das Wohl des Kindes.
Nach Forschungsergebnissen von Mark Regnerus beispielsweise haben Kinder, die bei verheirateten, ungeschiedenen und leiblichen Eltern aufwachsen, erheblich bessere Startbedingungen für das Leben als Kinder, die einen instabilen Familienhintergrund aufweisen. Verglichen wurden die Kindheitssituationen von fast 3.000 inzwischen erwachsenen Personen mit deren aktueller Lebenssituation: Die Personen, welche in ihren intakten biologischen Familien aufwuchsen, waren im Schnitt höher gebildet, bei besserer psychischer und physischer Gesundheit, hatten weniger Drogenerfahrungen, zeigten weniger kriminelle Auffälligkeiten und grundsätzlich eine höhere Zufriedenheit. Hinzu kamen bei Kindern mit instabilem Familienhintergrund größere Schwierigkeiten, eine dauerhafte Beziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen. Darüber hinaus zeigten die mit der „Fragile Families and Child Wellbeing“-Studie gewonnenen Langzeitdaten, dass Kinder mit verheirateten Eltern weniger Verhaltensauffälligkeiten hatten als Kinder, deren Eltern in nicht-ehelichen Partnerschaften lebten.
Eine Arbeit von Barbara Schneider, Professorin für Soziologie, Universität Chicago, zeigt auf, was die Forschung bereits nachgewiesen hat: dass es nämlich einen Zusammenhang zwischen der Struktur einer Familie und Leistung und Wohlergehen des Kindes gibt. Laut Schneider sei einer der wichtigsten Faktoren, der erhebliche und nachhaltige Auswirkungen auf die Kinder habe, die Struktur einer Familie, das heißt die Zahl der in einer Familie lebenden Elternteile und ihre Beziehung zu den Kindern. Eine bestimmte Familienstruktur könne die wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen einer Familie einschränken, zum Beispiel die Möglichkeit der Eltern, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, Zeit für schulische Aktivitäten zu haben und zusätzliche finanzielle Ressourcen zu erschließen, um Bildung und Wohlergehen des Kindes zu fördern.
Forscher der Princeton University kamen in einer Langzeitstudie mit 20.000 Kindern zum Ergebnis, „dass es Kindern, die in einem Haushalt mit nur einem biologischen Elternteil aufwachsen, durchschnittlich schlechter geht als Kindern, die bei ihren beiden biologischen Eltern aufwachsen (…) und zwar unabhängig davon, ob der alleinerziehende Elternteil wieder eine Ehe eingeht.“ Es kommt also tatsächlich auf die Beziehung des Kindes zu seinen leiblichen Eltern an, und nicht bloß darauf, dass es zwei „Eltern“ hat.
3. „Frauen werden durch Mutterschaft in ein ‘Korsett’ gedrängt“
Die Soziologin Zartler kritisert laut ORF-Artikel, dass Frauen automatisch als potenzielle Mütter gesehen werden. „Frauen wurden sehr lange auf diese Rolle als Mutter reduziert. Also dass Mutterschaft ihre eigentliche Bestimmung im Leben sei. Das, was Frauen wollen sollen“, so Zartler. Hier spiele Sprache eine wichtige Rolle, etwa bei den Begriffen „kinderlos“ oder als alternativer Begriff, „kinderfrei“, schwinge bei „kinderlos“ doch immer ein Defizit mit. Als Mütter würden Frauen aufgrund von „traditionellen Einstellungen“ in ein „Korsett“ gedrängt werden, indem sie den Großteil der zu Hause anfallenden Tätigkeiten verrichteten, die Kinder betreuten und nur Teilzeit arbeiteten. Dies sei der vorherrschenden Einstellung geschuldet, dass „Kinder darunter leiden, wenn die Mutter berufstätig ist“.
Die hohe Teilzeitquote ist Zartler ein Dorn im Auge, dabei übersieht sie, dass die meisten Frauen laut aktueller Umfragen in Teilzeit arbeiten möchten, um Zeit mit den Kindern verbringen zu können (IEF-Bericht). Die Soziologin spricht hier also nur für eine Minderheit der in Österreich lebenden Mütter. Außerdem transportiert sie ein Frauenbild, wonach die Frau anscheinend Opfer der Natur und der äußeren Umstände sei. Dass Frauen sich selbstbestimmt für eine Familie und viele Frauen in Folge auch dafür entscheiden, ihre außerhäusliche Erwerbstätigkeit zumindest zeitweise zu reduzieren, um ihre Kinder zu betreuen, schließt Zartler weitgehend aus. Die Behauptung, dass Frauen auf Mutterschaft reduziert werden würden, wertet Mutterschaft ab, da Mutterschaft (genauso wie Vaterschaft) keine Reduktion ist. Eine Frau wird durch Mutterschaft nicht reduziert, sondern etwas Neues kommt hinzu und die Frau verändert sich. Durch die Gegenüberstellung von „Karriere oder Hausfrau und Mutter“ scheint es für die Soziologin keine selbstbestimmten Wege dazwischen zu geben. Im Gegenteil, es entsteht durch ihre Aussagen eher der Eindruck, dass eine Frau kein selbstbestimmtes Leben führe, wenn sie sich für Mutterschaft entscheidet und ihre berufliche Karriere zurückstellt. Laut Zartler ist Vollzeiterwerbstätigkeit scheinbar das Maß, an dem die Selbstbestimmung der Frau gemessen werden könne. Abgesehen davon blendet sie die persönliche Entwicklung und damit auch die beruflich relevanten Kompetenzen aus, die eine Frau durch ihre Mutterschaft erwerben kann. Wünschenswert wäre es im Sinne einer wirklichen Selbstbestimmung vielmehr, wenn sich eine Frau nach ihren individuellen Bedürfnissen und denen ihrer Familie frei für das Maß der Erwerbstätigkeit entscheiden könnte – ohne von außen für ihre Entscheidung verurteilt oder bewertet zu werden.
Darüber hinaus entgeht Zartler bei ihrem Plädoyer für „Kinderfreiheit“ und „Karriere-ist-gleich-Selbstbestimmung“, dass gesellschaftliche Trends wie Social egg freezing oder Singlemutterschaft eine direkte Folge dieser Frauenbilder sind. So lässt sich beobachten, dass viele Frauen zuerst Karriere machen und den Kinderwunsch „auf später“ verschieben möchten. Dafür lassen sie die Eizellen einfrieren, um dann mit fortgeschrittenem Alter – ob mit oder ohne Partner – den Kinderwunsch verwirklichen zu können. Welche Auswirkungen der „kinderfrei“-Trend haben kann, zeigte das Institut für Ehe und Familie (IEF) bereits in einem Artikel auf. Nicht für alle Frauen scheint ausschließlich die „Karriere“ restlos erfüllend zu sein.
Abseits von Rollenbeurteilungen und engen Zeitfenstern: „Think big“
Die wenig hoffnungsvolle Aussicht von Zartler lautet, dass Frauen es zwischen den Polen „Karriere und Hausfrau und Mutter“ niemals richtig machen könnten, da die Frauenbilder und Rollen „nur bedingt attraktiv“ seien und aus „den hohen Anforderungen“ und „der Fülle an Idealvorstellungen“ zwangsläufig ein „schlechtes Gewissen“ resultiere.
Wie könnten wir entgegen dieser düsteren Prognose zu einer positiven und erfüllenden Vision für Frauen gelangen? Etwa, indem wir jeder Frau die Möglichkeit einräumen, ihren individuellen Weg zu finden, zu gehen und ihre Prioritäten zu setzen. Indem wir über Rollenbilder hinausdenken und das Maß der Selbstbestimmung und den Wert als Frau weder an Vollzeiterwerbstätigkeit noch Mutterschaft knüpfen und weder das eine noch das andere abwerten. Indem wir weniger schwarz-weiß denken, sondern die Vielfältigkeit der Möglichkeiten sehen. Indem wir sehen, dass weder Karriere noch Familie starre Konstrukte sind, sondern gestaltbar. Indem wir Frausein und Mutterschaft weiterdenken und über die jeweils persönlichen Grenzen hinausblicken: Welche Bedeutung hat der jeweilige Lebensweg für das Umfeld und für die Gesellschaft? Indem wir unseren zeitlichen Horizont erweitern und uns vorstellen, welche Folgen unsere Entscheidungen über unser Leben hinaus haben können. Daher, Frauen (und Männer): „Think big“! (TSG)