Demenzpatienten
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NL / Lebensende: Höchstgericht erlaubt „Tötung ohne Verlangen“ von Demenzpatienten

IEF, 05.05.2020 – Demenzpatienten dürfen auf Basis einer in der Vergangenheit erstellten Patientenverfügung getötet werden, auch wenn es unklar ist, ob sie den Tod in der aktuellen Lebensphase wünschten.

„Tötung ohne Verlangen“ künftig erlaubt

Mit seinem Urteil entschied der Hohe Rat in Den Haag, dass „Tötung ohne Verlangen“ künftig erlaubt sei. 2001 legalisierte die Niederlande assistierten Suizid und Tötung auf Verlangen, bis dato basierend auf der Freiwilligkeit des jeweiligen Patienten und dem vermeintlichen Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts. Medienberichten zufolge sprach das niederländische Höchstgericht nun Ende April aber eine Ärztin frei, die 2016 eine Demenzpatientin getötet hatte, obwohl „unklar“ gewesen sei, ob die Patientin zu dem Zeitpunkt überhaupt sterben wollte.

Ärztin tötete Demenzpatientin mithilfe der Verwandten

Wie das Institut für Ehe und Familie (IEF) berichtete, hatte die freigesprochene Ärztin eine 74-jährige Demenzpatientin in einem Pflegeheim per Injektion getötet. Die Demenzpatientin hatte zwar mehrere Jahre zuvor eine Patientenverfügung für den Fall einer unheilbaren Krankheit verfasst, diese sei jedoch „unklar und widersprüchlich“ formuliert gewesen, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Seit ihrem Einzug ins Pflegeheim hatte die Patientin dann abwechselnd den Wunsch geäußert, nicht mehr leben bzw. nicht sterben zu wollen. Der Ehemann und die Ärztin kamen dennoch zum Schluss, dass „die Zeit unerträglichen Leidens gekommen sei“, die die Patientin in noch gesundem Zustand als Zeitpunkt für ihre Tötung in der Patientenverfügung festgelegt hatte. So verabreichte die Ärztin der Patientin ohne deren Wissen ein in den Kaffee gemischtes Beruhigungsmittel. Anschließend injizierte sie der Patientin das tödliche Medikament. Die Patientin wehrte sich dabei so stark, dass sie von den anwesenden Verwandten festgehalten werden musste. Nachdem die zuständige Überprüfungskommission die Ärztin für ihr Vorgehen „rügte“, wurde die Staatsanwaltschaft tätig und es kam zum ersten Gerichtsverfahren wegen Tötung auf Verlangen seit der Legalisierung in den Niederlanden. Die Staatsanwaltschaft warf der Ärztin vor, weitere Gespräche mit der Patientin unterlassen zu haben, um den Todeswunsch zu verifizieren, obwohl es Zeichen gegeben habe, dass diese nicht sterben wollte.

Ist eine Patientenverfügung als Grundlage für Tötung auf Verlangen ausreichend?

Die Ärztin wurde in erster Instanz freigesprochen. Die Richter kamen zum Ergebnis, dass der Arzt den aktuellen Sterbewunsch nicht verifizieren müsse. Daher sei der Ärztin kein Verstoß gegen die gesetzliche Regelung vorzuwerfen. Die Staatsanwaltschaft ging in Berufung, da ihrer Meinung nach wesentliche Rechtsfragen offen geblieben seien. So etwa, ob eine Patientenverfügung überhaupt als Grundlage für Tötung auf Verlangen ausreichend sei und wie im Fall von Patienten, die ihren Willen nicht mehr äußern können, vorgegangen werden müsse.

Das Höchstgericht bestätigte nun das Urteil der Vorinstanz und damit, dass per Patientenverfügung auch die eigene Tötung verlangt werden könne und zwar – wie für Patientenverfügungen typisch – gerade für den Fall, dass der Patient selbst nicht mehr seinen Willen – jedenfalls nicht kohärent genug – äußern kann.

Tragweite der Patientenverfügung ist das Problem

Für Dr. Stephanie Merckens, Juristin am IEF, kommt die Entscheidung dem Grunde nach nicht unerwartet. Da das Instrument der Patientenverfügung auch in Österreich gerade für den Fall gelten soll, da der Patient selbst seinen Willen nicht mehr äußern kann, ist die grundsätzliche Akzeptanz der Wirksamkeit der Weisungen aus der Patientenverfügung nicht das Problem dieses Falles. Problematisch aber ist, dass man sich überhaupt per Patientenverfügung die eigene Tötung wünschen darf. Das ist in Österreich verboten.
Außerdem zeige der Fall, wie schwierig es sei, im Nachhinein eine unrechtmäßige Tötung auf Verlangen festzustellen. Gerade, weil dies ja dann die Annahme des Mordes bedeute, scheinen die Kontrollbehörden inklusive der Gerichte sehr zurückhaltend zu sein. Immerhin scheint bewiesen, dass sich die Patientin gegen die Medikamente gewehrt habe – dies allein müsste in Österreich schon ausreichen, um einen Änderung des Patientenwillens für weit weniger einschneidende Maßnahmen ausreichend kund zu tun. Und dieser führe dann automatisch zum medizinischen Grundsatz in dubio pro vita, also im Zweifel für das Leben, so Merckens.

Ethikerin Kummer: „Selbstbestimmung kippt in Fremdbestimmung“

Susanne Kummer, Geschäftsführerin des Wiener Bioethikinstituts IMABE, kritisierte das Urteil in einem Beitrag folglich auch aufs Schärfste. Der Fall zeige, was passiere, „wenn der Staat Tötungswünsche nur noch regelt, statt seiner Schutzpflicht für Menschen in vulnerablen Situationen wie Krankheit, Alter oder sozialer Isolation nachzukommen“. Autonomie in der „Sterbehilfe“ sei nur die halbe Wahrheit. „Man pocht auf Selbstbestimmung, doch diese kippt stillschweigend in Fremdbestimmung um“, so Kummer.
Sophia Kuby von ADF International warnte gegenüber der Tagespost davor, dass es bei der Legalisierung von Tötung auf Verlangen keine natürlichen Grenzen gäbe und plädierte daher für die Beibehaltung der Tötungsverbote, wo diese noch gelten. „Wenn die Tötung von ,lebensunwertem Leben‘ einmal legal ist, kann es nur zu einer ständigen Ausweitung der Kriterien führen. Die Einführung der Kindereuthanasie ohne Altersbegrenzung in Belgien 2014 war ein solcher Schritt. Mit der Tötung von Demenzkranken geht die Niederlande einen nächsten. Stück für Stück verlieren wir an Menschlichkeit“, so Kuby.

Michael Prüller, Pressesprecher der Erzdiözese Wien und ehemaliger stv. Chefredakteur der Presse,  bezeichnete das Urteil in der Pressekolumne Culture Clash als „seltsamen Kontrapunkt zur instinktiven und fundamentalen Parteinahme der von Corona geplagten Welt für das Leben“. Das Urteil zeige, dass die Warnung der Gegner von legalisierter „Sterbehilfe“ realistisch sei und es bei einem bisschen Töten nicht bleibe: Auch eine zunächst vorsichtige Öffnung für die legale Tötung gehe immer weiter – bis zur moralischen Pflicht zum schonenden Ableben und dem, freilich sorgfältigen, Verabreichen von Gift als Routinehandlung, so Prüller. (TSG)

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