
AT / Lebensende: Gesetzgeber bisher untätig
IEF, 26.03.2021 – Nach Aufhebung des Verbots der Suizidbeihilfe hat das Parlament bis Jahresende Zeit, um Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung zu beschließen.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat im Dezember letzten Jahres das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung aufgehoben und den Gesetzgeber dazu aufgefordert, Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch und der Einflussnahme durch Dritte bis Ende 2021 vorzusehen. (Das IEF hat berichtet). Der Standard verweist dabei auf die Tatsache, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, der Aufforderung der Verfassungsrichter nachzukommen. Wolle er jedoch Chaos und Rechtsunsicherheit vermeiden, müsse er spätestens bis zum Sommer einen Gesetzesentwurf vorlegen, damit dieser begutachtet und bis Jahresende beschlossen werden könne.
ÖGHL will neue parlamentarische Enquete zur Regelung der „Sterbehilfe“
Am 17. März wurde die Petition „Selbstbestimmtes Sterben in Würde“ von Wolfgang Obermüller und der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) im Petitionsausschuss diskutiert. Im Zusammenhang damit appellierte Obermüller als Sprecher der ÖGHL an die Mitglieder des Ausschusses „das Thema Sterbehilfe angemessen im Parlament zu diskutieren“. Denn nach der Entscheidung des Verfassungsgerichthofs zur Aufhebung des Verbots der Suizidbeihilfe, scheine die Politik die „Dringlichkeit einer gesetzlichen Regelung nicht zu erkennen“, heißt es in einer Presseaussendung des Parlaments zur Sitzung des Petitionsausschusses. Obermüller fordert darin auch eine „echte Lösung“, die am besten im Rahmen einer neunen parlamentarischen Enquete, bestehend aus Befürwortern und Gegner der „Sterbehilfe“, diskutiert werden sollte. Die Debatte rund um die Missbrauchsgefahr bei der „Sterbehilfe“ hält der ÖGHL-Sprecher hingegen für „völlig überbewertet“.
SPÖ-Mandatar Reinhold Einwallner sprach während der Ausschusssitzung von einer „Gradwanderung zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und der Verhinderung von Missbrauch“, die der Gesetzgeber nun zu meistern habe. Dafür brauche es laut Hermann Weratschnig (Grüne) einen Dialog zwischen allen Fraktionen. Der Ausschussvorsitzende Michael Bernhard (NEOS) hätte sich eine Zuweisung der Petition an den Justizausschuss gewünscht. Dort hätte ein Gesetz zur Regelung der „Sterbehilfe“ diskutiert werden können. Stattdessen wurde die Petition am 24. März vom Nationalrat zur Kenntnis genommen.
Erarbeitung einer neuen Regelung des assistierten Suizids in Planung?
Wann ein entsprechender Gesetzesentwurf zum assistierten Suizid dem Nationalrat präsentiert wird, möchte Gerald Loacker (NEOS) in einer an die Justizministerin Alma Zadić gerichteten parlamentarischen Anfrage vom 22. März wissen. Der NEOS-Mandatar listet darin wichtige Fragestellungen auf, die gesetzlich erfasst werden sollten. Zum einen müsse überlegt werden, welche Maßnahme zur Verhinderung von Missbrauch von Nöten seien. Zum anderen sei zu klären, wann von einem aufgeklärten und informierten freien Willen ausgegangen werden könne und wie dies zu belegen sei. Nachdem keine Informationen über etwaige Gespräche an die Öffentlichkeit gelangt seien, fordert Loacker die Justizministerin auf, bekanntzugeben, welche Experten an der Erarbeitung einer neuen Regelung des assistierten Suizids beteiligt seien und wann die Vorlage eines Gesetzentwurfs an den Ministerrat sowie weitere Schritte bis hin zur Begutachtungsfrist geplant seien. Die Justizministerin hat nun zwei Monate Zeit, um die Anfrage zu beantworten.
Erste Beratungen im Gange
Wie der Standard berichtet, habe auch Selma Yildirim, SPÖ- Justizsprecherin, kein Verständnis für die Untätigkeit der Regierungsparteien. Gemäß der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs müssten gesetzlichen Vorgaben zur „Sterbehilfe“ bis Ende des Jahres geschaffen werden. Doch bis dahin hätten ÖVP und Grüne „nicht einmal zu einem Gesprächstermin eingeladen“.
Aus dem Kabinett von Karoline Edtstadler (ÖVP), Bundesministerin für EU und Verfassung, hieße es dazu, dass „Beratungen in Gang seien “, jedoch noch keine Gespräche mit dem Koalitionspartner geführt worden wären. Die Grünen würden noch um eine gemeinsame Position zu dem Thema ringen, wird Verfassungssprecherin Agnes Sirkka Prammer vom Standard zitiert. Alma Zadić (Grüne) würde jedoch versprechen, „so früh wie möglich“ das Thema mit Experten und der Zivilgesellschaft zu diskutieren.
Welche Umstände sollen assistierten Suizid legitimieren?
Einer der zur Debatte stehenden Punkte sei die Frage, unter welchen Umständen Beihilfe zum Suizid in Zukunft erlaubt sein soll. Dürfe Liebeskummer, eine Lebenskrise oder doch nur eine schwere Erkrankung als Voraussetzung für eine straffreie Suizidassistenz gelten? In dieser Thematik gäbe es laut dem Standard eine Übereinstimmung über alle Partien hinweg, den assistierten Suizid nur im Falle einer schweren Erkrankung zulassen zu wollen. Die FPÖ sei hier generell dafür, den Zugang zur „Sterbehilfe“ soweit wie möglich einzuschränken.
Anders sehe das Wolfram Proksch, der Anwalt, der die vier Antragsteller vor dem Verfassungsgerichtshof im Namen eines Schweizer Sterbehilfevereins erfolgreich vertreten hatte. Er fordert, dass auch psychisch leidende Personen assistierten Suizid in Anspruch nehmen können sollen. Eine Minimalvariante, bei der es lediglich erlaubt sei, jemanden zur Inanspruchnahme der „Sterbehilfe“ ins Ausland zu begleiten, sei für ihn hingegen ausgeschlossen. Diese Beschränkung würde seiner Meinung nach einer neuerlichen Überprüfung durch den VfGH nicht standhalten.
Wann liegt eine dauerhafte und freie Entscheidung vor?
Zu überlegen sei zum Weiteren eine Wartefrist zwischen der Äußerung des Sterbewunsches und der Durchführung der „Sterbehilfe“. Eine derartige „Cool-Down-Phase“ sei für das Bundeskanzleramt durchaus vorstellbar, solange dem Sterbewilligen dadurch nicht vermittelt werde, dass man seinen Wunsch nicht ernst nehme. Besonders wichtig sei auch das Bereitstellen von Beratung, um den Betroffenen Perspektiven und eine echte Wahlmöglichkeit zu eröffnen.
Zur Schaffung von Wahlmöglichkeiten gehöre für die Verfassungssprecherin der Grünen, Agnes Sirkka Prammer, auch, ein großes Angebot an Palliativ- und Hospizeinrichtungen zu gewährleisten. Die SPÖ würde sich in dem Zusammenhang eine offensive Kommunikation über die Möglichkeit der Erstellung einer Patientenverfügung wünschen, heißt es weiter im Standard.
Wer soll Beihilfe zum Suizid leisten?
Zu den großen Fragen, die vom Gesetzgeber zu klären seien, gehöre auch die Bestimmung dessen, wer überhaupt beim Suizid assistieren darf. Zu denken sei hier etwa an Angehörige oder Ärzte. Für Proksch sei eine Einschränkung der Suizidassistenz auf Angehörige unzulässig, da dies die Inanspruchnahme für manche Personen unmöglich machen würde. Auch das Verbieten von Sterbehilfevereinen hält Proksch für kurzsichtig, zumal die Regierung ein „Interesse an kompetenter Betreuung des assistierten Suizids“ haben sollte.
Für Sterbehilfevereine nach dem Schweizer Vorbild wären außerdem die NEOS, fürchten jedoch Gegenwind vom christlich-konservativen Flügel der ÖVP. Die FPÖ wiederum lehnt Sterbehilfevereine dezidiert ab. Sie betrachtet die Aktivitäten solcher Vereine als „Geschäftemacherein mit dem Tod“. Vom Verfassungsministerium hieße es dazu, dass im Moment geprüft werde, ob man Sterbehilfevereine verbieten könne.
Salzburger Bioethikdialoge diskutieren VfGH-Urteil aus juristischer Sicht
Der Frage, wie Beihilfe zur Selbsttötung gesetzlich geregelt werden sollte, widmete sich auch das zweite Webinar der Reihe „Salzburger Bioethik Dialoge 2021“. Die Rechtswissenschaftler Kurt Schmoller und Peter Lewisch setzten sich dabei mit unterschiedlichen Fragen, wie etwa der Dauerhaftigkeit eines Suizidwunsches, auseinander. Dieser könne sich in manchen Fällen nämlich auch nach Jahren ändern. Mit der Selbsttötung würde dem Menschen, so Schmoller, jedoch die Möglichkeit der Wunschänderung und damit auch die Autonomie genommen. Deshalb müsse man letztlich zwischen einer „temporären“ und einer „finalen“ Autonomie am Lebensende unterscheiden. Von „finaler Autonomie“ wäre auszugehen, wenn eine „Entscheidungsänderung so gut wie auszuschließen“ sei. Nur im letzteren Fall sei es „sinnvoll die Suizidbeihilfe als gerechtfertigt anzuerkennen“, so der Strafrechtler.
Lewisch wies hingegen daraufhin, dass bei Vorliegen einer Depression oder einer ähnlichen psychischen Erkrankung nicht von einem freien Willen, wie ihn der VfGH in seiner Entscheidung gefordert hatte, ausgegangen werden könne. „Die allermeisten Suizide sind Ausdruck eines schweren Krankheitsbildes, wenngleich dies oft nicht rechtzeitig erkannt wird“, so der Professor für Verfassungs- und Strafrecht weiter.
Mit Nachdruck betonte Schmoller auch die Notwendigkeit der Suizidprävention. Dem Sterbewilligen müssten Perspektiven im Moment der „suizidalen Verengung“ eröffnet werden. Aus dem Prinzip der Suizidprävention heraus würde auch weiterhin die Pflicht entspringen, im Zweifelsfalle einen Suizid zu verhindern und Hilfe zu leisten.
Im Zusammenhang mit dem „Suizidassistenten“ sprach sich Schmoller schließlich für ein „Diskriminierungsverbot“ analog zu jenem beim Schwangerschaftsabbruch aus. Auf den assistierten Suizid übertragen hieße dieses: „niemand soll arbeitsrechtlich Nachteile dafür erleiden dürfen, dass er an Suiziden mitwirkt oder aber diese Mitwirkung verweigert“.
Weitere Informationen und die beiden letzten Webinare der Salzburger Bioethik-Dialoge zum Nachsehen gibt es hier. Das nächste „Webinar zum VfGH-Urteil aus intensiv- und palliativmedizinischer Sicht“ mit Prof. Dr. Barbara Friesenecker und Prof. Dr. Stefan Lorenzl findet am 8.4.2021 um 19.00 Uhr statt. Moderiert wird dieses Webinar wieder von Stephanie Merckens (IEF). (AH)