ES / Gender: Geschlechtswahl auf Wunsch und ohne Bedingung
IEF, 20.07.2021 – Spaniens linke Regierung legt das „Gesetz für die tatsächliche und effektive Gleichstellung von Transgender-Personen“ zur Abstimmung vor.
Recht auf freie Bestimmung des Geschlechts
Unmittelbar vor dem traditionell Anfang Juli stattfindenden „LGTBIQA+ Pride Festival“ in Madrid hat die spanische Linkskoalition unter Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) einen Gesetzesentwurf eingebracht, auf dessen Grundlage künftig „das Recht auf freie Bestimmung des Geschlechts“ anerkannt werden soll. Die Zustimmung des Parlaments gilt als sicher, berichtet etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Spanien werde dann das 16. Land auf der Welt sein, das eine solche Regelung verabschiedet – in Europa zuvor schon Dänemark, Malta, Luxemburg, Belgien, Irland und Portugal.
Geschlechtsänderung ab 16 Jahren
Das historisch stets als konservativ geltende Spanien hatte bereits 2005, gegen den Widerstand der Volkspartei (PP) und der katholischen Kirche, als dritter europäischer Staat die gleichgeschlechtliche Ehe anerkannt. Nach dem neuen Gesetzesentwurf sollen künftig Jugendliche ab 16 Jahren die Möglichkeit haben, ihr Geschlecht durch nur zwei im Zeitraum von drei Monaten aufeinander folgende Erklärungen auf dem Standesamt ändern zu lassen. Damit soll die bisherige Notwendigkeit einer medizinischen Diagnose und einer zwei Jahre andauernden Hormonbehandlung fallen. Auch bei minderjährigen Kindern zwischen 14 und 16 Jahren sollen diese Voraussetzungen fallen. Einer Geschlechtsänderung müssen allerdings die Obsorgeberechtigten zustimmen, bei 13 und 14 Jahre alten Kindern ist zudem eine gerichtliche Zustimmung nötig. Geschlecht und Namen behördlich ändern zu lassen, könnte in Spanien in Zukunft daher nur noch vier Monate dauern.
Spanische Evangelische Allianz: Sehr beunruhigende Aspekte
Bereits nach Ankündigung des Gesetzesvorhabens im November 2020 hatte die Spanische Evangelische Allianz (AEE) eine Erklärung veröffentlicht, in der sie vor mehreren gefährlichen Aspekten des Gesetzesentwurfs gewarnt hatte. Es sei nicht der beste Schritt für Minderjährige mit Geschlechtsdysphorie, ihnen zu erlauben, bleibende Entscheidungen über ihre Geschlechtszuordnung zu einem Zeitpunkt zu treffen, wo ihnen die Reife dazu fehle, hatte die AEE damals betont. Gleichzeitig sei „der Ausschluss der Eltern von einer solchen endgültigen Entscheidung rücksichtslos und eine inakzeptable Verweigerung der elterlichen Verantwortung für die Entwicklung ihrer Kinder“.
Quintana: Ideologie, keine Wissenschaft
Für Asun Quintana, Vorsitzende der AEE-Arbeitsgruppe „Frauen und Gesellschaft“, weist das Gesetz mehrere „sehr beunruhigende“ Aspekte auf: „Anfangs möchte ich klarstellen, dass Transgender-Menschen legitimer Weise demokratische Rechte einfordern und diese auch zugestanden bekommen sollen, wie jede andere Gruppe oder Minderheit”, so Quintana. Doch es müsse auch sehr deutlich gemacht werden, dass es nicht ein Zeichen von Transphobie sei, wenn man kritisch oder sogar ablehnend gegenüber diesem Gesetzesentwurf ist. In den letzten Monaten sei dieser Vorwurf missbraucht worden, um Gruppen zu diskreditieren, die das Gesetz ablehnen, so die madrilenische Pastorin. Laut Quintana sei der Gesetzesentwurf „voller Ideologie“, es mangle an Wissenschaft. Das Gesetz schränke die Gewissensfreiheit und die Meinungsfreiheit ein und missachte die „Kompetenzen der Zivilgesellschaft und der Familie“, warnt Quintana.
Keine Einigkeit der Linken
Gleichstellungsministerin Irene Montero von der linksalternativen Podemos-Partei zeigte sich erwartungsgemäß erfreut über die bevorstehende Gesetzesänderung: „Das ist ein historischer Tag nach 15 Jahren ohne Fortschritte: Trans-Personen werden in Spanien endlich nicht mehr als krank angesehen“. Für manche, schreibt die FAZ, sei der Entwurf aber immer noch zu streng. „Die Altersgrenzen stehen nach Ansicht der Organisation „Euforia“, die sich für Transgender-Kinder einsetzt, im Widerspruch zu dem Recht auf Selbstbestimmung, das die Regierung versprochen hat.“
Aber auch gegenteilige Kritik ist zu vernehmen. So ist der Vorstoß der Linkspopulisten der Podemos-Partei auch innerhalb der Regierungskoalition umstritten. Beunruhigt zeigte sich etwa die stellvertretende Ministerpräsidentin und Sozialistin Carmen Calvo (PSOE), die bis Anfang 2020 als Ministerin für die Gleichstellungspolitik zuständig war: Dass „das Geschlecht nur durch den bloßen Willen oder einen Wunsch gewählt werden soll“, sei besorgniserregend. Ähnlich sehen das, laut FAZ, auch viele ältere Feministinnen, „die die bisherigen Errungenschaften im Kampf um die Gleichberechtigung durch „Männer, die sich als Frauen ausweisen“, gefährdet sehen“. Das Geschlecht sehen sie als eine „unveränderliche biologische Realität“.
„Diversität“ an Spaniens Schulen
Auch weitere Inhalte des Gesetzesentwurfes bringen Liberalisierungen mit sich. So sollen lesbischen und bisexuellen Frauen sowie „Trans-Personen, die schwanger werden können“, die Möglichkeiten der assistierten Reproduktion offenstehen, berichtet die FAZ. Zudem sollen Frauen, die unverheiratet zusammenleben, bei der Registrierung der Geburt eines Kindes beide als „Mutter“ anerkannt werden. Neu an Spanien Schulen soll „Diversität“ auf dem Lehrplan stehen.
Auch in den USA wird derzeit sukzessive an einem Recht auf freie Geschlechtsbestimmung gearbeitet. Lesen Sie dazu weiter hier. (KL)