INT / Menschenrechte: Weltärztebund überarbeitet Internationalen Kodex für ärztliche Ethik
IEF, 19.05.2021 – In der Kritik steht bereits eine Änderung, die die ärztliche Gewissensfreiheit tangiert.
Der ursprüngliche Internationale Kodex für ärztliche Ethik, der nun neugefasst werden soll, wurde von der Generalversammlung des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA) als Ergänzung zur Genfer Deklaration 1949 angenommen. Er hat bereits mehrere Novellierungen erfahren, von denen die letzte 2006 beschlossen wurde. Der Kodex listet die wichtigsten, den Arztberuf betreffenden Richtlinien, Normen und Verpflichtungen auf.
Anpassung an Genfer Deklaration aus 2017
Als der Weltärztebund im Jahr 2017 eine neue, überarbeitete Genfer Deklaration annahm, wurde beschlossen, eine Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen, die den Internationalen Kodex für ärztliche Ethik revidieren sollte. Dabei bestand die Hauptaufgabe der Arbeitsgruppe darin, den Kodex an die überarbeitete Genfer Deklaration und sonstige Richtlinien des Weltärztebundes anzupassen, sowie einige der Annahmen der Genfer Deklaration näher zu erläutern. Die Arbeitsgruppe vereinte Vertreter und Beobachter aus über 15 Staaten, die bei ihrer Analyse auch Rückmeldungen aus den regionalen WMA-Konferenzen in Kuwait und Brasilien, aus Webinaren außerordentlicher Mitglieder des Weltärztebundes sowie dem Treffen der International Association of Bioethics im Jahr 2020 berücksichtigten.
Im April 2021 wurde der Entwurf des neuen Kodex vom Weltärztebund approbiert und eine öffentliche Konsultation gestartet, die noch bis 28. Mai laufen soll. Experten und Steakholder sind dabei eingeladen, Stellungnahmen und Kommentare per E-Mail in englischer Sprache zu den neuen Bestimmungen einzureichen.
Kodex ärztlicher Ethik stellt sich in den Vordergrund
Auf den ersten Blick fällt auf, dass der neue Kodex ärztlicher Ethik mit seinen 39 Bestimmungen um einiges ausführlicher ist, als der alte. Die Gliederung in „generelle Regeln“, „Regeln im Verhältnis zum Patienten“ und „im Verhältnis zu anderen Ärzten“ wurde in dem Entwurf beibehalten, wobei zwei weitere Abschnitt, nämlich „Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft“ und „Verpflichtungen der Ärzte als Mitglieder von Ärzteverbänden“, eingefügt wurden.
Auffallend ist auch, dass der alte Kodex Ärzte zur Einhaltung lokaler und nationaler Ethikvorschriften verpflichtete, während der neue Entwurf nur noch zur Kenntnisnahme anderer nationaler und internationaler Normen auffordert. Letztere sollen den Arzt auch nicht daran hindern, den im neuen Kodex der WMA niedergelegten Prinzipien zu entsprechen (Punkt 6). An anderer Stelle werden Ärzte, insbesondere wenn sie in Verbänden tätig sind, aufgefordert, sich nationalen oder internationalen, sei es ethischen oder gesetzlichen Normen, die dem WMA Kodex widersprechen, zu widersetzen.
Auch im Hinblick auf die Verpflichtungen des Arztes gegenüber dem Patienten gibt es geringfügige, aber doch nicht unwesentliche Änderungen: So sollte der Arzt bisher „das menschliche Leben“ respektieren. In Zukunft soll „das Leben und die Würde“ des Menschen beachtet werden (Punkt 13). Auf ersten Blick scheint die „Ergänzung der Würde des Menschen“ nicht nur unbedenklich, sondern eigentlich selbstverständlich. Allerdings kann aufgrund aktueller internationaler Entwicklungen etwa im Zusammenhang mit der „Sterbehilfe“ nicht ausgeschlossen werden, dass es dadurch zu einer Aufweichung des bisherigen Schutz des Lebens kommt, so Stephanie Merckens, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF). Die Gegenüberstellung von Leben und Würde komme nämlich immer wieder im Zusammenhang mit „Sterbehilfe“ zur Sprache, bei der das Leben als unerträglich und die Beihilfe zum bzw. das Herbeiführen des Todes als ein Sterben „in Würde“ bezeichnet werden, erläutert Merckens.
Eine Aushebelung der Gewissensfreiheit?
Besonders kritisch aber ist die geplante Änderung im Hinblick auf die ärztliche Gewissensfreiheit. Unter dem neuen Punkt 3 des Internationalen Kodex ärztlicher Ethik heißt es noch, dass Ärzte u. a. ihrem Gewissen entsprechend handeln sollen. Der geplante Punkt 27 hält jedoch fest, dass den Arzt die ethische Verpflichtung treffe, Betreuungsunterbrechungen zu vermeiden. Deshalb dürfe eine Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn der Patient dadurch nicht diskriminiert oder benachteiligt wird, die Gesundheit des Patienten nicht in Gefahr und die Kontinuität der Behandlung durch effektives und rechtzeitiges Verweisen an einen anderen qualifizierten Arzt gewährleistet ist. Die Verfasser des Entwurfs scheinen sich der Bedeutsamkeit dieser Änderung bewusst zu sein, zumal die Fußnote zu dem Punkt darauf hinweist, dass diese Regelung noch in einer eigens dem Thema gewidmeten Konferenz des Weltärztebundes diskutiert wird. Nichtsdestotrotz seien, laut dem Entwurf, Kommentare und Stellungnahmen auch zu diesem Punkt bereits jetzt willkommen.
Die Gewissensfreiheit schützt Ärzte unter anderem davor, gegen ihr Gewissen handeln und an Behandlungen wie etwa einer Abtreibung, einem assistierten Suizid oder einer Tötung auf Verlangen teilnehmen zu müssen. Gemeinsam mit der Gedanken- und Religionsfreiheit bildet die Gewissenfreiheit ein Menschenrecht, das von zahlreichen internationalen Menschenrechtsverträgen geschützt wird, darunter der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 18), dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Art. 18), sowie der Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 9). Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Gewissensfreiheit, wie sie dem Entwurf scheinbar vorschweben, könnten auf zwei Ebenen verstanden werden. Einerseits könnte man die Verweigerung einer medizinischen Behandlung, wie etwa einer Abtreibung, die nur eine bestimmte Personengruppe betrifft, als Diskriminierung bezeichnen. Dies war beispielswiese beim Obama-Dekret aus dem Jahr 2016 der Fall, das die Weigerung Abtreibungen durchzuführen, als grundsätzlich geschlechtsbezogene Diskriminierung eingestuft hatte (das IEF hat berichtet). Andererseits umfasst die Gewissensfreiheit nicht nur die Freiheit, grundsätzlich nicht an den oben erwähnten Praktiken mitzuwirken, sondern auch, die persönliche Abwägungen zu treffen, in welchen Fällen mitgewirkt wird und in welchen nicht. Der Arzt muss für seine Ablehnung auch keine Gründe anführen. Dadurch wird es aber systemimmanent zu „Diskriminierungen“ im Sinne des Entwurfs kommen, erläutert Stephanie Merckens, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF). Ein erfolgreiches Unterbinden von „Diskriminierungen“ wäre daher wohl nur durch eine de facto Aushöhlung des Rechts auf Gewissensfreiheit zu erreichen, warnt die Biopolitikerin. (AH)