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GB / Lebensende: „Sterbehilfe“ spaltet Ärzteschaft

IEF, 23.09.2021 – Die British Medical Association (BMA) soll künftig „neutrale“ Stellung gegenüber assistiertem Suizid beziehen.

Bei der jährlichen Vertreterversammlung sollen sich 49% der Ärzte für eine Änderung der offiziellen Haltung der BMA gegenüber assistiertem Suizid, von „ablehnend“ auf „neutral“, ausgesprochen haben. Knapp darunter (48%) lag der Prozentsatz jener, die das Beibehalten des Status quo befürwortet haben sollen. 3% enthielten sich der Stimme. „Neutral“ bedeute laut der BMA, dass die Organisation eine künftige Änderung der Gesetzeslage in Bezug auf assistierten Suizid weder ablehnen noch befürworten werde.

BMA befragt Mitglieder zur „Sterbehilfe“

Letztes Jahr hatte die BMA ihre Mitglieder hinsichtlich ihrer Einstellung zur Legalisierung des assistierten Suizids befragt. Dabei sollen 40% der Befragten ein aktives Eintreten der BMA für die Legalisierung des assistierten Suizids befürwortet haben. 33% sprachen sich dafür aus, dass die BMA einer etwaigen Gesetzesänderung entgegentreten sollte und 21% fanden, dass die BMA eine neutrale Haltung einzunehmen habe. Weiters sollen 50% die Möglichkeit der Verschreibung von Tötungsmitteln durch Ärzte gutgeheißen haben, während 39% dagegen gewesen seien. 11% blieben unentschlossen. Diesem Umfrageergebnis folgend, hielt es die BMA für angebracht, das breite Meinungsspektrum der Ärzteschaft in ihrer offiziellen Haltung gegenüber assistiertem Suizid abzubilden und diese als „neutral“ zu deklarieren.

Legalisierung des assistierten Suizids nur bei Gewährleistung der Gewissensfreiheit

Bei der BMA-Umfrage sollen 93% der Ärzte zudem die Wichtigkeit der Gewissensfreiheit für medizinisches Personal betont haben – sollte es zu einer Gesetzesänderung kommen. Deshalb wurde während der Jahresversammlung noch ein weiterer Antrag verabschiedet, der sich auf die Sicherstellung der Gewissensfreiheit bezog.

Keine Unterstützung des assistierten Suizids Seitens der Ärzteverbände

Auch wenn sich die Einstellung der Ärzteschaft in Großbritannien Richtung Akzeptanz des assistierten Suizids verschieben mag, hat bisher kein Ärzteverbund dort die Beihilfe zur Selbsttötung befürwortet. Das Royal College of Physicians änderte bereits 2019 seine offizielle Haltung gegenüber assistiertem Suizid auf „neutral“ (das IEF hat berichtet) und das Royal College of General Practitioners (das IEF hat berichtet), die British Geriatric Society, and the Association for Palliative Medicine stehen der „Sterbehilfe“-Praxis weiterhin ablehnend gegenüber.

Bürgerumfragen mit unterschiedlichen Ergebnissen

In Großbritannien wird gerade ein Gesetzesvorschlag der Baroness Meacher diskutiert, der assistierten Suizid legalisieren möchte. Der Vorschlag soll demnächst in zweiter Lesung vom Oberhaus behandelt werden. Bis jetzt hat das Parlament Vorstöße zur Legalisierung des assistierten Suizids regelmäßig abgewehrt. Parlamentarierumfragen zeigen zudem, dass sich lediglich 35% der Abgeordneten für eine Änderung der Gesetzeslage aussprechen würden.

Die Einstellung der Bürger gegenüber „Sterbehilfe“ wurde auch bereits in mehreren Umfragen erhoben. Dabei wurden, ähnlich wie in Österreich (das IEF hat berichtet), einigen Studien manipulative Fragestellungen vorgeworfen. Je nach Formulierung kommen die Umfragen daher zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

„Dying Well“ Parlamentariergruppe holt sich Expertise aus Oregon, Belgien und Kanada

Die All-Party Parliamentary Group (APPG) for Dying Well, eine Parlamentariergruppe, die sich für eine Betreuung und Pflege auf höchstem Niveau am Lebensende und gegen die Legalisierung des assistierten Suizids einsetzt, hat kürzlich eine Veranstaltung mit Ärzten aus Oregon (USA), Belgien und Kanada organisiert. Die Referenten sollten über ihre Erfahrungen und die Konsequenzen der Legalisierung der „Sterbehilfe“ in ihren Ländern berichten.

Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Personen greifen nicht

Zwei Ärzte aus Oregon gaben zu bedenken, dass bei ihnen die Angst „zur Last zu fallen“ mittlerweile der Hauptgrund für die Inanspruchnahme des assistierten Suizids geworden sei. Die in Oregon erlassenen Maßnahmen zum Schutz von vulnerablen Personen würden zudem nicht greifen. Das vom Gesetz vorgeschriebene psychologische Gespräch bei Verdacht auf eine psychiatrische oder psychologische Erkrankung oder Depression würde in den wenigsten Fällen durchgeführt werden. Die Vorschriften über die Konsultation eines Zweitarztes und das Erfordernis einer irreversiblen und unheilbaren Erkrankung, die innerhalb von 6 Monaten zum Tod des Patienten führen wird, würden ebenfalls nicht eingehalten. Das als Schutzmaßnahme in Oregon eingeführte Erfordernis, die palliativen Optionen mit dem Patienten zu besprechen, würde mittlerweile als Obstruktion des „Sterbehilfe“-Wunsches des Patienten gelten. Und die durchschnittliche Zeit, die Ärzte Patienten in Oregon vor der Verschreibung des Tötungsmittels betreuen würde, betrüge lediglich 8 Wochen. Das wäre nicht ausreichend, um den Gesundheitszustand des Patienten beurteilen und eine adäquate Behandlung anbieten zu können.

Psychische und soziale Schmerzen rücken in den Vordergrund

Zwei weitere Ärzte aus Belgien berichteten, wie aus der für „äußerste Fälle“ erlaubten „Sterbehilfe“, eine Routinepraxis geworden sei, auf die in Belgien offiziell bereits 2,4% der Todesfälle entfallen würden. Inoffiziell sei die Zahl noch um einiges höher (3,5%). Die Inanspruchnahme der „Sterbehilfe“ von unheilbar und Sterbenskranken würde zudem auf immer weitere Personengruppen erweitert werden. Außerdem würden die Ärzte auch eine Verlagerung der Gründe für die Inanspruchnahme der „Sterbehilfe“ beobachten. Immer weniger ginge es um unerträglich physische Schmerzen, die heutzutage in den allermeisten Fällen erfolgreich von der Palliativmedizin behandelt werden könnten. Immer öfter wäre psychologisches und soziales Leid für den Sterbewunsch verantwortlich – Aspekte also, die außerhalb der Beurteilungs- und Behandlungskompetenz von Ärzten liegen.

Schwieriger, einen Rollstuhl als „Sterbehilfe“ zu bekommen

Der in Kanada tätige Arzt wies darauf hin, dass in seinem Land trotz der eingeführten Schutzmaßnahmen jedes Jahr Fälle von Missbrauch und Nicht-Einhaltung vorgeschriebener Kriterien bekannt würden. Außerdem hätte die Legalisierung der „Sterbehilfe“ Auswirkungen auf die Betreuung, Pflege und Behandlung von Personen, die die Beihilfe zum Suizid nicht in Anspruch nehmen wollen. Mittlerweile gäbe es Regionen, in denen ein Suizidpräparat einfacher zu erhalten sei als ein Rollstuhl. Für Ärzte sei es immer schwieriger sich auf die Gewissensfreiheit zu berufen, zumal „Sterbehilfe“ als eine Standard-„Gesundheitsleistung“ etabliert worden sei. Dies sei auch ein Grund dafür, dass immer mehr Ärzte die Palliativmedizin in Kanada verlassen würden. (AH)

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