Blasphemie
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FR / Menschenrechte: Laut EGMR fällt dargestellte „Abtreibung von Jesus“ unter Meinungsfreiheit

IEF, 16.11.2022 – Der EGMR hat sich im Fall einer französischen Feministin mit den Grenzen zwischen Blasphemie und Meinungsfreiheit beschäftigt.

Simulation der Abtreibung Jesu Christi und Urinieren auf Kirchenboden

Die Französin Eloïse Bouton, die damals der feministischen Aktivistengruppe „Femen“ angehörte, protestierte im Dezember 2013 in der berühmten Pariser Kirche La Madeleine gegen die Haltung der katholischen Kirche zur Abtreibung. Sie störte die Proben zu einem Weihnachtskonzert als sie oberkörperfrei, mit den Worten „344 s*lopes“ (Bezugnahme auf den offenen Brief von 343 berühmten französischen Frauen im Jahr 1971, die angaben, eine Abtreibung hinter sich zu haben, mit dem Ziel, Abtreibungen zu enttabuisieren; mit der zusätzlichen Person meint Bouton wohl sich selbst) auf ihren Körper geschrieben, den Altarraum betrat. Mit mitgebrachten Kalbsleberstücken und mit einem blauen Schleier als Zeichen der Jungfrau Maria bekleidet, stellte sie ein abgetriebenes Jesuskind dar und präsentierte ihren nackten Rücken mit der Aufschrift „Weihnachten ist abgesagt“. Bouton urinierte darauffolgend auch noch auf den Boden der Pariser Kirche. „Femen“ dokumentierte die Aktionen Boutons auf ihrer Facebookseite mit der Beschreibung „Weihnachten ist abgesagt! Vom Vatikan bis nach Paris. Die internationale Serie von Femen gegen die Anti-Abtreibungskampagnen der katholischen Kirche geht weiter, die heilige Mutter Eloïse hat gerade am Altar von La Madeleine das Jesuskind abgetrieben.“

Verurteilung in mehreren Instanzen

Nach der Beschwerde eines Priesters wurde die Französin zu einer einmonatigen Bewährungsstrafe aufgrund sexueller Entblößung und einer Geldstrafe von 2.000 Euro aufgrund immaterieller Schadensverursachung zuzüglich der Prozesskosten von 1.500 Euro verurteilt. Die Berufungen gegen das Urteil blieben erfolglos, sodass sich die Französin schließlich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wandte.

Recht auf freie Meinungsäußerung Boutons verletzt

In seiner nun kürzlich ergangenen Entscheidung urteilte der EGMR, dass die französischen Gerichte das in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verbürgte Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt hätten. Die Beschwerdeführerin, der „kein beleidigendes oder hasserfülltes Verhalten“ vorgeworfen werden könne, habe lediglich zur öffentlichen Debatte über die Rechte der Frau, insbesondere deren „Recht auf Abtreibung“ beigetragen, so die Richter. Die Frau habe nämlich keine Vorstrafen und sei eine gut integrierte Bürgerin, die Geld verdiene. Außerdem habe sie ihren Protest nicht während eines laufenden Gottesdienstes ausgeübt, habe nicht herumgeschrien und sei gegangen, als man sie darum gebeten hatte, so die Erklärungen des EGRM. Die französischen Gerichte hätten sich darauf beschränkt, die Entblößung in einem sakralen Gebäude zu thematisieren, ohne auf Boutons „Gesamtperformance“ und vor allem deren Aussage Rücksicht zu nehmen, wobei auch die öffentliche Entblößung von der Meinungsfreiheit gedeckt wäre. Frankreich wurde vom EGMR zu einer Zahlung an Bouton in der Höhe von 9.800 Euro (2.000 Euro für moralischen Schaden und 7.800 Euro für Prozesskosten) verurteilt. „Das Urteil ist historisch. Es wird rechtliche Präzedenzfälle schaffen und es bedeutet, dass Frauen und militante Feministinnen mithilfe ihres Körpers in Frankreich protestieren dürfen“, zeigte sich Bouton zufrieden und gab zu, dass sie nicht mit einem Urteil zu ihren Gunsten gerechnet hatte.

Einheitliche Vorstellung von der Meinungsfreiheit?

„Das Gericht hätte eine solche makabre Performance definitiv nicht unterstützt , wenn sie in einer Moschee oder auf dem Gelände eines Gerichtsgebäudes stattgefunden hätte“, kritisierte Grégor Puppnick, Direktor des European Center for Law and Justice, das Urteil des EGMR und sieht in den Entscheidungen des europäischen Gerichtshofs einen eindeutigen Doppelstandard. Tatsächlich gab es bereits 2018 einen Fall vor dem EGMR, der sich mit dem Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und dem Islam beschäftigt hatte. Der Fall handelte von einer Österreicherin, die schon seit mehreren Jahren im Rahmen einer Seminarreihe zum Thema „Grundlagen des Islams“ Vorträge im FPÖ-Bildungshaus gehalten hatte. In ihren Vorträgen hielt die Frau fest, dass die in den Überlieferungen geschilderte Ehe zwischen Mohammed, dem Gründer des Islams, und dem sechsjährigen Mädchen Aisha als „Pädophilie“ zu bezeichnen sei. Aufgrund dieser Aussage wurde die Frau wegen der Herabwürdigung religiöser Lehren zu einer Geldstrafe vor den nationalen Gerichten verurteilt. Revisionen gegen das Urteil scheiterten und so wandte sich die Frau unter Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung an den EGMR. Dieser bestätigte damals jedoch das Urteil der österreichischen Gerichte mit der Begründung, dass die Frau „lediglich zeigen wollte, dass Mohammed es nicht wert sei, angebetet zu werden“ und nicht die Allgemeinheit in objektiver Weise informieren wollte, um zu einer gesellschaftlichen Debatte beizutragen. Von Pädophilie zu sprechen, sei eine reine, nicht faktenbasierte Verallgemeinerung, die geeignet sei, Empörung unter den Muslimen auszulösen. Mit ihren Aussagen habe die Frau gegen den „Geist der Toleranz“, der die demokratische Gesellschaft untermaure, mutwillig verstoßen, so die Erläuterungen des EGMR.

Aus diesen zwei Entscheidungen geht hervor, dass der EGMR keine einheitliche bzw. gar eine widersprüchliche Rechtsprechung zum Recht auf Meinungsfreiheit aufweist. Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, warum er in einem Falle durchaus beleidigende und herabwürdigende Handlungen als von der Meinungsfreiheit gedeckt ansieht, während er im anderen Fall eine beleidigende Interpretation geschichtlicher Gegebenheiten als gegen die Religionsfreiheit verstoßend identifiziert. (TS)

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