FR / Lebensende: Debatte um Legalisierung der „Sterbehilfe“ neu entbrannt
IEF, 23.09.2022 – In Frankreich könnte eine Stellungnahme der Ethikkommission bald den Weg für die Legalisierung von assistiertem Suizid und Tötung auf Verlangen ebnen.
Um „Autonomie und Solidarität“ geht es in einer vor kurzem veröffentlichten Stellungnahme der Französischen Ethikkommission (CCNE) zum Thema Lebensende. In dieser äußern 32 der insgesamt 40 Mitglieder der Kommission die Ansicht, dass es Möglichkeiten zu einer „ethischen Leistung aktiver Sterbehilfe“ gebe. Die Stellungnahme könnte damit die Legalisierung des assistierten Suizids und der Tötung auf Verlangen in Frankreich voranbringen.
Möglichkeiten für schwerkranke Menschen im Rahmen der Palliaitvmedizin und der Patientenautonomie
Seit 2005 können sich Patienten in Frankreich im Rahmen ihrer Patientenautonomie dafür entscheiden, eine Behandlung abzubrechen. Seit 2016 haben Menschen, die eine schwere, unheilbare Krankheit haben und bei denen die Lebenserwartung niedrig ist, ein Recht auf tiefe und kontinuierliche Sedierung bis zum Tod. Diese Art von Schmerztherapie wird auch als „indirekte Sterbehilfe“ bezeichnet, da sich die auf Schmerzlinderung angelegte Sedierung auch lebensverkürzend auswirken kann.
„In Frankreich stirbt man schlecht“ – „Sterbehilfe“ könnte in Zukunft erlaubt werden
Die Debatte über eine Legalisierung von Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen wird in Frankreich schon seit einigen Jahren geführt. Laut Medienberichten soll der französische Präsident, Emmanuel Macron, schon in seinem ersten Wahlkampf gesagt haben, er wolle selbst über sein Lebensende bestimmen. Auch Jean-Luis Touraine warb 2021 als Arzt und Abgeordneter für eine Legalisierung von Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen. Er legte einen Gesetzesentwurf vor, welchen 170 Abgeordnete aus seiner Fraktion unterschrieben hatten und behauptete in der Folge: „In allen Parteien sagen wir: in Frankreich, stirbt man schlecht“. Verstärkt wurden diese Stimmen durch die Erfahrung der Corona Pandemie. So berichtet Jean-Luis Touraine: „Die Kranken, die gestorben sind und nicht künstlich beatmet werden konnten, weil sie zu alt sind oder zu krank, sind erstickt. Das ist sehr hart. Manche haben gefleht: Beendet diesen Todeskampf. Und man konnte ihnen nicht helfen“. Bislang hatte sich die Ethikkommission immer gegen eine Liberalisierung von Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen ausgesprochen. In ihrer jüngsten Stellungnahme ist sie erstmals davon abgewichen und könnte so der Legalisierung von „Sterbehilfe“ in Frankreich Vorschub leisten. Emmanuel Macron will ab Oktober eine „convention citoyenne“ (eine Bürgerdebatte) zum Thema Lebensende anstoßen. Diese soll sechs Monate andauern und in einer Gesetzesänderung Ende nächsten Jahres münden.
Ethikkommission hält „ethische Sterbehilfe“ für moglich
„Eine gerechte Artikulation der Prinzipien der Freiheit, der Menschenwürde, der Solidarität und des Respekts der Autonomie“, sei das Ziel der ethischen Beurteilung der jetzigen Gesetzeslage vonseiten der Kommission. Ethische Fragen würden unter anderem bei der Anwendung des Gesetzes zur „indirekten Sterbehilfe“ aus dem Jahre 2016 entstehen. Während der „Respekt der Würde“ für Menschen mit niedriger Lebenserwartung durch die Möglichkeit zur tiefen und kontinuierlichen Sedierung bis zum Tod gewährleistet sei, gebe es für Menschen, die zwar auch schwer und unheilbar krank sind, aber eine mittlere Lebenserwartung haben, nicht immer eine „passende Lösung“. Es könnte in Erwägung gezogen werden, diesen Menschen legalen Zugang zu assistiertem Suizid oder für den Fall, dass sie nicht mehr im Stande sind die Tötungshandlung selbst vorzunehmen, Tötung auf Verlangen zu ermöglichen. Die Ethikkommission kommt in ihrem Papier zu dem Schluss, dass es Situationen gebe, in denen „Sterbehilfe“ „ethisch vertretbar“ sei. Allerdings unter strengen Bedingungen, die ebenfalls mit einer Stärkung der Gesundheitsfürsorge verbunden sein sollten und der eine öffentliche Debatte zu dem Thema vorausgehen sollte.
Gefahren und ethische Aspekte eines „Rechts auf Sterbehilfe“
Nur acht der vierzig Ethiker äußern in einem Abschnitt des Papieres Vorbehalte. Ärzte seien dazu verpflichtet, „zu pflegen und Leben zu respektieren“ und ebenfalls „bedingungslos Leiden zu lindern“, heißt es in der Stellungnahme. Doch darf aus der Verpflichtung, das Leiden von Lebenden zu lindern, ein „Recht auf Sterbehilfe“, das von der Gesellschaft eingefordert werden kann, abgeleitet werden? Die Ethiker weisen auf zwei Gefahren eines solchen „Rechtes“ hin.
Zunächst einmal sei das Risiko einer fehlerhaften Anwendung des Gesetzes groß. So könnte es zum Beispiel zu einem Fehlurteil über die Lage des Patienten kommen.
Noch komplexer ist der folgende Einwand: Ein „Recht auf Sterbehilfe“ könnte auf gesellschaftlicher Ebene den Eindruck vermitteln, dass es lebenswerteres und weniger lebenswertes Leben gibt. Oder, anders gesagt: Die Idee, dass einem kranken Menschen am ehesten durch den Tod aus seiner Notlage geholfen werden kann, könnte das Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen oder von leidenden Menschen als weniger wertvoll erscheinen lassen. Dies wäre auf Dauer kontraproduktiv für eine gute Palliativversorgung, da eine „Killpill“ einfacher und kostengünstiger sei als jede Form der Patientenversorgung. Ein weiterer Punkt betrifft die Rolle der Ärzte. Die Beihilfe zum Suizid könnte als eine Form der kollektiven „Abdankung“ betrachtet werden, das Leben bis zu seinem Ende zu schützen, so die Kritik. (SM)