AT / Sexualerziehung: ÖVP und FPÖ wollen externe Vereine vom Sexualkundeunterricht ausschließen
IEF, 17.06.2019 – Mit einem Entschließungsantrag fordern Parlamentarier die Sicherstellung einer weltanschaulich neutralen Sexualerziehung an Schulen, die ausschließlich von Lehrern gewährleistet werden sollte.
Entschließungsantrag
Die derzeitige, durch externe Vereine angebotene Sexualerziehung an öffentlichen Schulen verstoße vielfach gegen das im Bildungsbereich geltende Indoktrinationsverbot, heißt es in dem von Rudolf Taschner (ÖVP) und Wendelin Mölzer (FPÖ) eingebrachten Antrag. Staatlicher Sexualkundeunterricht müsse „in sachlicher, kritischer und pluralistischer Weise“ erfolgen. Deshalb sollte die Verantwortung für die Sexualpädagogik zukünftig dem schulinternen Lehrpersonal obliegen und externe Vereine aus öffentlichen Schulen ausgeschlossen werden.
Gudrun Kugler (ÖVP), eine der Unterzeichnerinnen des Entschließungsantrags, argumentiert in einem Facebook-Post mit den „teilweise haarsträubenden Inhalten verschiedenster in Schulen tätiger Vereine“. Ihrer Meinung nach seien „an Schulen wirkende Pädagoginnen und Pädagogen ausreichend qualifiziert, im Rahmen des Lehrplans mit Hilfe der bestehenden Lehrbücher sexualpädagogische Unterrichtseinheiten selbst zu gestalten“.
Kritik
Kritik an dem Entschließungsantrag von ÖVP und FPÖ kam postwendend unter anderem von der Liste JETZT, den NEOS, der Plattform Sexuelle Bildung, aber auch von der Lebensschutzorganisation Aktion Leben.
In einer Presseaussendung zum Entschließungsantrag sieht die Liste JETZT die Sexualpädagogik an Schulen durch den Vorschlag gefährdet. Für JETZT Klubobmann Wolfgang Zinggl würde Sexualpädagogik als Instrument der Prävention von Missbrauch und sexualisierter Gewalt Experten erfordern. Auch NEOS-Bildungssprecher Douglas Hoyos kritisiert das Vorhaben, alle externen Vereine vom Sexualkundeunterricht verbannen zu wollen. In einer Aussendung weist er auf den Mangel gut ausgebildeter Sexualpädagogen in Österreich hin. „Ohne ausreichende Ausbildung ist so ein Unterricht aber vollkommen fahrlässig, ohne Qualitätsmanagement geht das doch nicht!“, so Hoyos, der ein besseres Ausbildungsangebot für Pädagogen sowie Qualitätsstandards und ordentliche Qualitätskontrollen fordert.
Initiative für eine qualitätsvolle Sexualpädagogik
Für den Vorsitzenden der Bundesjugendvertretung Jakob Ulbrich seien externe Experten unentbehrlich um in Österreich eine flächendeckende, qualitativ hochwertige Sexualpädagogik für Kinder und Jugendliche zu gewährleisten. „Jugendliche wollen intime Fragen zu Sexualität nicht mit der eigenen Lehrerin besprechen, die am nächsten Tag die Schularbeit kontrolliert. Es ist ein Skandal, wenn junge Menschen nun mit ihren Fragen, Ängsten und Unsicherheiten allein gelassen werden. Externe Vereine, für die sich Schulen frei entscheiden können, sind ein wichtiger Bestandteil von zeitgemäßer Aufklärung“, zitiert die Plattform Sexuelle Bildung in ihrer Presseaussendung Ulbrich und Caroline Pavitsits von der Bundesjugendvertretung.
In der Aussendung heißt es weiter, dass das bundesweite Statement zur Sexualpädagogik der Plattform Sexuelle Bildung von zahlreichen Experten, Institution und Netzwerken unterzeichnet wurde. Im Zusammenhang mit dem Entschließungsantrag wurde auch eine Petition mit dem Titel „#redmadrüber: Initiative für eine qualitätsvolle Sexualpädagogik“ gestartet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Ausschluss externer Vereine vom Sexualkundeunterricht zu verhindern.
Aktion Leben gegen Entschließungsantrag
Unzufrieden mit dem jüngsten Entschließungsantrag zeigt sich auch die Lebensschutzorganisation Aktion Leben. In einer Pressemeldung bezeichnet die Generalsekretärin Martina Kronthaler den Vorstoß der Abgeordneten als „klar rückwärtsgewandt“ und schädlich. Der Sexualkundeunterricht mit externen Spezialisten hätte sich in den letzten Jahren bewährt und könne schulintern nicht abgedeckt werden. „Sexualpädagogik ist wichtig und braucht einen höheren Stellenwert an Schulen“, so Kronthaler. Aktion Leben, welche selbst sexualpädagogische Workshops anbietet, setzt sich für Qualitätssicherung und Transparenz in der Sexualpädagogik an Schulen ein und fordert anstelle des Verbots eine staatliche Finanzierung externer Workshops.
Sexualerziehung beeinflusst den künftigen Lebensweg der Kinder
Wendelin Mölzer (FPÖ), einer der Einbringer des Entschließungsantrags, sieht in dem Aufschrei zahlreicher Akteure den Wunsch der „Linken Lobby die Sexualerziehung an Schulen zu privatisieren“. Für ihn hat Sexualerziehung ihren Platz im Biologieunterricht. „Diesen hochsensiblen Unterricht, verschiedenen Vereinen unterschiedlichster Weltanschauungen in die Hände zu geben, halte ich in Anbetracht der neu gewonnenen Erkenntnisse für grob fahrlässig“, so der Bildungssprecher der Freiheitlichen. Sexualkundeunterricht würde den künftigen Lebensweg der Schüler maßgebend beeinflussen und müsse deshalb besonders behutsam angegangen werden. „Hier gilt es klar das Neutralitätsgebot zu achten und zu wahren. Sollten sich Lehrerinnen und Lehrer mit der Thematik überfordert fühlen, so ist es hoch an der Zeit, hier entsprechende Verbesserungen und Qualitätsstandards zu ermöglichen“, so Mölzer.
Anwesenheitspflicht der Lehrer bei Schulworkshops
Von denselben Vertretern, die nun gegen den Entschließungsantrag protestieren, wurde auch schon im Vorfeld der noch unter Bildungsminister Faßmann ausgegebene Durchführungserlass, demnach die Lehrkräfte während dem Angebot externer Veranstalter ihrer Aufsichtspflicht nicht entbunden seien und bei der Klasse bleiben sollten, kritisiert (das IEF hat berichtet). Während Bildungsdirektionen und das Ministerium selbst dies als selbstverständliche Folge aus den Lehrerpflichten ableiten, liefen einige Vertreter progressiver sexualpädagogischer Ansätze dagegen Sturm. So etwa auch die Austrian Medical Students‘ Association und das Sexualpädagogische Aufklärungsprojekt „Achtung Liebe“, die in ihrem Statement auf Facebook betonen, dass gerade die Tatsache, dass externe Anbieter nach dem Workshop „wieder weg“ seien und in keinem Hierachieverhältnis zu den Schülern stünden, ermögliche, dass die Kinder und Jugendlichen frei und ungezwungen reden könnten.
Ein Argument, das für Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF) nur schwer nachvollziehbar ist. Denn abgesehen von der Lehrkraft entsteht Druck für Schüler und Schülerinnen ja auch vor allem durch die Mitschüler. Es sei daher durchaus zu hinterfragen, ob die bei Fragen zur (individuell gelebten) Sexualität sicherlich wichtige Vertraulichkeit, aber auch Verschwiegenheit in Workshops vor dem Klassenverband überhaupt erreicht werden kann, oder diesfalls nicht viel eher auf (Einzel-)Angebote außerhalb des Unterrichts verwiesen werden sollte. Insbesondere da eine Verschwiegenheitsklausel nur die Pädagogen trifft bzw treffen kann, nicht aber die (Mit-)Schüler.
Duales System als Lösung
Mag. Johannes Reinprecht, Direktor des Instituts für Ehe und Familie, vermisst in der Diskussion vor allem Verweise darauf, dass Sexualerziehung zuvörderst Aufgabe und Verantwortung der Eltern sei. Die Schule hätte hier eine ergänzende und unterstützende Funktion. Im Hinblick auf das Lehrpersonal sieht Reinprecht durchaus den Bedarf nach Entlastung der Lehrer durch den Ausbau von Aus- und Fortbildungsangeboten im Bereich Sexualpädagogik. Die Vermittlung des Lehrstoffs gemäß Lehrplan müsse jedoch weiterhin primäre Aufgabe der Lehrkräfte bleiben und sollte nicht einfach an externe Vereine ausgelagert werden. Der Entschließungsantrag der Parlamentarier können ihm zufolge wohl nur als Interimslösung zum Schutz der Kinder vor bedenklichen Inhalten mancher Wokshops verstanden werden. Dies vor dem Hintergrund der Aussagen des stv. Generalsekretärs des Bildungsministeriums, Martin Netzer. Dieser äußerte sich in einem Standard-Artikel zu einigen Wokshopanbietern, die Kinder im Volksschulalter auf eine Art und Weise ermutigt würden ihren Körper kennen zu lernen, die an Kinderpornographie grenzen würde (das IEF hat berichtet). Langfristig plädierte der IEF- Direktor für ein duales System, das neben Aus- und Fortbildungsangeboten für Lehrer, auch ein wohl überlegtes Akkreditierungsverfahren für externe Anbieter vorsieht. (AH)