AT / Abtreibung: „Ist der Feminismus behindertenfeindlich?“ – Bericht der Podiumsdiskussion
IEF, 08.05.2018 – Im September letzten Jahres kam Thomas Fürhapters Dokumentarfilm „Die dritte Option“ über die biopolitischen Implikationen der Pränataldiagnostik in die österreichischen Kinos und sorgt noch immer für Gesprächsstoff.
Letztens lud das Admiral Kino in Wien zu einer Sondervorstellung und Diskussion mit namhaften Expertinnen und Experten ein. Am Podium saßen: DDR. Ursula Naue vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Mag. Marianne Karner, in Ausbildung zum Peer-Counselor für behinderte Menschen, Mag. Dr. Erich Grießler vom Institut für Höhere Studien und der Filmregisseur, Mag. Thomas Fürhapter. Moderiert wurde die Diskussion von Gini Brenner.
Zunächst setzten sich die Podiumsteilnehmer kritisch mit dem Thema des Abends „Ist der Feminismus behindertenfeindlich?“ auseinander und einigten sich darauf, die Diskussion weiter zu fassen und auch über die Fragen der Reproduktionsselbstbestimmung, der gesellschaftlichen Sicht auf Behinderung im Allgemeinen, der Frage der Selbstoptimierung und den Umgang mit lebensbeendenden Maßnahmen am Beginn und Ausgang des Lebens zu diskutieren.
Thomas Fürhapter meinte, der Titel der Veranstaltung beziehe sich wahrscheinlich auf die Reaktion einer Frau auf Facebook, die nach einem Screening des Films den Regisseur in die Lebensschützerecke gedrängt und auf die Selbstbestimmung der Frau gepocht habe. Er selbst habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass Feministinnen oft viel skeptischer gegenüber einem Spätabbruch eingestellt seien, als zum Beispiel (männliche) Ärzte.
Ursula Naue stellte klar, dass es im gesetzlichen Kontext zwei Formen der Selbstbestimmung gebe. Erstens bestünde die Möglichkeit innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft sich prinzipiell für oder gegen die Schwangerschaft zu entscheiden. Zweitens könne man bis kurz vor der Geburt aufgrund medizinischer bzw. eugenischer Indikation einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen.
Für Brenner stellte sich daraufhin die Frage, ob es nicht eine urfeministische Einstellung sei, Frauen, die ein behindertes Kind bekommen möchten, zu unterstützen. Das wollte DDr. Naue, die sich selbst nach einer auffälligen Diagnose im Rahmen der Pränataldiagnostik für die Geburt ihrer behinderten Tochter entschieden hatte, nicht leugnen, wies jedoch darauf hin, dass Behinderung oft mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden sei. Die Annahme eines behinderten Kindes sei nicht nur eine Frage, die sich vor der Geburt stelle. Aufgrund mangelnder Inklusion beziehe sich die Entscheidung auf die gesamte Lebensdauer des behinderten Kindes.
Erich Grießler wies im weiteren Verlauf der Diskussion darauf hin, dass Eltern bzw. die Frau durch eine auffällige Diagnose im Rahmen der Pränataldiagnostik in eine unmögliche Situation gestellt wären – sie müssten über Leben oder Tod ihres möglicherweise behinderten Kindes entscheiden. Die gesellschaftliche und politische Gleichgültigkeit und Verdrängung dieser Thematik konnte er unter anderem beim Bemühen um die Finanzierung einer Studie, die sich unter anderem mit der Pränataldiagnostik beschäftigte, am eigenen Leib erfahren. Er gab zudem zu bedenken, welche Informationen den Eltern und Ärzten zur Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen, wieviel Zeit zur Entscheidungsfindung gegeben wird bzw. wie sich die Rahmenbedingungen darstellen.
Auf den gesellschaftlichen Hintergrund wies auch Thomas Fürhapter hin. Die medizinischen Kategorien von „normal“ und „abnormal“ würden zwar keine Wertung beinhalten und wären somit neutral zu verstehen, dies würde jedoch im gesellschaftlichen Kontext nicht so gehört werden. Er warf zudem die Frage auf, warum im Falle von eugenischer Indikation eine Individualentscheidung zu treffen sei. Für ihn sei dies eine viel interessantere Frage, als die Überlegung, wie man sich im konkreten Fall entscheiden soll.
Das nächste Thema dem sich die Publikumsteilnehmer widmeten, waren Alternativen zur eugenischen Indikation. DDr. Naue meinte dazu, dass ein Verbot der eugenischen Indikation nicht die Lösung des Problems wäre, da Behinderung dadurch nicht „anerkannter” in der Gesellschaft werden würde. Das Bild von Behinderung würde sich nicht ändern. Sie wies darauf hin, dass laut Art 8 der UN-Behindertenrechtskonvention Österreich zur Bewusstseinsbildung verpflichtet sei, jedoch nur sehr wenig in diesem Bereich unternehme. Der von der Konvention vorgeschriebene Monitoringausschuss verzeichne auf dem Gebiet eher Rückschritte. Ohne gesellschaftlichen Druck werde sich am Status Quo wohl nichts ändern, so Naue.
Der Kritik an einem möglichen Verbot der Spätabtreibung bei eugenischer Indikation stimmte auch der Filmregisseur zu. Eine singuläre Gesetzesänderung (Verbot der Spätabtreibung) würde lediglich dazu beitragen, das gesellschaftliche Problem wieder „auf dem Rücken der Frauen“ auszutragen – man würde sie zwingen ein behindertes Kind zu bekommen, ohne ihnen Hilfestellungen anzubieten.
Dagegen sprachen sich Grießler und einige Stimmen aus dem Publikum aus. Eine Änderung des Gesetzes könne die Art und Weise, wie Behinderung in der Gesellschaft gesehen wird, durchaus positiv beeinflussen. Wäre die eugenische Indikation nicht mehr im Gesetz, müsste der Gesetzgeber auch Ressourcen für Pflege und Erziehung behinderter Kinder zur Verfügung stellen.
Für Karner sei Selbstbestimmung am Beginn und Ende des Lebens nicht wirklich gegeben, da Entscheidungen über Leben oder Tod unter Druck und Angst getroffen würden. Die Medizin sei auch keine exakte Wissenschaft und die Ärzte würden sich immer wieder bei ihren Prognosen irren. Dies hielte sie (die Ärzte) jedoch nicht davon ab, Frauen zu einer Abtreibung zu drängen. Aber auch Karner stimmt zu, dass die Lösung des Problems nicht in einer singulären Gesetzesänderung liegen könne. Vielmehr sei hier an zahlreiche Maßnahmen zu denken wie etwa auch das Abschaffen von Sonderschulen und Änderungen im Sozialversicherungsrecht.
Auf die Anregung aus dem Publikum, die Diskussion bereits beim Umgang mit der Pränataldiagnostik anzusetzen, da hier bereits Zwang auf die Frau ausgeübt werde, äußerste Grießler Bedenken. Aufgrund der Haftungsfragen und dem Bestreben der Ärzte nach rechtlicher Absicherung sei eine Änderung des Umgangs bisher schwierig, meinte Grießler.
Für Regisseur Fürhapter gebe es zudem auch keine „Unschuld des Nichtwissens“. Auch wenn man das Angebot der Pränataldiagnostik nicht in Anspruch nehme, so der Regisseur, müsse man sich immer für oder gegen das Kind entscheiden.
Zuletzt gingen die Experten noch der Frage nach, warum Behinderung derart negative Assoziationen bei so vielen Menschen hervorrufe. Marianne Karner, die ihre Behinderung erst im Erwachsenenalter bekommen hat, meinte, Behinderung würde der Gesellschaft einen Spiegel vorsetzen und sie an ihre eigene Verletzlichkeit erinnern. Dies solle jedoch so gut wie möglich ausgeblendet werden. In einem neoliberalem Wirtschaftssystem in dem es nur um Leistung ginge, würde das Sein gemäß der Norm als Wert, das „Abnormale“ jedoch als Unwert verstanden werden.
Für Karner könne aber auch jeder einzelne dazu beitragen, dass sich das negative Bild ändere.