EU / Lebensende: EGMR – „Kein Recht auf Suizidassistenz“
IEF, 22.04.2022 – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte jüngst in einem Urteil klar, dass es den Mitgliedsstaaten freistehe, wie sie die Suizidassistenz regeln.
Dänemark: Arzt leistete verbotene Suizidassistenz
In dem Urteil vom 12.4.2022 behandelte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Beschwerde eines in Dänemark verurteilten ehemaligen Arztes, Sven Lings. In Dänemark ist jede Form der „Sterbehilfe“ verboten. Entgegen diesem Verbot hatte der heute 81-jährige Mediziner und Sterbehilfeaktivist mehreren Menschen Suizidassistenz geleistet. Außerdem hatte er auf einer Website eine Anleitung zum Suizid veröffentlicht und die detaillierte Beschreibung von rund 300 Medikamenten und deren erforderlicher Dosis zur Selbsttötung online gestellt. Dem Arzt wurde die Berufsberechtigung entzogen. Außerdem wurde er von einem dänischen Höchstgericht zu 60 Tagen Haft verurteilt, die er aufgrund seines Alters nicht antreten musste. Lings reichte Beschwerde beim EGMR ein mit der Begründung, dass das Verbot der Suizidassistenz sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletze.
EGMR: Verbot der Suizidassistenz ist menschenrechtskonform
Der EGMR stellte klar, dass das dänische Verbot der Suizidassistenz, das „Gesundheit und Moral sowie die Rechte Dritter sichern“ solle, nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 10 Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) verletze. Außerdem sei aus der EMRK kein Rechtsanspruch auf Suizidassistenz abzuleiten, auch nicht in Form von entsprechend bereitzustellender Information über Suizidassistenz, so der Europäische Menschengerichtshof. Es sei den Mitgliedsstatten vielmehr freigestellt, die Sterbehilfe nationalstaatlich zu regeln.
Österreich: Kämpferin für selbstbestimmtes Leben nimmt sich das Leben
Während der belgische Bericht über Euthanasiefälle im Jahr 2021 zum wiederholten Mal einen erneuten Anstieg der „Sterbehilfe“-Fälle zeigt, wurde in Österreich der Suizid einer Aktivistin für Menschen mit Behinderung bekannt. Die Salzburgerin Andrea Mielke, die von Geburt an an Spinaler Muskelatrophie litt, setzte sich seit Jahrzehnten für das selbstbestimmte Leben Behinderter unter anderem durch Persönliche Assistenz ein. „Jetzt ist es genug und es ist gut, sehr gut. Jetzt brauche ich endlich Ruhe“, gab sie in einer Meldung bekannt, die bizeps nach ihrem Tod veröffentlichte. Sie freue sich darauf „nie mehr Kämpfe mit Ämtern und Behörden führen zu müssen“, so Mielke. Auch der ORF berichtete über das „Versterben“ von Mielke. „Auch ihren letzten Weg wollte sie in Würde bestreiten und entschied sich als erste Salzburgerin für den assistierten Suizid“, so der ORF.
Kritik: „Mediale Darstellung verklärt Suizid“
„Auffällig ist bei sämtlichen Berichten über Mielkes Tod, dass kein Medium ausspricht, was für einen Tod Mielke gestorben ist, nämlich dass sie sich selbst das Leben genommen hat. Verwunderlich ist auch, dass ihr Tod nicht als Verlust beschrieben und wahrgenommen wird – als Lücke, die sie hinterlässt, sondern eher als hinzunehmendes Ergebnis einer ehrenhaften Entscheidung,“ kommentiert Teresa Suttner-Gatterburg, juristische Mitarbeiterin am Institut für Ehe und Familie (IEF), die Berichterstattung. Es entstehe der Eindruck, dass der „selbstbestimmte Tod“ es vielleicht sogar verbiete, um eine Person zu trauern, da sie es ja geschafft habe, ihre Selbstbestimmung zu leben. Statt zu kritisieren, dass Mielke Zeit ihres Lebens um Lebensassistenz kämpfen musste und nun den Kampf aufgebe, werde berichtet, dass sie sich mit Hürden bei der Erstellung der Sterbeverfügung konfrontiert gesehen habe. Hier werde laut Suttner-Gatterburg der falsche Rückschluss gezogen. „Gefordert werden muss, dass Menschen mit Behinderung jede lebensnotwendige Unterstützung bekommen, um selbstbestimmt leben zu können – und sich nicht in den Tod gedrängt fühlen. Stattdessen wird der Suizid als letzter Akt selbstbestimmten Handelns verklärt und als Art des würdigen Sterbens stilisiert, dem nichts und niemand im Weg stehen darf“, kritisiert die Medizinrechtsexpertin die mediale Darstellung.
Verantwortung der Medien
Auch die Bioethikerin Susanne Kummer kritisierte kürzlich den Umgang der Medien mit Suizid. Im laufenden Diskurs gewinne man den Eindruck, dass „die Autonomie zunehmend als Autokratie, also einer Art Herrschaft des einzelnen über andere, die seinen Willen umsetzen müssen, umgedeutet wird“, so die Ethikerin. Medienschaffende sollten ihre Verantwortung in der Suizid-Berichterstattung wahrnehmen. „Hier werden Bilder geprägt – wie etwa, dass Beihilfe zum Suizid die Lösung für Probleme ist, – die das Selbstverständnis vieler, gerade älterer oder Menschen mit dauerhaften körperlichen Einschränkungen, negativ beeinflussen können“, warnt Kummer.
Dieser Verantwortung werden der ORF und die meisten großen Medienhäuser in Österreich nicht gerecht, fügt Suttner-Gatterburg dem hinzu. (TSG)