drittes Geschlecht
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EU / Gender: Geschlechtswechsel beschäftigt europäische Gerichte

IEF, 17.01.2022 – Während die Schweiz und die Niederlande den Wechsel zwischen den Geschlechtern vereinfachen, ist in Großbritannien derzeit keine Einführung einer dritten Geschlechtskategorie vorgesehen.

Schweiz: Personen ab 16 sollen einfach Geschlecht wechseln können

Wie Euronews berichtet, können Schweizer seit Anfang des Jahres ihr Geschlecht durch einen Besuch beim Zivilstandsamt legal ändern ohne eine entsprechende medizinische Diagnose vorweisen zu müssen, oder einen Nachweis über vorausgegangene Untersuchungen, oder eine Hormontherapie vorzulegen. Die Schweiz folgt mit diesem Schritt Irland, Belgien, Portugal und Norwegen.

Nach Artikel 30b Schweizerisches Zivilgesetzbuch können künftig Personen ab 16 Jahren, die nicht unter Vormundschaft stehen, ihr Geschlecht und ihren bürgerlichen Namen durch Selbsterklärung beim Zivilstandsamt anpassen. Jüngere Personen und Personen, die unter Erwachsenenschutz stehen, benötigen die Zustimmung des Vormunds.

Bisher war die Eintragung in das Personenstandsregister in den Kantonen regional geregelt. Während in einigen Regionen die Vorlage eines Attests einer medizinischen Fachkraft, das die Transgender-Identität des Antragstellers bestätigte, ausreichte, verlangten andere Regionalbehörden bisher eine Hormonbehandlung oder eine geschlechtsangleichende Operation.

Niederlande: Schneller Wechsel auch auf „nicht-binär“

Seit 2018 kann in einem niederländischen Pass „X“ als „drittes Geschlecht“ angegeben werden. Seit 2020 wiederum konnten Antragsteller ihr Geschlecht ohne Einbeziehung eines Arztes oder Therapeuten von männlich auf weiblich, oder umgekehrt wechseln. Der Wechsel auf das so genannte „nicht-binäre Geschlecht“ setzte jedoch bisher noch die Beteiligung eines Therapeuten oder Psychiaters an dem Verfahren voraus. Aufgrund eines entsprechenden Präzedenzfalles, könnte diese Regelung fallen.

Wie Dutch News berichtet, hatte der 30-jährige Ryan Ramharak, der selbst transgender ist, Einwände gegen die in seinen Augen diskriminierende Regelung erhoben. Das Gericht entschied, dass Ramharaks individuelles Interesse an einer Änderung der Geburtsurkunde höherwertig als das allgemeine Interesse an einer strikten Durchsetzung der aktuellen Rechtslage sei. Es bestehe bereits eine „soziale und rechtliche Anerkennung einer neutralen Geschlechtsidentität“, und es gäbe „gesetzliche Entwicklungen, um diese Anerkennung in Gesetze umzuwandeln“, urteilte das Gericht.

Lisa van Ginneken, Abgeordnete der linksliberalen Partei Democraten 66 brachte nach dem Urteil umgehend eine Gesetzesvorlage ein, der die Notwendigkeit eines Attests auch für jene beseitigen würde, die als nicht-binär gelistet werden möchten.

Der im sechsten Monat schwangere Ramharak ist derweil noch in einen weiteren Rechtsstreit verwickelt. „Ich werde auf der Geburtsurkunde als Mutter eingetragen aber ich fühle mich nicht als Mutter oder Vater, sondern als Elternteil“, so Ramharak, der vor einigen Jahren ohne geschlechtsangleichende Operation sein Geschlecht von weiblich auf männlich änderte.

Großbritannien kennt – derzeit – nur zwei Geschlechter

In Großbritannien wurde der Forderung nach Eintragung eines dritten Geschlechts in Pässe vom Supreme Court, dem obersten Gerichtshof, nicht stattgegeben. Christie Elan-Cane, eine Aktivistin, die sich – wie Daily Mail berichtet – seit mehr als 25 Jahren für die rechtliche und soziale Anerkennung nicht geschlechtsspezifischer Identitäten einsetzt, hatte ihren Fall in der letzten Runde eines Rechtsstreits um „X“-Pässe vor das höchste Gericht des Vereinigten Königreichs gebracht.

Elan-Cane hatte argumentiert, dass das britische Passantragsverfahren, bei dem Personen angeben müssen, ob sie männlich oder weiblich sind, gegen Artikel 8 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoße.

„Die legitimierte Identität ist ein grundlegendes Menschenrecht, aber Menschen ohne Geschlecht werden oft so behandelt, als hätten wir keine Rechte“, so Elan-Cane. „Das britische Passantragsverfahren verlangt von den Antragstellern, dass sie angeben, ob sie männlich oder weiblich sind. Es ist unangemessen und falsch, dass jemand, der sich weder als das eine noch als das andere sieht, zu dieser Erklärung gezwungen werden sollte.“

Der Supreme Court urteilte, dass die ausstellende Passbehörde lediglich aufgrund der vorzulegenden Dokumente, wie etwa der Geburtsurkunde das Geschlecht im Pass einzutragen habe. Da in der gesamten britischen Rechtsordnung keine „nicht-geschlechtsspezifische“ Eintragung vorgesehen ist, könne das Passamt eine solche abweichende Eintragung nicht aufgrund eigenen Ermessens vornehmen. Im Ergebnis, drohe ansonsten auch die Gefahr, dass in Personenstandsurkunden unterschiedliche Geschlechter angegeben werden. Die Kohärenz des britischen Rechtssystems überwiege daher dem Interesse der Antragstellerin auf geschlechtsneutrale Eintragung in ihren Pass.

Mit seinem Urteil spielte der Supreme Court den Ball letztlich zurück an die Politik. Zu erwarten ist, dass die Bestrebungen der Aktivisten nach Einführung einer dritten Kategorie in Personenstandsurkunden fortgesetzt werden.

Deutsche Regierung ernennt „Queer-Beauftragten“

In der neu gebildeten deutschen „Ampel“- Regierung gibt es erstmals die Funktion eines „Beauftragten der Bundesregierung für die Akzeptanz der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt“. Die Bundesregierung, bestehend aus den Sozialdemokraten (SPD), den Grünen und den Freien Demokraten (FDP), hatte den Plan zuvor in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt: „Deutschland soll Vorreiter im Kampf gegen Diskriminierung werden“, heißt es in der Vereinbarung. Das Amt ist im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelt. Sven Lehmann (Grüne) soll künftig die Erstellung und Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und die damit verbundene Information der Öffentlichkeit koordinieren. Im Rahmen seiner Ernennung sagte Lehman, dass der Schutz aller Menschen unabhängig von ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität im Einklang mit dem Grundgesetz gewährleistet sein müsse und dass die Grundrechte von trans-, inter- und nicht-binären Menschen endlich voll durchgesetzt werden müssten. (KL)

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