Elternschaftszertifikat
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EU / Familie: Selektive Sicht auf das Kindeswohl

IEF, 19.12.2022 – Der Europäische Rat soll nächstes Jahr über eine EU-Verordnung zur grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft abstimmen.

2021 legte die Europäische Kommission eine Gesetzesinitiative zur gegenseitigen Anerkennung von Elternschaft innerhalb der EU vor. Das Institut für Ehe und Familie (IEF) hat hierzu ausführlich berichtet und im Rahmen der öffentlichen Konsultation eine Stellungnahme eingebracht, in der es Kritik an dem Regulierungsprojekt der Kommission äußerte.

EU-Kommission präsentiert Vorschlag für eine Verordnung

Nach Abschluss der öffentlichen Konsultation erarbeitete die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur grenzüberschreitendenden Anerkennung der Elternschaft zwischen den Mitgliedstaaten und der Schaffung eines europäischen Elternschaftszertifikats, der am 7. Dezember präsentiert wurde. Ziel der Initiative ist es, dass die in einem EU-Mitgliedstaat festgestellte Elternschaft ohne spezielles Verfahren EU-weit anerkennt wird. Damit soll verhindert werden, dass bei Reisen oder Umzug in ein anderes EU-Land, die sich aus der Elternschaft ergebenden Rechte eines Kindes gefährdet werden und die Freizügigkeit in der Union eingeschränkt wird. Zu solchen nach nationalem Recht aus der Elternschaft erwachsenden Rechten gehören etwa das Erbrecht, das Unterhalts- und Sorgerecht oder das Recht der Eltern, als rechtliche Vertreter des Kindes (für die Schulbildung oder für Gesundheitsfragen) aufzutreten.

Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats

Der Vorschlag der Kommission sieht zudem die Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats vor. Dieses soll von Kindern oder ihren gesetzlichen Vertretern in jenem Mitgliedstaat, in dem die Elternschaft begründet wurde, beantragt werden können. Das Zertifikat müsste dann überall in der EU anerkannt werden.

Homo-Adoption, Leihmutterschaft und neue Familienformen

Im Moment gibt es innerhalb der EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtsvorschriften in Bezug auf Familiengründung und Elternschaft. Uneinigkeit bzw. Schwierigkeiten bei der gegenseitigen Anerkennung von Elternschaft besteht vor allem in Bezug auf Kinder, die von homosexuellen Paaren adoptiert wurden und jenen, die aus Leihmutterschaft stammen. Sollten in einem EU-Land in Zukunft mehr als zwei Personen als rechtliche Elternteile zugelassen werden, wie das etwa in Deutschland diskutiert wird (das IEF hat berichtet), müssten auch diese Familienkonstellationen bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts EU-weit anerkannt werden.

Aushöhlung der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten

Was die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten betrifft, so fällt das Familienrecht inklusive des Personenstandsrechts in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Länder. Die Feststellung der Elternschaft in einem rein nationalen Kontext soll daher auch bei Umsetzung der vorgeschlagenen Verordnung weiterhin ausschließlich durch nationales Recht geregelt werden. Die EU kann jedoch familienrechtliche Maßnahmen mit grenzüberschreitenden Bezügen erlassen.

Ob die vorgeschlagene Verordnung die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten nicht ungehörig aushöhlt, ist umstritten. Schließlich drängt sie die im Bereich des Familienrechts liberalste Gesetzgebung in der EU allen anderen Mitgliedstaaten auf.

Entscheidung liegt beim Rat

Nach der Veröffentlichung des Verordnungsvorschlags steht es den EU-Bürgern nun offen, Rückmeldungen hierzu abzugeben. Diese werden von der Europäischen Kommission zusammengefasst und dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt. Um seine Rechtswirkung zu entfalten, muss der Vorschlag der Kommission schließlich vom Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig angenommen werden. Sollte es zu einer Annahme kommen, würde die Verordnung unmittelbar in allen Mitgliedstaaten gelten.

IEF-Kommentar

Im Vorschlag der Kommission wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die Verordnung über die Anerkennung der Elternschaft vor allem auf das Wohl und die Rechte des Kindes abzielt. Sie soll Grundrechte von Kindern, einschließlich ihres Rechts auf Identität, Nichtdiskriminierung und auf Privat- und Familienleben schützen. Der Vorschlag nimmt zudem mehrfach, wenn auch selektiv, auf die UN-Kinderrechtskonvention Bezug. Selektiv, da gewisse Aspekte des Kindeswohls ausgeklammert werden. So heißt es in der UN-Kinderrechtskonvention nämlich, dass jedes Kind das Recht hat, seine biologischen Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden. Die Konvention verbietet zudem den Verkauf und Handel mit Kindern. Gegen beide Vorschriften wird im Falle der Leihmutterschaft verstoßen. Die geplante Verordnung würde die Inanspruchnahme dieser ausbeuterischen reproduktionsmedizinischen Praxis jedoch durch die automatische Anerkennung der Elternschaft in der ganzen EU erleichtern. (AH)

Weitere ausführlichere Kommentare zur geplanten Verordnung der EU-Kommission finden Sie hier.

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