Elternschaft
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EU / Familie: EuGH verfügt grenzüberschreitende Anerkennung der Elternschaft

17.12.2021 – Das in einem EU-Mitgliedsstaat festgestellte Abstammungsverhältnis muss von allen anderen Mitgliedsstaaten anerkannt werden.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in der Rechtssache V.M.A. gegen Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“ kürzlich ein mit Spannung erwartetes Urteil gefällt, das sich mit der grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft innerhalb der EU befasst. Konkret musste sich das Gericht mit der Weigerung der Ausstellung einer Geburtsurkunde für das Kind eines lesbischen Ehepaares durch ein Mitgliedsland, das weder die gleichgeschlechtliche Ehe noch die gleichgeschlechtliche Elternschaft anerkennt, auseinandersetzen. Die Entscheidung des EuGH erging im Anlassfall in Bezug auf das EU-Mitglied Bulgarien, ist jedoch in ähnlich gelagerten Fällen auf alle anderen Mitgliedsstaaten anzuwenden.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Das Kind eines lesbischen Ehepaares wurde in Spanien, dem Aufenthaltsstaat der beiden Frauen, geboren und in das spanische Personenstandsregister eingetragen. Die spanischen Behörden stellten zudem eine Geburtsurkunde aus, in der eine der Frauen als „Mutter A“ und die andere als „Mutter“ eingetragen wurde. Eine der „Mütter“ ist britische, die andere eine bulgarische Staatsbürgerin (V.M.A.). Das Kind hat nach bulgarischem Recht die bulgarische Staatsbürgerschaft und ist somit auch Unionsbürger. Um Identitätspapiere, wie Personalausweis oder Reisepass, für das Kind zu erhalten, hat die aus Bulgarien stammende Mutter um die Ausstellung einer bulgarischen Geburtsurkunde in ihrem Heimatland angesucht. Die bulgarische Behörde wollte zunächst wissen, welche der beiden, in der spanischen Geburtsurkunde eingetragenen Frauen die leibliche Mutter des Kindes sei. Nachdem sich die Antragstellerin weigerte, eine derartige Angabe zu machen, stellte die Behörde fest, dass die Ausstellung einer bulgarischen Geburtsurkunde nicht möglich sei. Das in Bulgarien gültige Muster sehe nämlich nur Felder für die Eintragung einer Mutter und eines Vaters vor, jedoch nicht von zwei Müttern. Die gleichgeschlechtliche Ehe sowie gleichgeschlechtliche Elternschaft sind nach bulgarischem Recht nicht zulässig. V.M.A. klagte gegen die Entscheidung der Behörde beim Verwaltungsgericht, das den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.

Unionsrecht verpflichtet zur Anerkennung von Abstammungsverhältnissen Minderjähriger

Der EuGH entschied nun, dass die bulgarischen Behörden verpflichtet seien, dem Kind der Klägerin einen Personalausweis oder Reisepass auszustellen und zwar unabhängig davon, ob zuvor eine bulgarische Geburtsurkunde ausgestellt wird oder nicht. Außerdem sei Bulgarien, genauso wie jeder andere Mitgliedsstaat, verpflichtet, das sich aus dem spanischen Dokument ergebende Abstammungsverhältnis anzuerkennen, um dem Kind so die Ausübung seines Aufenthalts- und Freizügigkeitsrechts innerhalb der EU-Mitgliedstaaten mit jedem der beiden Elternteile zu gewährleisten.

Der Gerichtshof betonte in seiner Entscheidung zwar, dass das Personenstandsrecht in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten falle, denen es freigestellt sei, ob sie in ihrem nationalen Recht die Ehe oder Elternschaft für Personen gleichen Geschlechts erlauben. Bei der Ausübung seiner Kompetenz dürften die Mitgliedsstaaten jedoch nicht die Grundfreiheiten wie jene der Aufenthaltsfreiheit und der Freizügigkeit ungerechtfertigt beschränken. Ungerechtfertigt sei eine Einschränkung dann, wenn sie gegen die in der EU-Charta verbürgten Grundrechte verstoße. Dem „Kind die Beziehung zu seinen beiden Elternteilen bei der Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit vorzuenthalten, die Ausübung des Rechts unmöglich zu machen oder zu erschweren, weil seine Eltern gleichen Geschlechts sind, sei dabei ein klarer Verstoß gegen die aus Artikel 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Artikel 24 (Rechte des Kindes) der Charta erwachsenden Grundrechte.

Die auferlegten Pflichten würden laut dem EuGH auch nicht der nationalen Identität und öffentlichen Ordnung Bulgariens oder eines anderen Aufnahmemitgliedsstaats widersprechen. Die Ausstellung eines Identitätsdokuments und die Anerkennung des Abstammungsverhältnisses würden nämlich ausschließlich dem Zweck dienen, dem Kind die Ausübung der ihm aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte wie der Aufenthaltsfreiheit und Freizügigkeit, zu ermöglichen.

Kommt das Urteil einer Legalisierung der Leihmutterschaft gleich?

Für Österreich bleibe die Entscheidung des EuGH insofern folgenlos, als die gleichgeschlechtliche Ehe und die gleichgeschlechtliche Elternschaft hierzulande rechtlich anerkannt sind, hält Antonia Holewik, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF) fest. Es stelle sich jedoch die Frage, ob die Entscheidung des EuGH ebenso auf Fälle anzuwenden sei, in denen ein Kind im Wege der Leihmutterschaft zur Welt kommt, diese Praxis aber im Ursprungs- oder einem weiteren Aufnahmemitgliedsstaaten verboten ist und die Anerkennung des Abstammungsverhältnisses de facto einer Umgehung des nationalen Verbots gleichkommen würde. Derartige Fälle würden nämlich auch Österreich tangieren, so Holewik, da hierzulande die Praxis der Leihmutterschaft verboten ist. Nachdem der EuGH im gegenständlichen Fall mit der Wahrung des Unionsrechts und der Charta der Grundrechte argumentiert, würde er die Verpflichtung wahrscheinlich auch bei Vorliegen einer Leihmutterschaftsvereinbarung den Mitgliedsstaaten auferlegen, befürchtet Holewik. Womöglich würde der EuGH in einem solchen Fall aber die nationale Identität und die öffentliche Ordnung eines Mitgliedsstaates als verletzt ansehen. Zumindest wäre daran zu denken, so Holewik, dass der EuGH dann analog zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur Wahrung des Kindeswohls und der Unionsrechte keine automatische Anerkennung der Elternschaft, sondern beispielsweise lediglich eine Anerkennung im Zuge der Adoption, fordern könnte.

Wie auch immer der EuGH Fälle, die die ausbeuterische Praxis der Leihmutterschaft betreffen, in Zukunft beurteilen mag, die nun gefällte Entscheidung werde laut Holewik die Anerkennung der Elternschaft aus Leihmutterschaftsvereinbarungen innerhalb der EU vereinfachen. Der Reproduktionsmarkt und Lobbying-Gruppen, die sich für die Legalisierung der Leihmutterschaft einsetzten, werden aus der Entscheidung ebenfalls ihren Profit schlagen. Für Holewik zeigt die Entscheidung einmal mehr die Dringlichkeit eines internationalen Verbotes der Leihmutterschaftspraxis, zumal auch die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Initiative zur Anerkennung grenzüberschreitender Elternschaft an einer gesetzlichen Regelung arbeitet, die eine EU-weite Legalisierung der Leihmutterschaft zur Folge haben würde. Lesen Sie dazu auch den IEF-Artikel „EU / Familie: Ansprüche von LGBTIQ-Personen vs. Kindeswohl“.

EU schmälert laufend Kompetenzen der Mitgliedsstaaten

Besorgniserregend sei laut Holewik auch die Aushebelung der Kompetenzen der EU-Mitgliedsstaaten. Denn trotz Beteuerungen seitens des Gerichtshofs, die von der EU auferlegten Verpflichtungen dienten nur zur Wahrung des Unionsrechts, würden Mitgliedsstaaten wie Bulgarien, die die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau definieren und die gleichgeschlechtliche Elternschaft nicht anerkennen, de facto dazu gezwungen werden, im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen und diesen zugerechnete Kinder den in Inland anerkannten Familien gleichzustellen. Dies jedoch sei ein expliziter Eingriff in das Personenstandsrecht der Mitgliedsstaaten, hält Holewik fest. (AH)

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