Lesezeit: 5,4 Minuten

EU / Familie: Ansprüche von LGBTIQ-Personen vs. Kindeswohl

IEF, 07.10.2021 – Undifferenzierte Durchsetzung der Ansprüche von LGBTIQ-Personen könnte de facto EU-weite Legalisierung der Leihmutterschaft bedeuten.

Die EU-Institutionen beschäftigen sich seit mehreren Monaten mit der Freizügigkeit von Regenbogenfamilien in der EU. Auslöser für die Auseinandersetzung scheinen einige im Petitionsausschuss eingegangene Petitionen und eine von der Fachabteilung des Europäischen Parlaments für Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten in Auftrag gegebene Studie über die „Hindernisse für die Freizügigkeit von Regenbogenfamilien in der EU“ gewesen zu sein. In der Folge hat die Europäische Kommission am 14. April 2021 eine Gesetzesinitiative zur gegenseitigen Anerkennung von Elternschaft gestartet (das IEF hat berichtet). Nach der ersten Rückmeldungsphase, in der auch das IEF eine Stellungnahme abgegeben hatte, und einer öffentlichen Konsultation, soll im zweiten Quartal 2022 eine entsprechende Verordnung durch die Kommission angenommen werden.

EU-Parlament fordert Schutz der Rechte von Regenbogenfamilien

In der Zwischenzeit hat auch das EU-Parlament am 14. September 2021 eine Entschließung „zu Rechten von LGBTIQ-Personen in der EU“ verabschiedet. In dieser wird auf die genannte Studie und die Petitionen, die die gleichen Familienrechte für Regenbogenfamilien inklusive Anerkennung ihrer Beziehungen und der Elternschaft fordern, Bezug genommen. Weiter heißt es in der Resolution, dass LGBTIQ-Personen in einigen EU-Mitgliedstaaten „im Hinblick auf Sozialschutz, soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Bildung sowie Zugang zu und Versorgung mit Gütern und anderen Dienstleistungen, (…) einschließlich Wohnraum, diskriminiert“ und gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern zum Teil nicht als gemeinsame Eltern ihrer Kinder anerkennt werden. Deshalb begrüßt das EU-Parlament die Strategie der EU Kommission für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen für den Zeitraum 2020-2025 vom 12. November 2020, in der auch eine Legislativinitiative zum Schutz der Rechte von Regenbogenfamilien angekündigt wurde.

Umstrittener Anspruch auf Regelungskompetenz

Das EU-Parlament weist zudem daraufhin, dass EU-Vorschriften Vorrang vor allen nationalen Rechtsvorschriften haben, auch gegenüber widersprüchlichen Verfassungsbestimmungen, und das sich die Mitgliedstaaten daher nicht auf ein verfassungsmäßiges Verbot gleichgeschlechtlicher Eheschließungen oder den verfassungsmäßigen Schutz der „Moral“ oder der „öffentlichen Ordnung“ berufen dürften. Folglich fordert das Parlament, dass die Kommission alle EU-Mitgliedsaaten dazu verpflichtet, familiäre Bindungen von Mitgliedern von Regenbogenfamilien zu wahren, zumindest wenn dies auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention erforderlich sei. Das EU-Parlament beruft sich dabei auf die EU-Kompetenz, die Freizügigkeit von Personen innerhalb der EU zu regeln.

Anerkennung der Elternschaft und gleichgeschlechtlicher Partnerschaft

Konkret sollen Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, alle in der EU geschlossenen Ehen und eingetragenen Partnerschaften in ihrem Hoheitsgebiet anzuerkennen. Weiters wird die erleichterte Anerkennung des Geschlechts von Transgender-Eltern gefordert. Erwachsene, die in einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Geburtsurkunde als gesetzliche Eltern des Kindes genannt werden, sollen außerdem, ungeachtet des gesetzlichen Geschlechts oder des Familienstands, als Eltern anerkennt werden. Dies sei vor allem deshalb nötig, damit Kinder beim Umzug in einen anderen Mitgliedstaat nicht staatenlos werden.

Begrüßt wird in der Parlamentsentschließung auch die Gesetzgebungsinitiativen der Kommission, durch die die Liste der „EU-Straftaten“ um Hassverbrechen und Hetze – u.a. wenn sie gegen LGBTIQ-Personen gerichtet sind – erweitert und die gegenseitige Anerkennung der Elternschaft und gleichgeschlechtlicher Partnerschaft sichergestellt werden soll.

Forderung nach Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen und Ungarn

Verwiesen wir auch auf die Rechtssache Coman & Hamilton, in der der Begriff der „Ehegatten“ im Sinne der Freizügigkeitsrichtlinie auch als für gleichgeschlechtliche Partner geltend ausgelegt wurde. Die Kommission solle deshalb alle Mitgliedstaaten dazu anhalten diese Entscheidung umzusetzen und gegebenenfalls Durchsetzungsmaßnahmen zu ergreifen. Gefordert wird außerdem, der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der grundlegenden Werte der Europäischen Union durch Polen und Ungarn im Hinblick auf die Diskriminierung von LGBTIQ-Gemeinschaften entgegenzuwirken.

Entschließungsantrag zu Rechten von LGBTIQ-Personen auch in Österreich

Die Entschließung des Parlaments wurde auf Antrag dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten übermittelt. Dies veranlasste wohl den Abgeordneten Yannick Shetty (NEOS) seinerseits einen Entschließungsantrag am 22. September im Österreichischen Parlament einzubringen. Darin wird auf den rechtsunverbindlichen Charakter der EU-Entschließung hingewiesen, womit einzelne EU-Mitgliedstaaten in der Pflicht seien, sich „proaktiv und vehement für die gleichen Rechte der LGBTIQ-Community in ganz Europa“ einzusetzen. Der Nationalrat wird daher angehalten, die Bundesregierung und die Bundesministerin für EU und Verfassung sowie die Bundesministerien für Frauen, Familie, Jugend und Integration aufzufordern, die Entschließung des EU-Parlaments zu unterstützen und sich im Rat der EU dafür einzusetzen, die Forderungen der Entschließung vollumfänglich in ganz Europa umzusetzen sowie Konsequenzen für Staaten einzufordern, die dem nicht Folge leisten wollen.

Leihmutterschaft und andere Probleme der europäischen Gesetzesinitiative

Wie das IEF in früheren Berichten bereits zu bedenken gab, bringt die automatische Anerkennung der Elternschaft und Adoption bei homosexuellen Paaren einige Probleme mit sich. Einerseits wird gleichgeschlechtlichen Paaren das Adoptionsrecht und der Zugang zur Reproduktionstechnologie nicht in jedem EU-Mitgliedstaat gleichermaßen zuerkannt und andererseits könnte die zukünftige EU-Regelung eine indirekte Legalisierung der Leihmutterschaft mit sich bringen. Dies würde ganz besonders auch Österreich treffen, zumal Leihmutterschaft hierzulande verboten ist (alle Infos zum Thema Leihmutterschaft finden Sie im IEF Schwerpunkt) – und das aus guten Gründen. Denn wie das IEF immer wieder betont, bedeutet die Praxis der Leihmutterschaft letztendlich den Verkauf von Kindern und damit Menschenhandel, sie missachtet die Würde und Identität des Kindes und verstößt damit gegen das Wohl von Kindern und führt zu einer Instrumentalisierung des Körpers und der Ausbeutung der Leihmütter.

Außerdem bestehe in Österreich das in der Entschließung des EU-Parlaments angeführte Problem der Staatenlosigkeit von Kindern nicht, so Mag. Antonia Holewik, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF). Denn nach einer Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts (§ 7 Abs 3 Staatsbürgerschaftsgesetz) bekommt ein im Ausland geborenes Kind auch dann die österreichische Staatsbürgerschaft, wenn im Zeitpunkt seiner Geburt ein österreichischer Staatsbürger nach dem Recht des Geburtslandes Mutter oder Vater des Kindes ist, und es ansonsten staatenlos sein würde.

Anmaßend sei für Holewik auch die selbstverständliche Annahme einer EU-Kompetenz bei der Regelung der Anerkennung der Elternschaft und gleichgeschlechtlicher Partnerschaft durch das EU-Parlament. Familienpolitische Fragen, bei denen das materielle Recht in Familienangelegenheiten und der Rechtsstatus von Personen geregelt wird, fielen nach den Unionsverträgen nämlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Eine von der EU auferlegte zwingende Anerkennung würde innerstaatliche Regelungen bzgl. Elternschaft und Partnerschaft de facto aushebeln und damit die Kompetenzregelung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten umgehen und bedeutungslos machen, gibt Holewik abschließend zu bedenken. (AH)

Diesen Artikel teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Nach oben