Recht auf Abtreibung
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EU / Abtreibung: EU-Parlament schockiert mit Votum für „Recht auf Abtreibung“

IEF, 14.06.2022 – Anstatt das Recht auf Leben zu stärken, möchte das EU-Parlament ein „Recht auf Abtreibung“ implementieren. Dazu sollen die EU-Kompetenzen ausgeweitet werden.

Überwiegende Mehrheit für „Recht auf Abtreibung“

Vergangene Woche stimmten die EU-Parlamentarier mehrheitlich für eine Resolution, die ein „Recht auf Abtreibung“ fordert. 364 Abgeordnete stimmten dafür, 154 dagegen und 37 enthielten sich ihrer Stimme. Die österreichischen Abgeordneten der SPÖ, NEOS und Grünen stimmten laut Protokoll für den Bericht. Die drei FPÖ-Abgeordneten sowie zwei ÖVP-Abgeordnete stimmten gegen den Bericht, während sich drei ÖVP-Abgeordnete der Stimme enthielten.

Anlassfall: Geleakter Urteilsentwurf des US-Supreme Court

Anlass für die EU-Resolution war ein geleakter Urteilsentwurf des US-Supreme Court, der vorsah, die Grundsatzentscheidung Roe vs. Wade aus dem Jahre 1973, die US-weit ein „Recht auf Abtreibung“ implementierte, aufzuheben und den Bundesstaaten die Regelungskompetenz hierfür zu übertragen (das IEF hat hierzu berichtet). Der Leak löste einen weltweiten Sturm an Entrüstung und Aktivismus gegen „weltweite Bedrohungen des Rechts auf Abtreibung“ aus. Allein auf weiter Flur kritisierte der Generalsekretär der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE), Manuel Barrios Prieto, die Tatsache, dass das EU-Parlament über einen geleakten, also unrechtmäßig veröffentlichten, nicht offiziellen Urteilsentwurf diskutiere. Dies stelle eine Einmischung in die demokratische Rechtsprechungsentscheidung eines souveränen Staates dar, der nicht einmal Mitglied der Europäischen Union sei. Eine entsprechende Entschließung des Europäischen Parlaments bekräftige diese Einmischung und diskreditiere das Parlament als Institution (das IEF hatte darüber berichtet).

Was nicht passt, wird passend gemacht

Rechtlich ist bislang nicht möglich, was die EU-Abgeordneten fordern. Der Gesundheitsbereich ist nämlich laut EU-Verträgen Angelegenheit der Nationalstaaten.

Doch was nicht passt, soll nun passend gemacht werden. Das EU-Parlament hat in der Juni-Session auch über die Änderung der EU-Verträge beraten, die unter anderem die Übertragung der Kompetenz im Gesundheitsbereich betreffen würde. Sollte es dazu kommen, wäre der Weg für ein „Recht auf Abtreibung“ und die Abschaffung der Gewissensfreiheit geebnet.

Matić-Bericht und Macron: Wegbereiter von grundrechtseinschränkenden Forderungen

Als Wegbereiter der mehrheitlichen Annahme der Resolution kann der Matić-Bericht und die Forderung Macrons auf ein „Recht auf Abtreibung“ gesehen werden. Wie das IEF berichtete, nahmen die EU-Abgeordneten im Juni 2021 einen Bericht an, der bereits ein vermeintliches „Recht auf Abtreibung“ postulierte und unter anderem eine EU-weite Entkriminalisierung von Abtreibungen, Bereitstellung von kostenloser Abtreibung und Verhütungsmittel, Einschränkung der Gewissensklausel sowie umfassende Sexualerziehungsprogramme für Kinder forderte. Der französische Präsident forderte daraufhin bei seinem Wahlkampfauftakt im Frühjahr dieses Jahres die Verankerung eines „Rechts auf Abtreibung“ in der Grundrechtecharta der EU, was wiederum die Gewissens- und Religionsfreiheit einschränken könnte.

Verwendung manipulativer Aussagen

Viele Aussagen und Forderungen der aktuellen Resolution mit dem Titel „Weltweite Bedrohungen des Rechts auf Abtreibung – etwaige Abschaffung des Rechts auf Abtreibung in den USA durch den Obersten Gerichtshof“ sind aus dem Matić-Bericht bekannt und mehr oder weniger wortgleich übernommen. Das „Recht auf Abtreibung“ wird aus den Menschenrechten abgeleitet, indem Abtreibung als Teil der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte der Frau kategorisiert wird. Die „Verzögerung und Verweigerung des Zugangs zu sicherer und legaler Abtreibung“ stelle laut Resolution „eine Form der Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ dar und „die Verweigerung einer sicheren und legalen Abtreibung“ könne „Folter oder grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung“ gleichkommen. „Unsichere Abtreibungen, die vor dem Hintergrund von Abtreibungsverboten zum Tode führen“, sollten als „geschlechtsspezifische willkürliche Tötungen ausschließlich von Frauen infolge gesetzlich verankerter Diskriminierung“, verstanden werden (siehe Resolution P.).

Die Resolution bringt wiederholt den Zusammenhang von Abtreibungsverboten und Müttersterblichkeit als Argument für „legale, sichere und kostenlose Abreibung“ weltweit aufs Tapet (siehe Resolution S.). Wie das IEF berichtete, zeigte jedoch ein britischer Wissenschaftler kürzlich auf, dass die Zahlen der WHO zur Müttersterblichkeit nach illegalen Abtreibungen „nachweislich fehlinterpretiert und sogar erfunden“ sind.

Steht die Gesundheit der Frau wirklich im Zentrum?

Unbeachtet bleiben außerdem die negativen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen auf die psychische Gesundheit von Frauen. Wie beispielsweise eine Studie von Ulrike Heider und Prof. Dr. phil. Florian Steger beschrieb, konnten keine Belege dafür gefunden werden, dass bei pränatal erfolgter pathologischer Diagnose des Ungeborenen, ein Schwangerschaftsabbruch weniger belastend für die Frau sei als die Fortführung der Schwangerschaft. Vielmehr ergab sich bei Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch oder einer Tot-/Fehlgeburt eine längere Trauersymptomatik, wenn die Frauen ein größeres Konfliktpotential erlebt und/oder keine ausreichende Beratung und Entscheidungszeit zur Verfügung hatten und/oder sich in ihrem Handeln nicht ärztlich akzeptiert fühlten. Eine sicher getroffene und ausreichend lang überlegte Entscheidung war eher mit positiven Geburtserfahrungen, besserem Verhältnis zu Ärzten und geringeren psychopathologischen Folgen verbunden. Diese Ergebnisse sprechen im Sinne der Gesundheit der Frau für eine ausreichende Bedenkzeit und eine umfassende/multidisziplinäre Beratung in Bezug auf Konfliktschwangerschaften. „Sichere, legale und kostenlose Abtreibung“, wie in der Resolution gefordert, greift hier zu kurz, vielmehr müssten Beratungsangebote für Frauen geschaffen werden, wenn die Gesundheit der Frau wirklich im Zentrum stünde.

Gefährdung der Gewissensfreiheit

Es werde laut Resolution davon ausgegangen, „dass nichtstaatliche Organisationen und konservative Denkfabriken, die der christlichen Rechten nahestehen, weltweit die Anti-Choice-Bewegung finanziert haben“ (siehe Resolution M.). Es sei zu befürchten, „dass, wenn der Oberste Gerichtshof das Urteil Roe gegen Wade aufhebt, dies die Anti-Choice-Bewegungen darin bestärken oder dazu ermutigen könnte, Regierungen und Gerichte außerhalb der USA unter Druck zu setzen, um die Abtreibungsrechte zurückzufahren, was die wichtigen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte gefährden würde, in denen mehr als 60 Länder ihre Gesetze und ihre Politik in Bezug auf die Abtreibung reformiert haben, um Einschränkungen und Hindernisse zu beseitigen“ (siehe Resolution N.). Es wird betont, „dass die Menschenrechte von Frauen Grundrechte sind, die kulturellen, religiösen oder politischen Erwägungen nicht untergeordnet werden können, und dass der Einfluss ideologisch und religiös motivierter Einmischung in Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheit für die Gesundheit und das Wohlergehen von Frauen und Mädchen besonders schädlich ist“ (siehe Resolution R.). Diesbezüglich sei die Gewissensklausel abzulehnen, da dadurch das Leben und die Rechte der Frauen gefährdet werden würden. Die Gewissensklausel werde laut Resolution „häufig in Situationen genutzt, in denen jede Verzögerung das Leben oder die Gesundheit der Patientin gefährden kann“ (siehe Resolution 30.). Das IEF fand bislang keine Belege für diese Aussage, die letztlich unterstellt, dass medizinisches Personal aufgrund ihrer persönlichen, eventuell religiösen Überzeugung, vorsätzlich das Leben der Frauen gefährde und das Gewissen lediglich vorschiebe.

Grundrechtecharta soll um Recht auf Abtreibung erweitert werden

Die Resolution „fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte für alle nachdrücklich zu unterstützen, unter anderem durch die Förderung eines verstärkten Rechtsschutzes innerhalb der Grenzen der EU und die Beseitigung von Hindernissen für die Ausübung dieser Rechte“ (siehe Resolution 23.). Die EU und ihre Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, „das Recht auf Abtreibung in die Charta aufzunehmen“ (siehe Resolution 24.).

Es gibt kein „Recht auf Abtreibung“

Festzuhalten ist, dass es kein internationales Recht bzw. Menschenrecht auf Abtreibung gibt, sondern vielmehr ein Recht auf Leben. Das in der EU-Resolution erwähnte Aktionsprogramm von Kairo 1994 sieht außerdem vor, dass Abtreibung nicht als Methode der Familienplanung gefördert werden darf und die Regierungen geeignete Maßnahmen treffen sollen, um Frauen dabei zu helfen, von einer Abtreibung abzusehen. Im Kairoer Aktionsprogramm ist außerdem vom Einsatz für eine völlige Eliminierung des Bedarfs an Abtreibungen die Rede und es wird hervorgehoben, dass Angelegenheiten, die die Abtreibung betreffen, nur auf innerstaatlicher und lokaler Ebene geregelt werden dürfen.

Sollten die EU-Mitgliedstaaten der Europäischen Union Kompetenzen auch im Bereich der Gesundheit übertragen – was im Moment ebenfalls im EU-Parlament diskutiert wird – würde das den Weg zur Aufnahme eines „Rechts auf Abtreibung“ in die Grundrechtecharta ebnen. Damit könnte die EU ein EU-weites Abtreibungsrecht schaffen – mit allen daran anknüpfenden Folgen, wie der Abschaffung der Gewissensfreiheit in diesem Bereich. Es handelt sich zusammenfassend um eine politische Tendenz, die zur Folge hätte, dass einerseits das Lebensrecht der Ungeborenen weiter eingeschränkt werden würde und andere Menschenrechte wie Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit verletzt werden könnten. (TSG)

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