EU / Abtreibung: EU-Parlament will Abtreibung als Teil eines Menschenrechts auf Gesundheitsversorgung verstehen
IEF, 04.11.2019 – Die Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem vorgeschlagenen neuen Strafrecht Indonesiens stellt sichere und legale Abtreibungen in eine Reihe mit den als Menschenrecht deklarierten Maßnahmen der Gesundheitsversorgung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.
Geplantes neues Strafgesetzbuch in Indonesien
Wie aus der Entschließung hervorgeht, soll der Entwurf des neuen indonesischen Strafgesetzbuches unter anderem Artikel enthalten, die zu Rechten von Frauen im Widerspruch stehen und eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ermöglichen. Eine der Bestimmungen sehe beispielsweise vor, dass Frauen nach einer Abtreibung zu einer Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren und Personen, die bei einer Abtreibung assistieren, zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden können.
Entschließung des EU-Parlaments
Weil der Zugang zur Gesundheitsversorgung auch im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit ein Menschenrecht sei, fordert das EU-Parlament in Ziffer 8 der Entschließung Indonesien auf, eine angemessene und erschwingliche Gesundheitsversorgung in diesem Bereich sicherzustellen. Zur Gesundheitsversorgung im erwähnten Bereich würden unter anderem die „sexuelle Aufklärung und Information, Familienplanung, Methoden der Verhütung sowie sichere und legale Abtreibungen“ gehören. Diese Dienstleistungen seien nötig „um das Leben von Frauen zu retten, die Säuglings- und Kindersterblichkeit zu verringern und sexuell übertragbare Krankheiten, einschließlich HIV/AIDS, zu verhindern“, heißt es in der Ziffer 8 weiter.
Abstimmungsverhalten der österreichischen Delegierten
Die Entschließung wurde mehrheitlich vom EU-Parlament angenommen, wobei über einzelne Punkte separat abgestimmt wurde. Einer der Punkte war auch der in Ziffer 8 enthaltene Passus „sichere und legale Abtreibungen“. Laut kath.net stimmten von den österreichischen Abgeordneten die Mandatare der SPÖ und der Grünen sowie die ÖVP-Abgeordneten Alexander Bernhuber, Karoline Edtstadler, Simone Schmiedtbauer, Barbara Thaler und Angelika Winzig für die Entschließung. Die EU-Abgeordneten der FPÖ enthielten sich der Stimme. ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas und Claudia Gamon von den NEOS sollen während der Abstimmung nicht anwesend gewesen sein. Wie aus der Abstimmungsdokumentation der EU hervorgeht, soll Lukas Mandl von der ÖVP als einziger österreichischer EU-Abgeordneter gegen den Passus, wonach das Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung auch sichere und legale Abtreibungen beinhalten würde, gestimmt haben.
Im Widerspruch zum Grundsatzprogramm der ÖVP
Das Grundsatzprogramm der ÖVP deklariert „uneingeschränkte Achtung vor dem menschlichen Leben – dem geborenen und dem ungeborenen“. Es stellt sich daher die Frage, wie diese Aussage mit dem Abstimmungsverhalten der ÖVP-Mandatare in Einklang zu bringen ist. Auf Anfrage bei den Abgeordneten, warum sie für ein Recht auf Gesundheitsversorgung, das auch „sichere und legale Abtreibung“ beinhalten soll, stimmten, verwies Karoline Edtstadler in einer E-Mail auf die unerträglichen Verhältnisse unter denen Frauen in Indonesien leben müssten und auf einen Artikel der Zeitschrift Südostasien „Kriminalisierung von Abtreibungen in Indonesien“.
VP-Edtstadler verteidigt ihre Zustimmung
Die strafrechtliche Verfolgung von Frauen nach einer Abtreibung mit bis zu vierjährigen Gefängnisstrafen müsse laut Edtstadler verhindert werden. Die einzigen Fälle, in denen das neue Strafgesetz in Indonesien einen Schwangerschaftsabbruch erlauben würde, sei eine Vergewaltigung oder die Gesundheitsgefährdung der Schwangeren, wobei diese für einen Abbruch das Einverständnis ihres Ehemannes oder der Familie benötige. Für unverheiratete Frauen, die schwanger werden, sei Zwangsverheiratung oder gesellschaftliche Ächtung die Folge.
Aus Artikel 3 der Grundrechtecharta der EU, der das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert, würde sich auch das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper ableiten, erklärt die ÖVP-Abgeordnete weiter. Dieses Recht sei vor allem für Schwangere in gewissen Lebenssituationen, die es ihr unmöglich machen würden das Kind auszutragen, wie beispielsweise nach einer Vergewaltigung oder bei einer lebensbedrohlichen Gesundheitsgefährdung der Mutter, besonders wichtig. In diesen Fällen stünden Frauen vor schwierigen und belastenden Entscheidungen und bräuchten gerade in medizinischer Hinsicht eine Möglichkeit eine sichere Abtreibung durchführen zu lassen, so Edtstadler weiter. Erst damit hätten Frauen eine echte Entscheidungsfreiheit. Für sie selbst käme eine Abtreibung zwar nie in Frage, aber es gehe ihr auch nicht um ein Recht auf Abtreibung, sondern vielmehr um eine Absicherung der Autonomie von Frauen. Die ÖVP-Abgeordnete wünsche sich aber, dass das was in Österreich möglich ist, auch für alle anderen Frauen auf der Welt erlaubt sei. Deshalb habe sie auch für die Möglichkeit einer legalen und sicheren Abtreibung für alle Frauen gestimmt.
Sichere und legale Abtreibung verfestigen gesellschaftliche Probleme
Petra Plonner, Erstunterzeichnerin der Bürgerinitiative #Fairändern, überzeugt diese Argumentation nicht. Aus ihrer Sicht mache man es sich zu leicht, wolle man „massive gesellschaftliche Probleme, wie die von Edtstadler erwähnten, mit einem „sicheren und sauberen Zugang“ zu Abtreibungen lösen. Plonner nennt dabei das Beispiel eines afrikanischen Mädchens, das sich mit 10 Jahren auf der Straße verkaufen muss und mit 13 Jahren schwanger wird. Nach Edstadlers Argumentation wäre der Zugang zu einer sicheren und legalen Abtreibung die Lösung für das Problem des Mädchens. Doch wie Plonner konstatiert, würde dies keineswegs einen Ausweg aus den unerträglichen Lebensumständen des Mädchens bedeuten.
Auch wenn Edstadler zuzustimmen ist, dass die Situation in Indonesien – insbesondere unter einem Rechtssystem der Scharia – mit jener in Österreich nicht vergleichbar ist und der Entscheidungskonflikt im Hinblick auf eine Abtreibung ein viel dramatischerer ist, könne die Tötung des Kindes nicht die Antwort sein, unterstützt Dr. Stephanie Merckens, Biopolitikerin am Institut für Ehe und Familie (IEF), die Kritik Plonners. Vielmehr führe die Legalisierung von Abtreibung noch zu einer Verfestigung der Benachteiligung von Frauen, statt die wahre Ungerechtigkeit anzuprangern, die darin liege, dass Frauen für die Schwangerschaft mit einem ungeplanten Kind geächtet werden. Abtreibung könne nie eine akzeptable Antwort auf kulturelle und gesellschaftliche Missstände sein. Maßnahmen müssten auf ein gesellschaftliches Umdenken ausgerichtet sein, so Merckens weiter. Man müsste sich gerade dafür einsetzen, dass Verhältnisse geschaffen werden, die es ungewollt schwangeren Frauen erlauben, das Kind zu bekommen, ohne dass diese eine Zwangsverheiratung oder soziale Ächtung fürchten müssten oder gar zu einer Abtreibung gezwungen werden könnten. Gerade von moderner Frauenpolitik würde sich Merckens daher ausreichend Mut und konkrete Lösungsansätze wünschen, die gegen die Ächtung von Frauen vorgehen, als dass sie durch die Forderung nach einer Legalisierung der Abtreibung diese festgefahrene Ungerechtigkeit noch verstärkt. (AH)