EU / Abtreibung: Abschaffung der Todesstrafe und Abtreibungsrecht in einem Atemzug
IEF, 27.01.2022 – Emmanuel Macron fordert zu Beginn der französischen EU-Präsidentschaft die Erweiterung der Grundrechtecharta um ein Recht auf Abtreibung.
Zu Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft erinnerte Präsident Macron bei seiner Rede im EU-Parlament am 19. Jänner an die Verkündigung der Grundrechtecharta vor 20 Jahren und die mit ihr einhergehende Abschaffung der Todesstrafe. Gleich danach forderte er eine Aktualisierung des EU-Grundrechtekatalogs um den Umweltschutz und ein Recht auf Abtreibung.
Die EU-Charta der Grundrechte ist seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Jahre 2009 rechtverbindlich. Sie beinhaltet persönliche, bürgerliche, politische, wirtschaftliche und soziale Rechte und gilt sowohl für die Organe und Einrichtungen der EU sowie für nationale Behörden bei der Umsetzung von EU-Recht.
Eine neue EU-Parlamentspräsidentin und Wahlkampf in Frankreich
Nur wenige Tage vor Macrons Rede wurde Roberta Metsola zur neuen Präsidentin des EU-Parlaments gewählt. Die aus Malta stammende Christdemokratin Metsola gilt als pro-life-orientiert. Diese Einstellung der Präsidentin hätte laut der FAZ vor allem im linken Lager des EU-Parlaments für Aufregung gesorgt. Metsola unterstrich jedoch gegenüber Journalisten, dass sie auch im Falle von sexuellen und reproduktiven Rechten, zu denen immer wieder auch ein Recht auf Abtreibung gezählt wird, die Mehrheitsmeinung des Parlaments vertreten werde.
Auch in Frankreich, das die EU-Präsidentschaft für die nächsten sechs Monate übernommen hat, ist Abtreibung gerade ein „heißes“ Thema, das im Zuge des nationalen Wahlkampfs diskutiert wird. Im französischen Parlament wird unter anderem eine Ausweitung der Abtreibungsfrist von 12 auf 14 Wochen diskutiert. Auch die Wahl Metsolas zur EU-Parlamentspräsidentin wurde aufgrund ihrer Haltung gegenüber Abtreibung in Frankreich zum Teil heftig kritisiert. Die Aussagen von Präsident Macron vor dem Europäischen Parlament müssen daher auch im Lichte des innerfranzösischen Wahlkampfs betrachtet werden. Die Präsidentschaftswahlen finden in Frankreich im April dieses Jahres statt.
Ein verhängnisvoller Pakt
Im Vorfeld der Wahl im EU-Parlament sollen die Fraktionen der Christdemokraten, der Sozialdemokraten und der Liberalen eine Art Koalitionspakt geschlossen haben, der Metsola zum Sieg verhelfen sollte. Teil des Pakts sei neben der Zusage von Vizepräsidentenposten an Sozialdemokraten und Liberale, der von der Fraktion Renew Europe (Liberale) verfasste Simone Veil Pact gewesen. Dieser fordert gleich im ersten Punkt unter der Überschrift „sexuelle und reproduktive Rechte“ die Garantie des Zugangs zu Verhütungsmitteln und Abtreibung, sowie zur Information und Bildung für Frauen.
Offener Brief mit Kritik an Präsident Macron
Macrons Rede vor dem EU-Parlament und seine Forderung nach der Aufnahme eines Rechts auf Abtreibung in den Grundrechtekatalog zog zum Teil heftige Kritik nach sich. So verfasste die Föderation der katholischen Familienverbände in Europa (FAFCE) einen offenen Brief an den französischen Präsidenten. Darin wirft FAFCE dem Präsidenten Inkonsistenz vor, wenn er in seiner Rede einerseits von Rechtstaatlichkeit spreche und andererseits die Aufnahme einer Praxis in die EU-Grundrechtecharta fordere, die in mehreren Mitgliedstaaten illegal sei. Ebenso fehlgegriffen sei die Verknüpfung der EU-weiten Abschaffung der Todesstrafe durch die Charta und die Forderung nach Anerkennung eines Grundrechts auf eine Praxis, die von vielen als tödliche Gewalt gegen die Schwächsten in der Gesellschaft angesehen werde. Ein Recht auf Abtreibung widerspräche zudem den ersten zwei Artikeln der EU-Grundrechtecharta, in denen die menschliche Würde und das Recht auf Leben verankert sind. FAFCE sieht durch Macrons Forderung auch den Einsatz für Mütter und Familien in Schwierigkeiten in Gefahr, die Verantwortung für das ungeborene Leben übernehmen wollten. Wenn der Präsident in seiner Rede von einer Gefährdung der Demokratie, des Fortschritts und des Friedens spreche, so müsse darunter vor allem der Angriff auf ungeborenes Leben verstanden werden. „Unsere Föderation stellt sich zusammen mit allen Menschen guten Willens in den Dienst der Institutionen, um konstruktiv zusammenzuarbeiten und dabei die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Wenn diese gemeinsamen Grundlagen fehlen, werden die Worte Werte und Demokratie, die Ihnen am Herzen liegen, ihres Sinnes beraubt“, heißt es weiter in dem offenen Brief an Macron. Unsere Gesellschaften bräuchten EU-weite, konkrete, unterstützende und effektive Maßnahmen, die die realen Bedürfnisse der Familien im Auge hätten, unterstreicht FAFCE und kritisiert zum wiederholten Male, dass Familien nicht zu den Prioritäten der französischen Ratspräsidentschaft gehören würden.
Eine Forderung im Widerspruch zur Rechtstaatlichkeit und dem Internationalen Recht
Dem sei hinzuzufügen, dass Abtreibung sowie generell reproduktive und sexuelle Gesundheit und die dazugehörigen Rechte nicht unter die Regelungskompetenz der EU fallen, sondern von den Mitgliedstaaten selbständig zu regeln seien, ergänzt Antonia Holewik, Juristin und Leiterin der Politikabteilung am Institut für Ehe und Familie (IEF). Die Forderung, ein nicht in die EU-Kompetenz fallendes Recht in eine Charta aufzunehmen, die EU-Organe und Mitgliedstaaten gerade bei der Umsetzung von EU-Recht binde, sei daher widersinnig und widerspreche gerade dem Prinzip der Rechtstaatlichkeit.
Die Forderung nach einer grundrechtlichen Verankerung der Abtreibung stehe auch in Opposition zum Internationalen Recht. Es gäbe nämlich kein Menschenrecht auf Abtreibung, das sich aus irgendeinem verbindlichen, internationalen Vertrag ableiten ließe, so Holewik weiter. Das einzige internationale Dokument, das von 197 Staaten unterzeichnet worden sei – das Aktionsprogramm der UN-Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 – sehe vor, dass Abtreibung innerstaatlich zu regeln sei und nicht als Methode der Familienplanung gefördert werden dürfe. Regierungen seien außerdem dazu aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Frauen dabei zu helfen, von einer Abtreibung abzusehen und sich für eine völlige Eliminierung des Bedarfs an Abtreibungen einzusetzen, zitiert Holewik weitere Teile des Kairoer Aktionsprogramms.
Interessant sei auch, dass Macron seine Forderung nach einem Abtreibungsrecht mit dem Verweis auf die Abschaffung der Todesstrafe einleitet. Nach Artikel 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, das jedem Menschen ein angeborenes Recht auf Leben zuspricht, ist die Todesstrafe an schwangeren Frauen nämlich verboten. Dieses Verbot sei aufgrund der besonderen Berücksichtigung des ungeborenen Lebens festgeschrieben worden, hält Holewik fest und weist damit auf eine weitere Widersprüchlichkeit in Macrons Forderung nach einem Recht auf Abtreibung hin.
Schließlich müsse einem bewusst sein, dass wolle man allen Hindernissen und Widersprüchlichkeiten zum Trotz Abtreibung als ein Menschenrecht deklarieren, die Gewissensfreiheit stark beschnitten bzw. de facto abgeschafft wäre. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 9 Absatz 2) darf die Gewissensfreiheit nämlich zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer eingeschränkt werden, warnt Holewik abschließend. (AH)
Wie eine kürzlich veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit belegt, stimmt auch das Argument, dass illegale Abtreibungen die Müttersterblichkeit erhöhen würden, so nicht. Lesen Sie dazu: GB_INT / Abtreibung: Falsche Zahlen zu Todesfällen nach illegaler Abtreibung.