ES / Reproduktionsmedizin: Leihmutterschaft – eine menschenunwürdige Praxis?
IEF, 11.04.2022 – Leihmutterschaftsverträge verstoßen laut dem Obersten Gerichtshof in Spanien gegen die Menschenwürde und fundamentale Menschenrechte.
Eine Spanierin bestellte vertraglich über eine Vermittlungsagentur unter Zuhilfenahme einer Ei- und Samenspende ein Kind. Dieses wurde von einer Leihmutter in Mexiko ausgetragen und im Jahr 2015 geboren. Die Bestellende, die mit dem Kind nicht genetisch verwandt ist, wollte dieses nachträglich in Spanien als ihr eigenes Kind registrieren lassen, was ihr aber vom Standesamt verweigert wurde. Die Frau wandte sich daraufhin an ein Gericht in Madrid, das die Entscheidung des Standesamtes jedoch bestätigte. In weiterer Folge wurde dieses Urteil in zweiter Instanz vom Oberlandesgericht aufgehoben. Gegen dieses Urteil hat wiederum die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt und erhielt schließlich vor dem Obersten Gerichtshof Recht.
Leihmutterschaftsverträge nach spanischem Recht null und nichtig
Mit Urteil vom 31. März 2022 hielt der Gerichtshof fest, dass die Leihmutterschaft schwerwiegend gegen die verfassungsrechtlichen und in internationalen Menschenrechtsverträgen geschützten Grund- und Menschenrechte verstoße. Nach spanischem Recht seien Leihmutterschaftsverträge null und nichtig und als Mutter gelte jene Frau, die das Kind geboren hat. Das Gericht bezog sich dabei auf die UN- Kinderrechtskonvention, die unter anderem den Verkauf und Handel mit Kindern verbietet, auf Berichte der UN-Sonderberichterstatterin betreffend Kinderhandel und Kinderprostitution, die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen, den EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt und den Bericht des spanischen Bioethikausschusses über die ethischen und rechtlichen Aspekte der Leihmutterschaft aus dem Jahr 2017.
Wenn Kinder und Frauen zu Objekten degradiert werden
Die Behandlung des Kindes als Vertragsgegenstand im Rahmen von Leihmutterschaftsverträgen verstoße gegen dessen Würde und könne aufgrund mangelnder Überprüfung der Eignung der Auftraggeber, manchmal auch seine physische Integrität verletzen, so der Oberste Gerichtshof. Außerdem würden Leihmutterschaftsverträge das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung beschneiden.
Auch Leihmütter sieht der Gerichthof durch die Praxis der Leihmutterschaft zu Objekten degradiert und veranschaulicht das anhand zahlreicher Beispiele. Zuallererst müssten sich Leihmütter von Anfang an dazu verpflichten, das Kind, das sie austragen und zur Welt bringen, abzugeben und auf alle ihre Rechte, die sich aus ihrer Mutterschaft ergeben, zu verzichten. Ferner seien sie gesundheitsgefährdenden medizinischen Behandlungen ausgesetzt, die ein Risiko für spätere Schwangerschaften mit sich bringen. Auf Wunsch der Besteller seien sie dazu angehalten, einer Abtreibung oder Mehrlingsreduktion zuzustimmen und müssten das Kind meist per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Die Besteller würden außerdem über ihre Lebensgewohnheiten und darüber bestimmen, was die Schwangere essen oder trinken darf und würden sie dazu zwingen während der Schwangerschaft auf sexuelle Kontakte zu verzichten. Die Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit der Schwangeren sei mit fortschreitender Schwangerschaft außerdem immer stärker eingeschränkt. Sodann geht der Oberste Gerichtshof auf Klauseln ein, die Leihmüttern das Recht auf Privatsphäre und ärztliche Schweigepflicht entziehen und sie zur Duldung unangekündigter Drogen- und Alkoholtest verpflichten. Schließlich liege es auch im Ermessen der Auftraggeber, ob die Leihmutter im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung, am Leben bleiben solle oder nicht.
Vermittlungsagenturen verdienen an der Not von Frauen
Wenn man sich diese unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen vor Augen führe, sei für den Gerichtshof ersichtlich, dass hier meist Frauen in wirtschaftlich und sozial prekären Situation ausgenützt würden. Besondere Schuld treffe hier die Vermittlungsagenturen, die aus der Not der Frauen Profit schlagen würden. Es sei erschreckend, dass trotz des Verbots der Leihmutterschaft, die die Würde von Kindern und Frauen verletze, diese Agenturen ungehindert in Spanien für ihrer „Dienste“ unter anderem im Internet oder auf spezialisierten Messen werben könnten. Der Oberste Gerichtshof kritisiert außerdem, dass Prominente häufig offen darüber sprechen, wie sie ihr Kind im Wege der Leihmutterschaft nach Spanien gebracht hätten, ohne dass die zuständigen Jugendschutzbehörden zur Wahrung des Kindeswohls aktiv werden würden.
Keine Erfüllung des Kinderwunsches auf Kosten anderer Personen
Das Urteil geht in seiner Entscheidungsbegründung darauf ein, dass es weder ein nationales noch ein internationales Recht auf Familiengründung oder Adoption gebe. Wie es im Bericht des spanischen Bioethikausschusses von 2017 außerdem heißt, darf der Kinderwunsch, so edel er auch sein mag, nicht auf Kosten der Rechte anderer Menschen verwirklicht werden. Gemeinsam mit der vorher erwähnten UN-Sonderberichterstatterin sieht das Gericht daher eine besondere Gefahr darin, wenn die Anerkennung der Elternschaft aus Leihmutterschaftsvereinbarungen ohne gebührende Zurückhaltung und unter Missachtung von Menschenrechtsbedenken erfolge.
Adoptionsverfahren als Mittelweg
Da im gegenständlichen Fall bereits eine familiäre Bindung und Beziehung zwischen dem Minderjährigen und der Bestellerin bestehe, diese für die materiellen Bedürfnisse des Kindes aufkomme und sich um seine Erziehung und medizinische Versorgung kümmere, schlägt das Gericht eine „Lösung“ vor, die einerseits das Wohl des konkreten Kindes berücksichtig und andererseits die Grundrechte von werdenden Müttern und Kindern im Allgemeinen schützen soll. Diese Lösung bestehe laut dem Gerichtshof darin, dass die Anerkennung des Verwandtschaftsverhältnisses zur auftraggebenden Mutter, die das Kind nicht ausgetragen hat, durch Adoption erfolgen soll. Dieses Vorgehen würde den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entsprechen und verhindern, dass die Praxis der Leihmutterschaft dadurch gefördert werde, dass Vermittlungsagenturen ihren Kunden eine fast automatische Anerkennung der Elternschaft in Spanien gewährleisten könnten.
„Wir benötigen ein weltweites Verbot der Leihmutterschaftspraxis“
Das Urteil mache einerseits deutlich, dass die Praxis der Leihmutterschaft gegen anerkannte Menschenrechte verstoße, Frauen und Kinder menschenunwürdigen und erniedrigenden Behandlungen aussetze und eine Form des Menschenhandels darstelle, so Antonia Holewik, Juristin und Leiterin der Politikabteilung am Institut für Ehe und Familie (IEF). Außerdem stelle der spanische Gerichtshof in der nunmehrigen Entscheidung klar, dass die automatische Anerkennung der Elternschaft, wie sie etwa in Österreich trotz des Verbots der Leihmutterschaft vielfach praktiziert wird (das IEF hat berichtet), nicht unbedingt dem konkreten und ganz bestimmt nicht dem allgemeinen Kindeswohl und dem Schutz von Frauengrundrechten entspreche. Zudem zeige die Entscheidung einen gangbaren Weg im Falle einer bereits bestehenden familiären Bindung zwischen dem Bestellkind und den Bestellern auf und zwar über die Adoption. Schließlich beweise der gegenständliche Fall wieder einmal, dass die eigentliche Lösung des Problems ein weltweites Verbot von Leihmutterschaft sei, resümiert die Juristin. (AH)