
ES / Abtreibung: Neuer Gesetzesentwurf für „mehr Selbstbestimmung der Frauen“
IEF, 01.06.2022 – Unter anderem sollen Mädchen ab 16 Jahren ohne Einverständnis der Eltern abtreiben können. Außerdem ist ein Menstruationsurlaub geplant.
Der neue Gesetzesentwurf der linken Regierungskoalition in Madrid sei ein weiterer wichtiger Schritt für die Demokratie, so Regierungssprecherin Isabel Rodriguez über den Entwurf. Treibende Kraft hinter dem Entwurf war die spanische Gleichstellungsministerin der linksalternativen Partei Unidas Podemos, Irene Montero, deren Anliegen es vor allem war, Tabus, Stigmata und Schuld bezüglich des weiblichen Körpers zu verwerfen.
Abtreibung ohne Einwilligung der Erziehungsberechtigten
Ein Kernthema des Gesetzesentwurfs ist eine Überarbeitung des spanischen Abtreibungsrechts. Demnach sollen künftig minderjährige Mädchen ab 16 Jahren innerhalb der ersten zwei Schwangerschaftsmonate ohne die Einwilligung und Erlaubnis der Erziehungsberechtigten eine Abtreibung vornehmen lassen können. Der Schwangerschaftsabbruch soll zudem kostenlos in öffentlichen Krankenhäusern und mit der Möglichkeit einer mehrtägigen Krankschreibung verbunden sein. Auch die „Pille für danach“, die eine abtreibende Wirkung hat, soll kostenfrei in staatlichen Gesundheitszentren und nichtmehr kostenpflichtig in Apotheken erhältlich sein. Mit dieser Regelung würde das 2015 von der konservativen Volkspartei Spaniens erlassene Abtreibungsrecht zu wesentlichen Teilen abgeändert werden und auch die verpflichtende Bedenkzeit von drei Tagen würde fallen. Aus Gewissensgründen soll es Ärzten nach wie vor möglich sein, die Vornahme einer Abtreibung zu verweigern. Allerdings würden diese in ein Ärzteregister eingetragen werden. Das übe nur moralischen Druck auf betroffene Ärzte aus, kritisierte der Vorsitzende der spanischen Bischofskonferenz, Kardinal Juan José Omella, den Gesetzesentwurf scharf. Omella sprach auch von einem „Angriff auf das ungeborene Leben“. Das, was sich nach der Empfängnis im Mutterleib befinde, sei bereits ein anderes Leben, ein menschliches Wesen, das verteidigt werden müsse, so Omella.
Dass eine verpflichtende Bedenkzeit von durchaus großer Bedeutung für eine fundierte Entscheidungsfindung ist, beweist etwa die Studie von Caitlin Myers, die sich mit den Auswirkungen von verpflichtenden Beratungen vor Schwangerschaftsabbrüchen auf die Zahl der Abtreibungen in den USA befasste. Dabei unterschied Myers zwischen der „one-trip-“ und der „two-trip Beratung“, die beide in den US-Bundesstaaten vertreten sind. Die one-trip-Beratung besteht lediglich aus einer einstufigen Beratung, die nicht physisch stattfinden muss, und einer darauffolgenden Bedenkzeit, die two-trip-Beratung beinhaltet eine zweimalige persönliche Beratung und eine gewisse Bedenkzeit danach. Die Studienergebnisse zeigen, dass eine „one-trip-Regelung“ keine erheblichen Auswirkungen auf die Abtreibungsraten hätte, jedoch hätten „two-trip-Regelungen“ die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche im ersten Trimester um 8,9 Prozent reduziert und folglich die Geburtenrate erhöht (das IEF hat berichtet).
Daraus folgt, dass eine persönliche Beratung Frauen durchaus helfen kann, sie in ihrer eigenen Entscheidung zu bestärken und den Einfluss von außen hintanzustellen. Mit der Entscheidung hat die Frau im Endeffekt nämlich selbst klarzukommen. Eine Beratung, die verschiedene Aspekte der Abtreibungsentscheidung aufwirft, ist daher von großer Wichtigkeit, weil erst dann eine bewusste Entscheidung mit Kenntnis der daraus resultierenden Folgen getroffen werden kann. Die neuen Regelungen in Spanien missachten diesen Grundsatz vollkommen und sind weit davon entfernt, eine reflektierte und gut überlegte Entscheidung zu ermöglichen, die auch dem tatsächlichen Wunsch der werdenden Mutter entspricht.
Urlaub für Menstruationsbeschwerden
Der ausgearbeitete Gesetzesentwurf soll Spanien zudem zum ersten Land in Europa machen, in dem man sich aufgrund von Menstruationsbeschwerden krankschreiben lassen kann. Bei heftigen Regelschmerzen sollen Frauen in Spanien künftig Anspruch auf drei Tage, bei besonders schwerwiegenden Symptomen auf bis zu fünf Tage, Krankenstand haben. Die dadurch entstehenden Kosten sollen vom Staat übernommen werden. Einzige Bedingung ist, dass es sich um ernsthafte und starke Beschwerdesymptome handelt. Auch ein Schwangerschaftsurlaub ab der 39. Schwangerschaftswoche mit vollem Lohnausgleich soll zukünftig von werdenden Müttern in Anspruch genommen werden können. Bisher entscheidet in Spanien der Frauenarzt, wie lange eine Schwangere arbeitsfähig ist.
Bestreben zu Leihmutterschaft und Steuersenkung bei Hygieneartikeln
Montero hatte ursprünglich noch andere Pläne, die allerdings an der Zustimmung ihres Koalitionspartners, der sozialistischen Partido Socialista Obrero Español, scheiterten. So wollte sie die Anmietung einer Leihmutter im Ausland unter Strafe stellen und auch die Werbung zu Leihmutterschaft verbieten und auch den Mehrwertsteuersatz für Menstruationsprodukte senken.
Nach dessen Beschluss durch die Regierungskoalition muss der Gesetzesentwurf nun noch vom Parlament abgesegnet werden, bevor das fertige Gesetz in Kraft treten kann. Das IEF wird dazu weiter berichten. (TS)