US_INT / Ehe: Diskussion um Polygamie im Aufschwung
IEF, 09.03.2020 – Nach der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe wird nun vielfach die Legalisierung der Polygamie gefordert.
Nachdem viele westliche Länder die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt haben, werden Stimmen laut, die nun auch die Einführung der Polygamie (Vielehe) fordern.
Dabei bilden sich überraschende Koalitionen, wie am Beispiel des US-amerikanischen Bundesstaates Utah zu erkennen ist. Unter den Proponenten für die Vielehe finden sich Gruppen von fundamentalen Mormonen ebenso wie liberale Polyamoristen, wie Artikel im The Daily Utah Chronicle oder im The Guardian zeigen. Doch die Argumente könnten kaum unterschiedlicher sein. Während Mormonen auf religiöse Normen und Traditionen verweisen, bemühen letztere erneut die bereits bekannten Argumente aus der Diskussion um die gleichgeschlechtliche Ehe.
Utah entschärft Gesetze zur Polygamie
In Utah etwa leben die meisten Mormonen, von denen zahlreiche fundamentale Gruppen bis zum heutigen Tag die Polygamie erlauben beziehungsweise explizit fördern. Teilweise herrscht dort sogar der Glaube, dass Polygamie notwendig ist, um in die höchsten Stufen des Himmels zu gelangen.
Kürzlich hat der Senat von Utah die Strafen für Polygamie herabgesetzt. Es handelt sich um kein Kapitalverbrechen mehr, sondern nur noch um einen geringfügigen zivilrechtlichen Verstoß, berichtet das amerikanische Online-Magazin The Federalist. Dabei soll es aber nicht so sehr um eine Erleichterung der Polygamie gegangen sein, sondern im Gegenteil um einen besseren Schutz von darin verwickelten Frauen. Mit der Entschärfung des Verbots will man in Utah nämlich vor allem Frauen helfen, die in polygamen Beziehungen missbraucht werden. Durch die geringere Strafe solle der Ausstieg erleichtert werden, berichtet etwa die britische Tageszeitung The Guardian. Bisher war das Problem, dass sich diese Frauen meist nicht trauten, sich an staatliche Institutionen zu wenden, da sie dabei selber zugeben mussten, ein Kapitalverbrechen begangen zu haben.
Déjà-vu bei den Argumenten
Anders ist die Argumentationslage jedoch auf Seiten vermeintlich Liberaler und Polyamoristen. Zur Erinnerung: Bereits kurz nach dem Urteil des Supreme Court, das die gleichgeschlechtliche Ehe in den USA erlaubte, versicherte u.a. Cathy Young, eine bekannte amerikanische Journalistin mit einem Schwerpunkt auf Feminismus, in einem Kommentar unter dem Titel „Polygamy Is Not Next“ (Polygamie ist nicht das Nächste) für die TIME, dass die Sorgen vieler Konservativer unbegründet wären und die Ehe, bestehend aus zwei Personen, keinesfalls gefährdet sei.
Die Wirklichkeit schaut hingegen anders aus. Wie The Federalist berichtet sind die Argumente, die schon für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe hergehalten haben, nun wieder in aller Munde. Angefangen bei der Feststellung, dass Polygamisten „den gleichen Schutz des Gesetzes“ verdienten, über Aussagen wie „Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn jeder etwas offener ist“ und „Ich bin stolz darauf wer ich bin“ aber „ich werde von der Gesellschaft abgelehnt“ bis hin zum Argument par excellence Polygamie zu erlauben „schadet ja niemandem“.
Kein Einfluss auf klassische Ehen
Genau an dieser Stelle lohnt ein weiterer Blick in den Kommentar von Cathy Young aus dem Jahr 2015, die nach der Versicherung, dass Polygamie nicht das nächste Zielt sei, ausführte, warum Polygamie verboten bleiben sollte. Besonders weist sie darauf hin, dass die Möglichkeit, eine Ehe mit mehr als einem Partner zu schließen, eine Auswirkung auf jede bereits bestehende Ehe habe, weil es „die potentielle Tür öffnen würde für einen weiteren Partner“. Auch weist sie auf die rechtlichen Probleme hin, wie die Aufteilung des Vermögens im Falle einer Scheidung einer polygamen Ehe, der Aufteilung eines Erbes, der Rechte für den Partner Entscheidungen zu treffen und vor allem der Umgang mit dem Sorgerecht für Kinder.
Heute führt Polygamie zu Problemen
Wie der Kanadische Anthropologe und Professor für Menschliche Evolutionsbiologie an der Universität von British Columbia, Joseph Henrich, in einem Interview mit dem Zeit-Magazin ausführt, erlaubten zwar 85% aller menschlichen Gesellschaften, die je von Anthropologen beschrieben wurden, Männern mehrere Frauen zu haben, allerdings führe dieses Verhalten heute zu gravierenden Problemen.
Er führt dazu aus, dass in polygamen Gesellschaften die Frauen vermehrt dazu tendierten, sich Männer mit einen hohen Status zu suchen. Dieses Verhalten führt dazu, dass viele Männer dann keine Partnerin mehr finden. Was passiert, wenn ohnehin bereits benachteiligte Männer auch noch die Hoffnung auf eine Lebensgefährtin verlieren, zeigt er am Beispiel von China auf. Dort hat die Regierung am Ende der 1970er Jahre die Ein-Kind-Politik eingeführt, woraufhin viele Familien ihre weiblichen Kinder abtreiben ließen und so ein gesellschaftliches Übergewicht an Familien mit Söhnen entstand. Als sich so das Geschlechterverhältnis zugunsten der Männer verschob, stieg in den betreffenden Provinzen die Kriminalität. Heinrich führt aus, dass „Männer, die um wenige Frauen konkurrieren und ihre Aussichten auf Lebenserfolg schwinden sahen“ deswegen „zu allen möglichen Arten von asozialem Verhalten“ bereit waren. Gleiches würde für alle modernen Gesellschaften gelten. Heinrich befasste sich u.a. in einer 2012 publizierten Studie ausführlich mit den Auswirkungen der Monogamie. (MM)