Elternschaft
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INT / Reproduktionsmedizin: Die Zukunft nicht biologischer Elternschaft

IEF, 25.05.2021 – Während der EGMR über die Zulässigkeit rechtlicher Elternschaft nach Leihmutterschaft urteilt, will die EU einheitliche und grenzübergreifende Regeln festlegen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied kürzlich, dass die innerstaatliche Verweigerung der Anerkennung eines Paares als Eltern eines durch Leihmutterschaft geborenen Kindes kein Verstoß gegen Artikel 8 EMRK  sei.

Ein verheiratetes homosexuelles Paar aus Island hatte sich von einer Leihmutter mittels Eizell- und Samenspende in den USA ein Kind austragen lassen. Nach ihrer Rückkehr drei Wochen nach Geburt des Kindes 2013 stellten die beiden Frauen sowie der gesetzliche Vertreter des Kindes in dessen Namen den Antrag auf Eintragung als isländischer Staatsbürger und als Sohn der Erst- und Zweitantragstellerin. Auf Nachfrage reichten die Antragstellerinnen Dokumente ein, aus denen hervorging, dass das Kind von einer Leihmutter geboren worden war und dass diese auf ihre Rechte verzichtet hatte. Mit der Begründung, dass die Mutter des Kindes US-Bürgerin sei und daher kein automatischer Anspruch auf die isländische Staatsbürgerschaft bestehe, wurde der Antrag abgewiesen.

Pflegschaftslösung: Bub bleibt in Obhut der Bestelleltern

Da das Kind als unbegleiteter Minderjähriger angesehen wurde, übernahmen die isländischen Behörden jedoch das Sorgerecht für den Buben und übergaben ihn in die Obhut der beiden Frauen als Pflegefamilie. Als übergeordnete Instanz entschied in weiterer Folge auch das Innenministerium, dass es im isländischen Recht keine Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer Staatsbürgerschaft des durch Leihmutterschaft geborenen Kindes gibt. Während des Berufungsverfahrens vor dem Bezirksgericht von Reykjavik wurde dem Buben auf Grundlage eines neu in Kraft getretenen Gesetzes zwar die isländische Staatsbürgerschaf verliehen, die beiden Antragstellerinnen aber weiterhin nicht als Eltern des Kindes eingetragen. In weiterer Folge beantragten die beiden Frauen die Adoption des sich in ihrer Pflege befindlichen Kindes, das Verfahren über den Antrag wurde jedoch aufgrund des laufenden Verfahrens auf Feststellung der Elternschaft unterbrochen. Da sich die beiden Frauen im Mai 2015 schließlich scheiden ließen, zogen sie den Adoptionsantrag zurück, da sie nicht mehr zur gemeinsamen Adoption legitimiert waren.

Vorliegen eines „Familienlebens“ schafft rechtlichen Schutz

Im März 2016 wies das Bezirksgericht die Anträge der Antragstellerinnen ab und stellte fest, dass die Behörden unter den gegebenen Umständen nicht verpflichtet seien, die Antragstellerinnen als Eltern gemäß der ausländischen Geburtsurkunde anzuerkennen. Auch wenn darin ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Buben zu sehen ist, sei dieser gerechtfertigt, um die Moral und die Rechte anderer zu schützen, insbesondere angesichts des Verbots der Leihmutterschaft in Island. Auch der in weiterer Folge angerufene Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil, stellte jedoch – anders als das Bezirksgericht – fest, dass aus seiner Sicht zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde überhaupt kein „Familienleben“ im Sinne der Rechtsprechung vorgelegen habe.

Nach der Scheidung der Frauen wurde das Kind für jeweils ein Jahr abwechselnd in die Pflege einer der beiden Klägerinnen gegeben, wobei der Bub gleichberechtigten Zugang zur jeweils anderen hatte. Im Jahr 2019 übernahm eine der Frauen, erneut verheiratet, schließlich die dauerhafte Pflege des Kindes, der uneingeschränkte Kontakt zur zweiten Klägerin verblieb.

Mater semper certa est?

Im Verfahren hatte der EGMR zunächst festzustellen, ob die Beziehung zwischen den drei Antragsstellern zum Zeitpunkt der Ereignisse überhaupt als ein nach Artikel 8 EMRK geschütztes „Familienleben“ einzustufen ist. Da sich das Kind seit seiner Geburt in der ununterbrochenen Obhut der beiden Klägerinnen befunden hatte, wurde dies seitens des Gerichtshofes bejaht. Die Feststellung der isländischen Instanzen, dass aufgrund der Tatsache, dass keine der beiden Frauen das Kind zur Welt gebracht hatte, keine der beiden als seine Mutter angesehen werden konnte, befand der EGMR jedoch weder als willkürlich noch als unangemessen.

Scheidung verhinderte wohl Adoption

Das Gericht berücksichtigte in seiner Fallprüfung auch den Ermessensspielraum, der den Staaten im Anwendungsbereich des Artikel 8 EMRK eingeräumt wird. Die Behörden hatten, da sie das Kind in die Obhut der beiden Klägerinnen gegeben hatten, die Möglichkeit einer gemeinsamen Adoption für sie offengehalten, wenn sie verheiratet geblieben wären. Die spätere Entscheidung, dem Kind die isländische Staatsbürgerschaft zu verleihen, wurde seitens des Gerichts ebenso gewürdigt. Der Staat habe durch die angeführten Maßnahmen aus Sicht des EGMR ausreichend Schritte unternommen, um das Familienleben der Antragssteller zu schützen und lediglich von seinem Ermessenspielraum Gebrauch gemacht, um dem Verbot der Leihmutterschaft nicht entgegen zu wirken. (KL)

Lesen Sie dazu auch den aktuellen IEF-Beitrag über das EU-Projekt zur Anerkennung rechtlicher Elternschaften hier.

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