DE / Lebensende: Deutsche Ärzte unter Druck
IEF, 22.04.2021 – Aus Anlass des Urteils des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur „Sterbehilfe“ diskutiert die Hamburger Ärzteschaft die Überarbeitung ihrer Berufsordnung.
Delegiertenversammlung definiert Eckpunkte
Wie das Ärzteblatt berichtet, hat die Ärztekammer Hamburg in einer Delegiertenversammlung Mitte April Eckpunkte für eine Neuregelung der „Sterbehilfe“ beschlossen und sich darin unter anderem für eine Verbesserung des Schutzes von Sterbewilligen ausgesprochen. Die geschäftsmäßige Förderung eines Suizides in Deutschland ist seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 deutsches StGB im Februar 2020 nicht mehr strafbar. Wie das IEF berichtet hat, erkannte das Gericht in seinem Urteil zudem das Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Ausdruck von Autonomie und damit auch die Freiheit jedes Einzelnen, Suizidhilfe bei fachkundigen, kompetenten Dritten zu suchen, um Suizid schmerzfrei und sicher umzusetzen. Wie auch in Österreich wurde der deutsche Gesetzgeber mit Entscheidung des Höchstgerichts aufgefordert, neue Regelungen zu treffen – erste Gesetzesentwürfe liegen dazu vor.
Urteil bringt Ärzte in Konfliktsituationen
Das Urteil bringt jedoch Ärzte in Konflikt mit ihrer Berufsordnung. § 16 leg. cit. normiert den Beistand für den Sterbenden und legte bis dato fest, dass der Arzt dem Sterbenden „unter Wahrung seiner Würde und Achtung seines Willens“ beizustehen hat. Es ist ihm verboten, einen Patienten auf dessen Verlangen zu töten. Er darf keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Die Delegiertenversammlung sprach sich nun dafür aus, dass die Ärztekammer Hamburg sich auch weiterhin an der gesellschaftlichen Diskussion über den assistierten Suizid beteiligt. Verbunden damit sei die Forderung nach einer Regelung, die in der Ärzteschaft konsentiert und möglichst breit verankert ist.
„Eine Tötung auf Verlangen durch Ärztinnen oder Ärzte darf es weiterhin nicht geben.“
Bereits definiert wurden einige Eckpunkte, die in die Berufsordnung einfließen sollen. Vermieden werden müsse, dass Ärzte sich durch ihr Handeln oder Unterlassen einem Strafbarkeitsrisiko aussetzen. Elementar sei darüber hinaus, dass es weder eine Tötung auf Verlangen durch Ärzte noch eine Verpflichtung zum ärztlich assistierten Suizid geben darf. Suizidwünsche von gesunden Personen dürften nicht primär an Ärzte adressiert werden, vielmehr bedürfe es der Einführung von Schutzbestimmungen für Suizidwillige. Die Delegiertenversammlung richtet auch einen Appell an die handelnden Akteure, die Aktivitäten zur Suizidprävention und zur Beratung von Menschen mit suizidalen Gedanken auszubauen. Wesentlich sei zudem, dass die Möglichkeiten der Inanspruchnahme der Palliativmedizin verstärkt werden. Bei einer Beratung müsse auch auf alternative Handlungsoptionen verwiesen und dabei auch konkrete Hilfsangebote sowie Behandlungsmöglichkeiten unterbreitet werden. Aus Sicht der Hamburger Ärzteschaft sei zu gewährleisten, dass Suizidwillige ihren Willen frei und unbeeinflusst von einer psychischen Störung und ohne unzulässige Einflussnahme oder Druck bilden könnten. Eine klare Trennung zwischen den Instanzen, die den Suizidwunsch bewerten und denen, die diesen umsetzen, müsse dafür gewahrt werden. Wenn Ärzte eine Entscheidung über die Gewährung einer „Suizidassistenz“ zu treffen hätten, müsste bei der Einzelfallentscheidung zudem jeweils mehr als ein Arzt beteiligt sein, so etwa sei ein Gremium aus entsprechenden Fachdisziplinen einzurichten. Der Prozess der Bewertung und der Umsetzung des Suizidwunsches müsse transparent vollzogen und dokumentiert werden. Im Nachhinein sei eine retrospektive Bewertung/Überprüfung des Vorgangs vorzunehmen.
Einigung bedeutsam für deutschen Ärztetag
Grundlage für die nun beschlossenen Eckpunkte, hatten zwei Online-Fortbildungsveranstaltungen mit insgesamt weit über 500 teilnehmenden Ärzten gelegt. „Ich bin sehr stolz auf die Beteiligung der Hamburger Ärzteschaft bei den Veranstaltungen, aber auch bei der gestrigen Diskussion. Es war eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung, die von hohem Respekt der unterschiedlichen Positionen geprägt war“, sagte Kammerpräsident Dr. Pedram Emami nach der Delegiertenversammlung. Der Vorstand der Ärztekammer Hamburg hatte den Prozess auch in Hinblick auf den Deutschen Ärztetag angestoßen, der sich Anfang Mai mit dem Thema beschäftigen wird. „Ich freue mich, dass wir mit einem starken Votum ausgestattet sind, uns als Ärzteschaft an der gesellschaftlichen und politischen Debatte zu beteiligen. Ich halte das für einen Meilenstein“, so Vizepräsidentin Dr. Birgit Wulff.
Kritische Worte vom Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes
Bei der Eröffnungsveranstaltung der diesjährigen Deutschen Woche für das Leben erinnerte der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, an die doppelte Aufgabe der Ärzte: „Sterben zu verhindern, wo äußere Einflüsse zu vorzeitigem Tod führen; und Sterben zu erleichtern, wo es der natürliche Abschluss des Lebens ist.“ Den Sterbeprozess müssten, könnten und wollten Ärzte kompetent begleiten: „Nicht Hilfe zum Sterben, sondern Hilfe beim Sterben ist unsere Verpflichtung. Tötung auf Verlangen ist allen Menschen verboten, und es gehört nicht zu unseren Aufgaben, ärztliche Sterbehilfe durch die Hintertür des ärztlich assistierten Suizids zu leisten. Aus Sicht des ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Bundesärztekammer irrt das Bundesverfassungsgericht, wenn es die menschliche Selbstbestimmung derart überhöht, dass sie sogar die Abschaffung ihrer selbst miteinschließt. Palliativmedizin und Hospizarbeit sind wirksame Mittel zur verantwortlichen Sterbebegleitung.“ Nicht der schnelle Tod, sondern das sanft begleitete Sterben an der Hand der Familie und eines Arztes seien ein würdiger Abschluss des Lebens, so der nunmehrige Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes. (KL)