DE / Pro-Life: Gericht bestätigt Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
IEF, 26.04.2022 – Der Verwaltungsgerichtshof Kassel entschied, dass die Gebetswache der Gruppe “40-Tage-für-das-Leben” vor einer Abtreibungsorganisation rechtens ist.
Kein Konfrontationsschutz vor unerwünschten anderen Ansichten
Die Stadt Frankfurt hatte die Gebetsgruppe 40-Tage-für-das-Leben (Euro Pro Life e.V.) mit Auflagen belegt, die deren Versammlungsfreiheit vor einer Pro Familia Einrichtung einschränkten. Wie Alliance Defending Freedom International (ADF) berichtet, hatte die Pro-Life-Organisation deshalb gerichtlichen Schutz in Anspruch genommen. Nachdem die erste Instanz der Gebetsgruppe Recht gab, legte die Stadt Frankfurt Beschwerde ein. Nun bestätigte die zweite Instanz die Entscheidung der ersten und wies darauf hin, dass „die Rechtsordnung keinen Konfrontationsschutz vor nicht gewünschten anderen Ansichten gewährt“.
Einschränkung der Versammlungsfreiheit muss gerechtfertigt sein
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel wies in seinem Beschluss die pauschale Behauptung der Stadt Frankfurt zurück, dass Frauen, die an der verpflichtenden Abtreibungsberatung im Pro Familia Zentrum teilnehmen, zwangsläufig eingeschüchtert und damit in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt werden. Das Gericht hielt fest, dass nicht „jegliche unangenehme Empfindung bei der Wahrnehmung der Versammlung deren räumliche Verlegung begründen [kann]. Dies wäre ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.“
Recht auf Meinungsäußerung ist zentrales Element der Demokratie
Eine Mahnwache könne unter Umständen das Persönlichkeitsrecht der Frauen verletzen, betonte der VGH Kassel. Es handele sich jedoch um eine Frage des Grades, da das Recht auf Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft von großer Bedeutung sei und Zeit, Ort und Art der Meinungsäußerung grundsätzlich frei gewählt werden könne. Bei der Abwägung der potenziell kollidierenden Rechte komme es auf eine detaillierte Analyse des Ausmaßes im Einzelfall an (Sichtbarkeit, Hörbarkeit, Nähe, Möglichkeit, sich abzuwenden/der Konfrontation zu entgehen). „Nicht jede Wahrnehmbarkeit der Versammlung des Antragstellers durch schwangere Frauen, die die Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchen, stellt bereits eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Insoweit weist das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hin, dass die Rechtsordnung keinen Konfrontationsschutz vor nicht gewünschten anderen Ansichten gewährt […]“, stellte das Gericht klar.
Gebetsgruppe verletzte nicht das Persönlichkeitsrecht
Nach einer detaillierten Analyse der örtlichen Gegebenheiten, der Entfernung zwischen Mahnwache und Eingang, und des tatsächlichen Verhaltens der Versammlungsteilnehmer, stellte das Gericht fest, dass die Gebetsmahnwache in Frankfurt keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Frauen, der Mitarbeiter von Pro Familia oder Dritter darstelle.
Böllmann: „Faire und differenzierte Entscheidung“
Dr. Felix Böllmann, Rechtsanwalt bei ADF International, begrüßte „die faire und differenzierte Entscheidung“ des Gerichts, da es damit „die Bedeutung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit im öffentlichen Raum betont“. Zensurzonen hemmten die Ausübung demokratischer Rechte und den öffentlichen Diskurs. Der friedliche Einsatz für den Schutz des Rechts auf Leben am Ort der eigenen Wahl dürfe daher nicht durch räumliche Verdrängung solcher Meinungsäußerungen bekämpft werden, selbst wenn diese bei anderen Unbehagen, Unverständnis oder gar Empörung hervorrufen könnten. „So ist die Rechtslage“, stellt der Rechtsanwalt fest. „Angesichts der Vorhaben der Bundesregierung, Menschen zu kriminalisieren, die an friedlichen Gebetsversammlungen in der Nähe von Abtreibungsorganisationen teilnehmen, gibt diese Entscheidung Hoffnung,“ so Böllmann und verweist auf einen Parallelfall in der deutschen Stadt Pforzheim.
Parallelfall in Pforzheim
Die Stadt Pforzheim hatte einer Gebetsgruppe ebenso verboten, stille und friedliche Gebetsmahnwachen in Seh- und Hörweite einer Abtreibungsberatungsstelle zu halten. Die Klage der Gebetsgruppe gegen das Verbot wurde allerdings – entgegen dem Recht auf Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit – in erster Instanz vom Verwaltungsgericht in Karlsruhe abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Leiterin der Gebetsgruppe, Pavica Vojnović, Berufung bei der nächsten Instanz, dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim, beantragt. Die Berufung sei zugelassen worden, es gebe allerdings noch keinen Verhandlungstermin, so Böllmann auf Nachfrage des Instituts für Ehe und Familie (IEF). „Unabhängig davon, ob man Frau Vojnovićs Ansichten inhaltlich teilt oder nicht: Darüber, dass die Grundrechte auf Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit den Schutz des Grundgesetzes genießen, sollte Einigkeit bestehen“, macht Böllmann klar. (TSG)