DE / Lebensende: „Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe“
IEF, 02.09.2021 – Nach Freigabe der geschäftsmäßigen Suizidassistenz veröffentlicht die Bundesärztekammer Hinweise zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität.
Aus Anlass der Aufhebung des Verbots der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe durch das Bundesverfassungsgericht in Deutschland (das IEF hat berichtet) und der darauffolgenden Änderung der ärztlichen Berufsordnung im Rahmen des 124. Ärztetags im Mai dieses Jahres (das IEF hat berichtet), hat die Bundesärztekammer nun Hinweise zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen veröffentlicht. Sie sollen Ärzten Orientierung bieten und bei der Entscheidung helfen, wie sie mit den an sie herangetragenen Wünschen nach Suizidassistenz umgehen sollen.
Für Ärzte gilt das Primat der Suizidprävention
Die Aufgabe der Ärzte sei weiterhin „das Leben ihrer Patienten zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen“, heißt es in den Hinweisen der Bundesärztekammer. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung sei hingegen keine ärztliche Aufgabe. Im Falle von Suizidalität eines Patienten gelte für Ärzte, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über Suizid und Suizidalität, die „Notwendigkeit und das Primat der Suizidprävention“, wobei leidenden Menschen primär Hilfeleistung und Unterstützung anzubieten sei.
Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stehe es jedoch auch Ärzten offen, in bestimmten Fällen Hilfe zur Selbsttötung zu leisten und an einem Suizid mitzuwirken, so das offizielle Schreiben weiter. Als Mitwirkung versteht die Bundesärztekammer dabei die konkrete Anleitung zur Planung und Durchführung des Suizids, die Vermittlung an eine „Sterbehilfe“-Organisation, die Abgabe eines Suizidpräparats und die zielgerichtete Erstellung von Gutachten für Sterbehilfevereine als Voraussetzung für die Durchführung eines assistierten Suizids.
Der Unterschied zwischen Todeswunsch und Suizidalität
Die Hinweise bieten neben konkreten Handlungsanleitungen auch einen Überblick über die wichtigsten Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts. Außerdem wird eine Begriffsunterscheidung zwischen Suizidalität und Todeswunsch vorgenommen. Denn Menschen am Lebensende würden immer wieder Todeswünsche äußern, ohne dabei suizidal zu sein und ohne den Tod aktiv herbeiführen zu wollen. Suizidalität hingegen sei von einem inneren Druck charakterisiert, die Suizidgedanken in die Tat umzusetzen. Die Bundesärztekammer erinnert außerdem daran, dass psychische Störungen, wie etwa Depressivität, in enger Verbindung mit Suizidalität stehen. Die Ursachen der Suizidalität seien dabei vielfältig und könnten meist auf eine körperliche, psychische, soziale, existenzielle oder gar spirituelle Not zurückgeführt werden. Auslöser seien oftmals Trennungen, Verluste, Verletzungen, psychosoziale Folgen körperlicher Erkrankungen, aber auch Vereinsamung und soziale Desintegration. Bei schweren körperlichen Erkrankungen und im Hinblick auf das bevorstehend Sterben könnten Todeswünsche außerdem als eine Art entlastende „Exit-Strategie“ gegen die „nicht beherrschbare und sehr belastende Zukunft“ wahrgenommen werden.
Umgang mit Todeswünschen und Suizidgedanken seitens der Patienten
Wenn ein Patient Todeswünsche oder Suizidgedanken gegenüber einem Arzt äußert, so habe dieser „empathisch und wertefrei“ Anlass, Hintergründe und Motive des Wunsches zu erfragen. Handelt es sich um einen schwerkranken oder sterbenden Patienten, soll der Arzt außerdem mit dem Patienten nach Lösungen suchen, das unerträglich empfundene Leiden zu mindern oder zu beseitigen und ihm die Bereitschaft signalisieren, über Sterben und Tod zu sprechen. Ein derartiges Gespräch, bei dem der Arzt auch die Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu prüfen habe, würde außerdem eine Aufklärung und Beratung über Diagnose, Prognose, Therapien und alternative Angebote beinhalten. Die Bundesärztekammer bezeichnet die geschilderten Tätigkeiten, samt der palliativen Versorgung und dem Hinweis auf die Möglichkeit einer suizidpräventiven Beratung, als Kernaufgabe der Ärzte, wobei das Patientengespräch, die Sterbebegleitung und Leidminderung nicht als Mithilfe am Suizid zu qualifizieren seien.
Kriterien für eine erlaubte Suizidassistenz
Die Hinweise gehen auch auf den rechtlichen Handlungsrahmen ein und erklären welche ärztlichen Handlungen erlaubt und welche weiterhin strafrechtlich verboten sind. Erlaubt sei, wie schon bisher, eine gebotene Behandlungsbegrenzung und Sterbebegleitung. Neuerdings sei auch die wiederholte Hilfe zum freiverantwortlichen Suizid nicht strafbar. Damit Straffreiheit gegeben sei, müsse der suizidwillige Patient allerdings einsichts- und urteilsfähig sein, keinem Zwang, keiner Drohung bzw. Täuschung unterliegen, den Todeswunsch reflektieren können und sein Entschluss muss von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit charakterisiert sein. Weiterhin verboten bleibe die Tötung auf Verlangen.
Umstrittene Rechtslage bei der Ausgabe von Betäubungsmitteln für Ärzte
In einem eigenen Punkt wird auch die Vergabe von Betäubungsmitteln behandelt. Diese könnten entweder beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder über Ärzte bezogen werden. Durch eine Weisung des Bundesministers für Gesundheit, ist dem Bundesinstitut die Ausgabe von Betäubungsmitteln zum Zweck der Selbsttötung jedoch untersagt worden (das IEF hat berichtet). Was die Ärzte betrifft, sei die Rechtslage unklar. Generell gelte, dass Betäubungsmittel nur zu therapeutischen Zwecken ausgegeben werden dürfen. Eine therapeutische Indikation liege im Falle einer Selbsttötung jedenfalls nicht vor. Umstritten sei jedoch, ob dies auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts so handzuhaben sei.
Abschließend hält die Bundesärztekammer in ihren Hinweisen fest, dass kein Patient einen Anspruch auf Beihilfe zum Suizid habe. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten sei vor allem ein Abwehrrecht. Der Patient könne eine Behandlung zwar ablehnen, dürfe jedoch nicht eine Maßnahme einfordern, die aus ärztlicher Sicht nicht indiziert sei. Und eine Selbsttötung ist nicht indiziert. (AH)