selbstbestimmtes Sterben
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DE / Lebensende: Keine Sterbehilfe durch den Staat

IEF, 14.02.2022 – Auch wenn in Deutschland das Sterbehilfeverbot vor zwei Jahren gekippt wurde: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist nicht verpflichtet, schwerkranken und suizidwilligen Menschen den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Den Betroffenen sei es zumutbar, sich anderweitig Suizidhilfe, etwa bei einem Arzt, zu suchen. Das hat das Oberverwaltungsgericht Köln entschieden. Währenddessen legten Abgeordnete einen weiteren Entwurf zur gesetzlichen Regelung der Suizidassistenz vor. Es ist der mittlerweile dritte Entwurf, der im Unterschied zu den vorherigen Entwürfen den Fokus darauf legt, vulnerable Personen zu schützen und einen freiverantwortlichen Entschluss zur Selbsttötung sicherzustellen.

Forderung nach Herausgabe von Betäubungsmittel durch staatliches Institut

Wie das Institut für Ehe und Familie (IEF) berichtet hat, urteilte das Bundesverwaltungsgericht Leipzig im März 2017, dass schwerkranke Menschen in „extremen Ausnahmesituationen“ Anspruch auf Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung hätten. Innerhalb kürzester Zeit wurden zahlreiche Anträge an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Herausgabe einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels gestellt. Das Gesundheitsministerium wendete sich jedoch gegen die Herausgabe tödlicher Betäubungsmittel und wies das BfArM als staatliches Institut an, sämtliche Anträge abzulehnen. Begründet wurde die Anweisung damals damit, dass die Vergabe von tödlichen Medikamenten nicht mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes vereinbar sei, das die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherstellen müsse. Eine Selbsttötung sei jedoch keine Therapie. Eine staatliche Ausgabe tödlicher Betäubungsmittel sei zudem nicht zu vereinbaren mit den Grundwerten der Gesellschaft und dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Suizidhilfe. Das IEF hatte berichtet.

Oberverwaltungsgericht Köln: Kein Leistungsanspruch gegenüber Staat

Durch das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Februar 2020 hat sich mittlerweile die rechtliche Situation in Bezug auf Suizidassistenz geändert. Der BVerfG hatte ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben und das Recht auf Zuhilfenahme anderer bei der Selbsttötung festgestellt. Trotzdem sieht das Oberverwaltungsgericht (OVW) Köln in seinem aktuellen Urteil keinen Leistungsanspruch von Schwerkranken gegenüber dem Staat, um die beabsichtigte Suizidhandlung durchzuführen.

Die Kläger – zwei Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen und eine Frau aus Baden-Württemberg – litten an verschiedenen schwerwiegenden Erkrankungen (u. a. Multiple Sklerose, Krebs). Sie verlangten vom BfArM, ihnen jeweils eine Erlaubnis zum Erwerb von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu erteilen, um mithilfe dieses Betäubungsmittels ihr Leben zu beenden. Das BfArM als staatliches Institut sei nicht verpflichtet, schwerkranken Menschen, die den Entschluss zum Suizid gefasst haben, hierfür den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben, so das OVW Köln.

Selbsttötung hat keinen therapeutischen Zweck

Ihr Urteil begründete die Vorsitzende des 9. Senats damit, dass Betäubungsmittel (siehe § 5 Abs. 1 Nr. 6 Betäubungsmittelgesetz – BtMG) nur herausgegeben werden dürften, wenn deren Anwendungen eine therapeutische Zielrichtung hätte, sie also dazu dienten, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern. Im Falle einer Selbsttötung sei allerdings kein therapeutischer Einsatz gegeben. Grundrechte von Suizidwilligen würden durch diese Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes derzeit nicht verletzt werden, so das Gericht. Der Versagungsgrund eines Betäubungsmittels gemäß Betäubungsmittelgesetz schütze das legitime öffentliche Interesse der Suizidprävention und diene der staatlichen Schutzpflicht für das Leben. Vorkehrungen, die eine selbstbestimmte Entscheidung des Suizidenten gewährleisten würden, sehe das Betäubungsmittelgesetz nicht vor. Der Gesetzgeber müsse dazu entsprechende Schutzkonzepte entwickeln. Jedenfalls führe die Beschränkung Suizidwilliger im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes nicht dazu, dass diese ihr „Recht auf Selbsttötung“ nicht wahrnehmen könnten. Nach aktueller Rechtslage sei vielmehr ein zumutbarer Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe, etwa durch Ärzte, real eröffnet, so das Gericht.

Abgeordnete legen weiteren Gesetzesentwurf zur Suizidassistenz vor

Währenddessen haben Abgeordnete aller Parteien außer der AfD einen Regelungsvorschlag für Suizidassistenz vorgelegt, um einen gesetzlichen Rahmen für das Urteil des BVerfG von Februar 2020 zu schaffen. Es ist der dritte Entwurf nach zwei Entwürfen, die insbesondere den Schutz des „Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ im Fokus hatten. Der aktuelle Gesetzesentwurf (Selbsttötungshilfegesetz – StHG) sieht nun vor, dass die geschäftsmäßige Sterbehilfe „zum Schutz der Freiverantwortlichkeit der Ent­scheidung zur Selbsttötung“ grundsätzlich wieder strafbar sei und nur unter engen Voraussetzungen straffrei bleibe. Um die freie Entscheidung ohne inneren und äußeren Druck festzustellen, sollten Untersuchungen durch zwei voneinander unabhängige Ärzte, wovon einer ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sein müsse, stattfinden. Diese sollten feststellen, dass die suizidwillige Person ihren Beschluss frei und selbstbestimmt getroffen habe. Zusätzlich sei eine umfassende ergebnisoffene Beratung in dafür qualifizierten Beratungsstellen erforderlich. So sei vorgesehen, je nach Lebenssituation etwa Sucht- oder Schuldnerberatungen anzubieten. Es gelte eine Wartefrist von sechs Monaten, um die Dauerhaftigkeit und Ernsthaftigkeit des Selbsttötungsentschlusses zu gewährleisten. Das Verfahren könne verkürzt werden, wenn die Einhaltung der Wartefrist für die betroffene Person eine „unzumutbare Härte“ darstellen würde. Als Alternativen zum assistierten Suizid sollten außerdem Angebote der palliativen Versorgung, der fürsorgenden Pflege oder der Psychotherapie gestärkt werden. Im Gegensatz zum österreichischen Sterbeverfügungsgesetz ist Krankheit keine Voraussetzung für die Straffreiheit der Suizidassistenz.

Heveling: „Ahndung von Missbrauch und Geschäften mit dem Tod“

Wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet, sei das Ziel des Entwurfs laut CDU-Politiker Ansgar Heveling, „Missbrauch und das Geschäft mit dem Tod“ ahnden zu können. Der zu den Initiatoren gehörende SPD-Politiker Lars Cas­tellucci erklärte, der Gesetzesentwurf wolle „den assistierten Suizid ermöglichen, aber nicht fördern“. Es solle sichergestellt werden, dass ein Suizid freiverantwortlich geschehe. Das mache ein Schutz- und Beratungskonzept erforderlich. Castellucci betonte: „Der Staat darf niemandem den Eindruck ver­mitteln, überflüssig zu sein.“ Bis zu 90 Prozent der Suizide seien auf psychische Erkrankung oder akute Belastung zurückzuführen. Hier sei „Hilfe, Beratung, Unterstützung“ verlangt.

Kritik kam unter anderen von der FDP-Abgeordneten Katrin Heling-Plahr. Der Entwurf werde dem Regelungsbedarf und dem Urteil des Bundesgerichtshofs nicht gerecht, sondern würde das verfassungsrechtlich bestätigte Recht auf selbstbestimmtes Sterben abermals aushöhlen, so die Politikerin.

Die Initiatoren des aktuellen Entwurfs werden nun im Bundestag Unterschriften für ihre Initiative sammeln. Sobald mindestens fünf Prozent der Mitglieder die Vorlage unterstützten, könne sie im Plenum behandelt werden. (TSG)

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