DE / Gender: Kabinett beschloss Aktionsplan „Queer leben“
IEF, 19.12.2022 – Zu den Maßnahmen gehört neben dem Selbstbestimmungsgesetz eine Novellierung des Abstammungs- und Familienrechts, um Regenbogenfamilien zu stärken.
Aktionsplan „Queer leben“
Mit einem umfassenden Maßnahmenkatalog will die deutsche Bundesregierung künftig die Rechte queerer Menschen stärken. Dazu hat das deutsche Bundeskabinett bereits im November einen bundesweiten Aktionsplan für die Akzeptanz und den Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt „Queer leben“ beschlossen. Die Maßnahmen unterteilen sich in sechs Handlungsfelder: rechtliche Anerkennung, Teilhabe, Sicherheit, Gesundheit, Stärkung der Beratungs- und Communitystrukturen sowie Internationales.
Gemäß Vorlage sollen Abstammungs- und Familienrecht reformiert, die Forschung und Datenerhebung zur Lebenssituation ausgebaut und der Gewaltschutz sowie die Gesundheitsversorgung von „LSBTIQ*“ (Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen) verbessert werden. Die konkreten Vorhaben wurden größtenteils im Koalitionsvertrag angekündigt (IEF-Bericht). Der Aktionsplan „Queer leben“ ist ein nächster Schritt in Richtung Umsetzung und stehe laut Sven Lehmann „für eine aktive Politik gegen Diskriminierung von queeren Menschen“. Sven Lehmann ist der „Queer-Beauftragte“ der deutschen Bundesregierung, der die geplanten Maßnahmen in den nächsten Jahren in Zusammenarbeit mit den Ministerien und „der Community“ umsetzen möchte. „Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss verpflichtet sich die Bundesregierung ressort-übergreifend zu einer aktiven Politik für die Akzeptanz und den Schutz von LSBTIQ*“, so Lehmann. Die konkrete Ausgestaltung erfolge in einem ressortübergreifenden Arbeitsprozess, der von Lehmann koordiniert werde.
Was ist „queer“?
„Queer“ ist ein nicht abschließend definierbarer Begriff. Im Glossar des Regenbogenportals der deutschen Bundesregierung wird „queer“ folgendermaßen umschrieben: „In Deutschland wird ‚queer‘ oft als Sammelbezeichnung für ‚lesbisch, bisexuell, schwul, trans*, inter* und mehr‘, aber auch als eigenständige Selbstbezeichnung verwendet, die die begrenzenden Kategorien ‚Homo-/heterosexuell‘, ‚männlich/weiblich‘, ‚Cis-/transgeschlechtlich‘ in Frage stellt. Im akademischen Kontext wurde ‚queer‘ in den 1990er-Jahren aufgegriffen (in der „Queer-Theory“ von Judith Butler, Anm. des IEF), um gesellschaftliche Normen zu Geschlecht und Begehren zu untersuchen.“
Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen
Der Aktionsplan umfasst 17 Seiten, in denen unter anderem folgende geplante Änderungen angekündigt werden:
- Aufnahme eines ausdrücklichen Verbots von Diskriminierung wegen der „sexuellen Identität“ ins Grundgesetz
- Automatische rechtliche Elternschaft in lesbischen Ehen (anstelle von Stiefkindadoption) (lesen Sie dazu auch einen IEF-Bericht zur analogen Entscheidung des VfGH in Österreich)
- „diskriminierungsfreie“ Kostenübernahme von künstlichen Befruchtungen auch bei lesbischen Paaren durch die Gesetzliche Krankenversicherung (Anm. des IEF: und zwar unabhängig von einer medizinischen Indikation)
- Einführung der „Verantwortungsgemeinschaft“, die jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen zu ermöglicht, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen
- Erweiterung des Strafrechts um „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive
- Prüfung und Einführung eines „Gesetzes gegen digitale Gewalt“ wegen „Hassrede“ gegen LSBTIQ* im Netz
- Evaluation des Verbots von Konversionstherapie und Erweiterung des gänzlichen Verbots auf Erwachsene. Nach Möglichkeit soll auch die bisherige Strafausnahme für Eltern gestrichen werden.
- Übernahme von geschlechtsangleichenden Operationen durch die gesetzlichen Krankenkassen ohne Voraussetzungen wie Personenstandsänderung analog zu medizinischen Standards (auch bei Minderjährigen)
- Gleichzeitig Verbot von Operationen bei Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung („Intersexualität“) trotz medizinischer Indikation (bspw. Mädchen mit Androgenitalem Syndrom).
Kritik an Regierung
Die Biologin und Publizistin Rieke Hümpel kritisierte den Aktionsplan kürzlich im Cicero. Sie wirft der Regierung Umsetzung von Ideologie, unklare Begriffsverwendung sowie verantwortungslosen Umgang mit Minderjährigen vor. In der Tagespost kommentierte die Redakteurin Franziska Harter den Aktionsplan. Eine Mehrheit, die einen gesellschaftlichen Umbau wie den geplanten fordere, existiere gar nicht. Daher gehe der Aktionsplan an der Realität vorbei. Tatsächlich lebe ein Großteil der Bevölkerung in klassischen Familienformen. Daher wäre es sinnvoll, in die Unterstützung von Familien zu investieren, da sie die Lebensrealität der deutlichen Mehrheit sei. (TSG)