Mehrkindfamilien
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DE / Familie: Mehrkindfamilien armutsgefährdet

IEF, 21.11.2022 – Eine neue Studie zeigt die Nachteile auf, die Mehrkindfamilien im Gegensatz zu Familien mit wenigen Kindern haben.

Es seien häufig zwei Vorurteile, mit denen sich Mehrkindfamilien in Deutschland konfrontiert sähen: entweder seien sie privilegiert und vermögend, da sie das Geld hätten, mehr Kinder großzuziehen, oder man sehe Mehrkindfamilien als von Sozialleistungen abhängige „Problemfälle“. Eine Studie der deutschen Bertelsmann Stiftung zeigte nun kürzlich auf, dass man diese Vorurteile nicht einfach so stehen lassen könne und Mehrkindfamilien vor allem eines seien: übergangene Leistungsträger der Gesellschaft.

Ein Drittel der Mehrkindfamilien von Armut betroffen

Aus der Studie geht hervor, dass rund ein Drittel (32 Prozent) der Mehrkindfamilien, also Familien mit drei oder mehr Kindern, als einkommensarm gelten. Daraus ergebe sich, dass Familien mit drei oder mehr Kindern einem fast dreimal so hohem Armutsrisiko ausgesetzt seien wie Familien mit einem oder zwei Kindern. In Deutschland gelte etwa jede sechste Familie als Mehrkindfamilie. Ca. 18 Prozent der Mehrkindfamilien würden Sozialhilfe beziehen. Aus der Studie ergab sich weiters, dass mit 46 Prozent fast die Hälfte aller armutsgefährdeten Kinder in Mehrkindfamilien lebe.

Erwerbstätigkeit nimmt mit steigender Kinderzahl ab

Bei Mehrkindfamilien ergibt sich noch zusätzlich die Schwierigkeit, Beruf und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren. Laut der Studie nimmt die Erwerbstätigkeit der Eltern mit steigender Kinderzahl ab, dazu ist in Mehrkindfamilien auch häufiger der Vater Hauptverdiener, während die Mutter mit Teilzeitbeschäftigung lediglich einen Beitrag zum Einkommen leistet. Gleichzeitig würden Mütter von Mehrkindfamilien aber auch doppelt so viel Zeit für Kinderbetreuung wie Väter aufwenden. Alleinerziehende Elternteile, die drei oder mehr Kinder haben, seien besonders stark armutsgefährdet. Der Studie zufolge seien über 86 Prozent dieser alleinerziehenden Elternteile auf Sozialhilfe angewiesen. Die Studie zeigt zudem, dass ca. 70 Prozent der Frauen, die drei oder mehr Kinder haben, gut bis sehr gut ausgebildet sind, was dem Klischee des überwiegend niedrigen Bildungsgrades bei Eltern mit vielen Kindern widerspreche.

Sorge um finanzielle Engpässe ständiger Begleiter

Anlässlich der Studie wurden auch 20 Mehrkindfamilien ausführlich zu deren Lebensrealität befragt. Dabei stellte sich heraus, dass die Sorge um finanzielle Engpässe und ausreichend bezahlbaren Wohnraum ständiger Begleiter von Familien mit drei oder mehr Kindern sei. Im öffentlichen Leben zeige sich eine gewisse Benachteiligung von Mehrkindfamilien daran, dass etwa Familientickets im öffentlichen Personalverkehr, im Schwimmbad oder Zoo häufig nur auf die klassische Zwei-Kind-Familie ausgerichtet seien.

„Situation von Mehrkindfamilien mehr ins Blickfeld rücken“

Ohne die Arbeit der Eltern, vor allem der Mütter, die dafür häufig auf die eigene Karriere und damit ausreichende Altersvorsorge verzichten, sei es nicht möglich, den „Generationenvertrag der Sozialversicherungssysteme“ aufrechtzuerhalten, unterstrich die an der Studie mitbeteiligte Kinderforscherin Sabine Andresen die wichtige gesellschaftliche Rolle von Mehrkindfamilien. Die reduzierte Erwerbstätigkeit stelle Mehrkindfamilien außerdem vor immer größer werdende Herausforderungen angesichts steigender Lebensmittelpreise und fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten“, so die Direktorin des Programms „Bildung und Next Generation“ der Bertelsmann Stiftung, Anette Stein. “Die soziale Situation von Mehrkindfamilien muss viel stärker ins Blickfeld rücken – vor allem auch deshalb, um die Kinderarmut in Deutschland entschlossen zu bekämpfen”, so Stein. Sebastian Heimann, Bundesgeschäftsführer des deutschen Familienverbandes findet, dass der Staat Paaren grundsätzlich mehr Mut zu mehr Kindern machen müsse, denn die krisenhafte demografische Entwicklung habe vor allem damit zu tun, dass es schlicht zu wenige kinderreiche Familien gebe. „Jede Reform, die zum Ziel hat, kinderreiche Familien zu entlasten, muss bei den Sozialabgaben anfangen“, ist sich Heimann sicher. Die Studie begrüße Heimann jedenfalls sehr, da sie helfe, die Lücke über die unzureichende Studienlage zu Mehrkindfamilien zu schließen. (TS)

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