DE / Familie: Mehr-Kind-Eltern müssen künftig weniger Versicherungsbeiträge zahlen
IEF, 31.05.2022 – Laut Urteil des BVerfG müssen die Beiträge von Mehr-Kind-Eltern gegenüber Ein-Kind-Eltern in der Gesetzlichen Pflegeversicherung angepasst werden.
Drei Elternpaare hatten geklagt, weil sie gleich hohe Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie zur Gesetzlichen Pflegeversicherung (GPV) wie Kinderlose bzw. unabhängig von der Kinderanzahl leisten müssten und damit ihr zusätzlicher generativer Beitrag in Form der Kindererziehung unberücksichtigt bleibe. Unterstützt wurden sie vom Familienbund der Katholiken und vom Deutschen Familienverband.
Gesetzgeber muss Beiträge zur Gesetzlichen Pflegeversicherung anpassen
Eine Berücksichtigung der Kinderanzahl erfolgte bisher lediglich bei der GPV, bei der Kinderlose einen geringfügig höheren finanziellen Beitrag leisten müssen als Eltern. Die Beitragssätze für die GPV müssten nach der Entscheidung des BVerfG in Karlsruhe (1 BvL 3/18 u.a., Beschluss vom 7. April), die am 25.05.2022 veröffentlicht wurde, geändert werden und zusätzlich an die Anzahl der Kinder angepasst werden. Es handle sich bei der aktuellen Regelung um eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß dem deutschen Grundgesetz (GG). Bei der Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen erfordert Art. 3 Abs. 1 GG die Beachtung des aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebots der Belastungsgleichheit, das sich auf alle staatlich geforderten Abgaben erstreckt. Wirken sich Beitragsregelungen innerhalb der Gruppe der Familien zu Lasten bestimmter Familienkonstellationen nachteilig aus, so muss der Staat den besonderen Schutz beachten, den er der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG schuldet. Das BVerfG beurteilte die bisherige Beitragsregelung zur GPV als verfassungswidrig, da der höhere Aufwand von Eltern mit mehr als einem Kind gegenüber Eltern mit einem Kind nicht berücksichtigt werde. Für die Mehr-Kind-Eltern ergebe sich aufgrund ihres höheren Einsatzes kein wesentlicher Vorteil, weil die Pflegeleistungen für die mitversicherten Kinder zu vernachlässigen sei. Daher sei der Gesetzgeber aufgefordert, die Beiträge innerhalb eines Jahres anzupassen.
Dass bei der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung nicht zwischen Eltern und Kinderlosen unterschieden wird, sei hingegen nicht verfassungswidrig, da den Familien durch die kostenlose Mitversicherung und die Kindererziehungsjahre für den Rentenanspruch ein ausreichender Ausgleich zuteilwerde. Diese Argumentation fand nicht nur Zustimmung, sondern auch begründeten Widerspruch.
Verband Familienarbeit kritisiert: „Keine sachgerechte Auseinandersetzung“
Der Verband Familienarbeit e.V. begrüßte die Entscheidung in Bezug auf die Anpassung der Beiträge zur GPV. Kritikwürdig sei jedoch der Schluss des Gerichts, dass bei der Gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung keine Anpassung der Beiträge erforderlich sei. Als Ausgleich für die höheren Belastungen kämen den Eltern je drei Kindererziehungsjahre pro Kind für den Rentenanspruch sowie die kostenlose Mitversicherung der Kinder zugute, so die Begründung der Richter. Um jedoch eine „Standardrente“ zu bekommen, müsste ein Elternteil 15 Kinder erziehen, machte der Verband Familienarbeit aufmerksam und warf den Richtern vor, sich nicht sachgerecht mit den finanziellen Belastungen von Mehr-Kind-Familien auseinandersetzen zu wollen. Betreffend die Beiträge zur Krankenversicherung stellte der Verband klar, dass etwa die Hälfte der gesamten Krankheitskosten erst im Rentenalter anfielen, aber vollkommen von den Kindern der Rentnergeneration zu bezahlen seien, während die Kinder selbst nur etwa 15 Prozent der gesamten Krankheitskosten verursachten. Außerdem machten die Krankheitskosten der Kinder nur einen kleinen Teil der gesamten Kinderkosten aus.
Familienbund der Katholiken: Einsatz für familiengerechte Sozialversicherung
Für den Familienbund der Katholiken sei das Urteil ein Aufruf, sich politisch weiterhin für eine familiengerechte Sozialversicherung einzusetzen.
„Wir freuen uns, dass das Bundesverfassungsgericht unserer Argumentation in der Pflegeversicherung größtenteils gefolgt ist. In der Renten- und Krankenversicherung bringt die Abweisung der Verfassungsbeschwerden Klarheit, dass familiengerechte Sozialversicherungsbeiträge nur auf dem politischen Wege zu erreichen sind“, sagte Klaus Zeh, Präsident des Deutschen Familienverbandes in Reaktion auf das Urteil. Für Ulrich Hoffmann, Präsident des Familienbundes der Katholiken, ist klar: „Familien sorgen durch die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder überhaupt erst für die Zukunftsfähigkeit unseres solidarischen Generationenvertrages. Die Einführung eines Kinderfreibetrages in allen Zweigen der Sozialversicherung ist weiterhin ein wichtiges Ziel der Familienverbände.“ Ebenso wie der Familienbund nimmt der Verband Familienarbeit das Urteil zum Anlass, weiterhin den Interessen der Familien in Deutschland eine Stimme zu geben. (TSG)