Abtreibungszahlen
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DE / Abtreibung: Warum steigen die Abtreibungszahlen?

IEF, 24.05.2023 – Frauen in Sachsen geben als Grund für eine Abtreibung immer häufiger Zukunftsängste und Vertrauensverlust an.

Steigende Abtreibungszahlen – kein Vertrauen in die Zukunft

Die aktuelle Weltlage, die Situation in der Gesellschaft, aber auch die Brüchigkeit von Familien und Partnerschaften erschweren die Entscheidung zum Kind. Schwangere in den Beratungsstellen gäben immer öfter Zukunftsängste und Vertrauensverlust als Grund für einen Schwangerschaftsabbruch an, wie die Diakonie Sachsen laut ZEIT ONLINE berichtete. Das Vertrauen, dem eigenen Kind eine sichere Zukunft zu ermöglichen, schwinde. „Das ist in dieser Deutlichkeit eine neue Entwicklung!“ und „ein alarmierendes Zeichen“, so die Diakonie. Diakonie-Chef Dietrich Bauer bezeichnete die Beratungsstellen als „Seismografen für gesellschaftliche Entwicklungen“ und kritisierte, dass Kinder in der Gesellschaft „viel zu wenig Gewicht“ hätten. Dies betreffe Bereiche wie finanzielle Absicherung, Betreuungsplätze aber auch fehlende Kapazitäten in der Kindermedizin. Seiner Meinung nach wirke auch der Umgang mit Kindern in der Pandemiezeit nach. Dabei seien Kinder die Zukunft, sie und ihre Familien müssten „eine hohe Wertschätzung genießen und sicheren Rückhalt haben“. In Sachsen seien die Abtreibungszahlen im Jahr 2022 im Vergleich zum Jahr 2021 um knapp zehn Prozent gestiegen. Die Abtreibungszahlen hätten sich im dritten Quartal deutlich erhöht, mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ wegen des Preisanstiegs bei Lebensmitteln und Energiekosten und des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, vermutet die Diakonie Sachsen.

Berlin: 10 Prozent mehr Abtreibungen 2022 als 2021

Auch in Berlin-Brandenburg seien die Abtreibungszahlen laut Tagesspiegel im Jahr 2022 deutlich gestiegen. Im Jahr 2021 wären die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr um 13,8 Prozent gesunken. 2022 sei wieder ein Anstieg um 10,2 Prozent erfasst worden. Rund 65 Prozent der Frauen seien zum Zeitpunkt der Abtreibung ledig gewesen. Etwa 45 Prozent der Frauen sei zwischen 25 und 35, rund 21 Prozent zwischen 35 und 40 Jahre alt gewesen. Etwa 2,5 Prozent seien jünger als 18 Jahre gewesen, rund 9 Prozent 40 Jahre und älter.

Laut Statistischem Bundesamt sei die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche deutschlandweit im Jahr 2022 mit rund 104 000 gemeldeten Fällen um 9,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, nachdem im Jahr 2021 mit 94 600 Fällen der niedrigste Stand seit Beginn der Statistik (1996) verzeichnet worden sei. Anhand der vorliegenden Daten ließe sich keine klare Ursache für die starke Zunahme im Jahr 2022 erkennen.

Warum sind die Zahlen gestiegen?

Über die Gründe des Anstiegs von Schwangerschaftsabbrüchen lässt sich nur mutmaßen. Erstens ist der Anstieg 2022 im Vergleich zu 2021 besonders hoch, da die Abtreibungszahlen 2021 so niedrig waren wie noch in keinem Jahr der statistischen Erhebung. Warum die Zahlen so niedrig waren, begründen manche mit den Schwierigkeiten während der Pandemie die verpflichtende Beratung wahrzunehmen und einen Arzttermin zu bekommen. Doch auch im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie bleibt eine Steigerung im Jahr 2022 erkennbar. In den letzten Jahren ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche kontinuierlich gesunken. Im Jahr 2000 trieben noch über 134.000 Frauen ab, wobei auf 1000 Geburten 175 Abtreibungen kamen. 2015 brachen 98.464 Frauen eine Schwangerschaft ab und auf 1000 Geburten kamen 137 Abtreibungen. Vor diesem Hintergrund bleibt überraschend, dass es auch im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie im Jahr 2022 etwas mehr Abtreibungen gab – obwohl die Zahlen seit Jahrzehnten immer weiter sinken (Statistik).

Im Juni 2022 kippte die Ampelregierung das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Wie das Institut für Ehe und Familie (IEF) berichtete, können Ärztinnen und Ärzte seither zum Beispiel auf ihrer Website informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen und welche Methoden sie anwenden. Die Streichung des Werbeverbots könnte einen Einfluss auf den Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche gehabt haben.

Dass die wirtschaftliche Lage einen sehr großen Einfluss auf die gestiegenen Abtreibungszahlen gehabt haben könnte, scheint einleuchtend und würde sich mit den Aussagen der Diakonie Sachsen decken. Die Inflation erreichte im Jahr 2022 ihren Höhepunkt und machte sich in den Geldbörsen der Mehrheit deutlich bemerkbar. Zudem löste die Ukrainekrise bei vielen Zukunftssorgen aus.

Ja zum Kind: Emotionale und finanzielle Unterstützung notwendig

Welche enorme Rolle emotionale und finanzielle Faktoren bei der Entscheidung für oder gegen das Kind spielen, zeigte eine kürzlich im medizinwissenschaftlichen Magazin Cureus veröffentlichte Studie. So gaben 60 Prozent der befragten Frauen an, dass sie ihre Schwangerschaft fortgesetzt hätten, wenn sie mehr emotionale oder finanzielle Unterstützung gehabt hätten. Von den 226 Frauen, die über eine Abtreibung in der Vergangenheit berichteten, bezeichneten 33 Prozent diese als „gewollt“, 43 Prozent als „akzeptiert“, aber nicht im Einklang mit ihren Werten und Wünschen stehend und 24 Prozent als „unerwünscht“ oder „erzwungen“. Nur „gewollte“ Abtreibungen wurden mit positiven Emotionen oder einer Verbesserung der psychischen Gesundheit in Verbindung gebracht. Alle anderen Gruppen führten mehr negative Emotionen und Folgen für die psychische Gesundheit auf ihre Abtreibungen zurück.

Auch eine IMAS-Umfrage im Auftrag von #fairändern in Österreich zeigte, dass die Unterstützung von Frauen im Schwangerschaftskonflikt als sehr wichtig erachtet wird, um das Ja zum Kind zu ermöglichen.

Sozialberater: „Verantwortung vor der Entstehung der Schwangerschaft übernehmen“

Während viel über das „ob“, „wie“ und „in welchem Zeitraum“ von Abtreibung diskutiert wird, wird nach Auffassung des Leiters der Beratungsstelle „FamilienKnäuel“, Dennis Riehle (Konstanz), allzu wenig über die mögliche Verhinderung von Abtreibungen gesprochen: „Der Abbruch der Schwangerschaft sollte immer der letzte Ausweg sein und nur in begründeten Ausnahmefällen durchgeführt werden (…). Denn wir thematisieren kaum die psychischen Folgen des Aborts (Anm. d. R.: Abtreibung), die auch nach Jahren noch offenbar werden und meist das gesamte Leben zumindest latent anhalten, denn es ist ein Verlust für jede Schwangere, wenn sie abtreibt – auch wenn das oftmals geleugnet wird. Und der Stachel des Vorwurfs bleibt stecken“. In einem Kommentar in der Hochrhein-Zeitung berichtet der Deutsche von seiner Beratungserfahrung. „Da sitzen mir Frauen gegenüber, die bereits drei oder vier Mal eine Schwangerschaft abgebrochen haben und nun über das fünfte Mal nachdenken. Wir heben stets das Selbstbestimmungsrecht der Frau hervor. Dann sollte auch klar sein, dass ein Körper eben gerade nicht zur beliebig häufigen Empfängnis missbraucht werden soll, allein aus dem Wissen, man könne ‚es‘ ja wieder rückgängig machen. Viele Vertreter der emanzipierten Frau verweisen auf die Tatsache, dass sie eben keine ‚Gebärmaschinen‘ seien. Das sehe ich genauso, deshalb ist es unverantwortlich, eine Abtreibung als einen Eingriff im Vorbeigehen und als Selbstverständlichkeit abzutun. Sie ist jedes Mal eine physische und seelische Tortur“, stellt Dennis Riehle klar. Der Berater verweist darauf, dass sich viele Abtreibungen verhindern ließen, würde bereits im Vorfeld des Geschlechtsverkehrs eine bewusste und sorgsame Familienplanung betrieben. Es sei nicht zu viel verlangt, sich im Zweifel entsprechend Zeit dafür zu nehmen, sich über die Konsequenzen des ungeschützten Aktes klar zu sein. „So viel ethische und moralische Verpflichtung kann jedem von uns zugemutet werden, auch wenn mir scheint, dass der Sexualverkehr mittlerweile nicht selten zu einer reinen Spaßveranstaltung verkommen ist, bei der das Gehirn ausgeschaltet wird“, so Riehle.

Mehr über Unterstützung, statt über Abtreibung debattieren

„Würden wir ein anderes Verständnis vom Dasein haben, das nicht nur auf dem eigenen Ego aufgebaut ist und auch die Verantwortung jedes Einzelnen für einen achtsamen Umgang mit dem Leben unterstreicht, kämen wir auch zur Einsicht, dass es eben nicht nur um die Interessen der Frau geht, sondern das Existenzrecht eines heranwachsenden Kindes entgegensteht“, kritisiert der Sozialarbeiter. Er haben den Eindruck, dass der Wert von Kindern wenig präsent sei. Eher würden Kinder als Last und Hemmnis für die Karriere gesehen und finanzielle Aspekte in den Vordergrund gestellt werden. Dabei gebe es in Deutschland laut Riehle viele Hilfen für Familien, die Unterstützung bräuchten – diese müssten bekannt gemacht werden: „Vielleicht wäre es ja sinnvoller, über mehr Unterstützung für Vater und Mutter, statt über Erleichterungen des Aborts zu debattieren!“, schließt Dennis Riehle seinen Artikel. (TSG)

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