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DE / Abtreibung: Familienministerin fordert generelle Straffreiheit von Abtreibungen

IEF, 10.01.2023 – Familienministerin Paus (Grüne) fordert, Paragraf 218 des Strafgesetzbuches zu streichen. Darüber hinaus möchte sie Lebensschützern verbieten, vor Kliniken zu stehen.

Generelle Straflosigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen?

Wie bereits im Koalitionsvertrag angekündigt (IEF-Bericht), möchte die deutsche Ampel-Regierung eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches (StGB) prüfen. Medienberichten zufolge kündigte Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) an, dass hierfür eine Kommission eingesetzt werde. Wann die Kommission, die laut Koalitionsvertrag „die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen“ soll, ihre Arbeit aufnehmen wird, ist bislang unklar. Das Bundesgesundheitsministerium erklärte auf Anfrage, die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung über die Kommission sei noch nicht abgeschlossen. Ein konkreter Zeitpunkt für die Errichtung der Kommission stehe noch nicht fest.

Paus: Erschwingliche Verhütungsmittel und Gewährleistung von Schwangerschaftsabbrüchen

Laut Familienministerin Paus gehe es beim Schwangerschaftsabbruch um das „Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung“ und um das Recht von Frauen, über ihren Körper zu entscheiden. Für sie sei das Strafgesetzbuch „nicht der richtige Ort, das zu regeln“. „Wer anders als die Schwangeren selbst sollten entscheiden, ob sie ein Kind austragen möchten oder können? Wer anders als die Frauen selbst sollte darüber entscheiden, wann und in welchen Abständen sie Kinder bekommen?“, fragte Paus. Grundpfeiler des „Menschenrechts auf reproduktive Selbstbestimmung“ seien neben dem Zugang zu „sicheren und erschwinglichen Verhütungsmitteln“ auch die „Gewährleistung von Schwangerschaftsabbrüchen“ sowie einer selbstbestimmten und sicheren Schwangerschaft und Geburt, behauptete die Politikerin. „Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, dürfen nicht länger stigmatisiert werden“, sagte die Ministerin. Laut Koalitionsvertrag gehörten Abtreibungen zu einer „verlässlichen Gesundheitsversorgung“. Sie sollten kostenfrei in Anspruch genommen werden können und Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Paus´ Forderungen stimmen damit mit denen der World Health Organisation (WHO) überein, die kürzlich die Aufhebung aller rechtlichen oder politischen Strukturen empfohlen hat, die den Zugang zu Abtreibung in jedem Stadium der Schwangerschaft und aus anderen Gründen behindern könnten.

Koalitionspartner uneins

Während auch beim Koalitionspartner SPD in den vergangenen Monaten Stimmen nach einer Streichung des Paragraf 218 laut geworden waren, zeigte sich die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Katrin Helling-Plahr, kritisch. Der aktuell geltende Strafrechtsparagraf stelle „als Ergebnis einer langen gesellschaftlichen Diskussion einen gelungenen Kompromiss“ dar, so die Politikerin. „Aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen stehe ich einem Aufkündigen des Kompromisses äußerst skeptisch gegenüber“, fügte sie hinzu.

Bayern zu Schwangerschaftsabbrüchen: Abschaffung des Paragrafen 218 wäre verfassungswidrig

In Reaktion auf den Vorstoß der Bundesfamilienministerin stellte die bayerische Familien- und Frauenministerin Ulrike Scharf (CSU) den Zeitungen der Mediengruppe Bayern gegenüber klar: „Ein Schwangerschaftsabbruch beendet Leben.“ Laut Scharf wäre eine Streichung des Paragrafen 218 „mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens unvereinbar und verfassungswidrig“. Sie fügte hinzu: „Wird der Paragraf 218 gestrichen, setze ich mich mit ganzer Kraft dafür ein, dass das Bundesverfassungsgericht das neue Gesetz überprüft.“

Verbot von „Gehsteigbelästigungen“

Neben der Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen, arbeite die Koalition „mit Hochdruck“ daran, sogenannte „Gehsteigbelästigungen“ von schwangeren Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen, zu beenden. „Ich würde das gern 2023 mit einer Erweiterung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes regeln, um einen ungehinderten Zugang zu den Beratungsstellen ausdrücklich gesetzlich vorzuschreiben“, so Ministerin Paus. Angedacht sei auch die Schaffung eines neuen Ordnungswidrigkeitentatbestandes. Das Familienministerium sei dazu in Gesprächen mit Innen- und Justizministerium.

„Gehsteigbelästigung“ oder Ausübung der Meinungsfreiheit?

In den vergangenen Jahren kam es vermehrt zu Klagen gegen Personen, die friedlich vor Abtreibungskliniken oder -ambulatorien auf das Lebensrecht des ungeborenen Kindes aufmerksam machen wollten. Wie das Institut für Ehe und Familie (IEF) berichtete, hatte das Verwaltungsgericht Mannheim vergangenes Jahr in einem Urteil festgestellt, dass zuvor verbotene Gebetswachen vor Pro-Familia-Einrichtungen rechtens seien. Das Gericht stellte klar, dass das Selbstbestimmungsrecht der im konkreten Fall betroffenen Lebensschützerin von zentraler Bedeutung sei. Die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts sei darüber hinaus nicht nur für die betroffene Person relevant, sondern für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung im Gesamten sowie für andersdenkende Minderheiten. Um kollektive Meinungsäußerung einschränken zu können, bräuchte es erhebliche Gründe. Bloßes Behaupten von Gefahr und Rechtsverletzung reichten dafür nicht aus. Das bedeute nicht, dass jede Meinungskundgabe rechtmäßig wäre, aber solange sie keine Gefahr darstelle, müsse sie in einer Demokratie willkommen sein, so das Gericht. Mit seinem Urteil stärkte das Gericht die Grundrechte auf Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit, die ein Verbot von „Gehsteigbelästigungen“ hingegen verletzen könnte.

IEF-Kommentar

Die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs betrifft im Kern die Frage, zu welchem Zeitpunkt das menschliche Leben beginnt und ab wann das Ungeborene Träger des Rechts auf Leben ist. Die Frage nach dem Beginn des Menschseins ist Gegenstand von Diskussionen in der Philosophie, der Rechtswissenschaft sowie den Religionslehren. Nach medizinischer Auffassung und gemäß der Lehre der katholischen Kirche beginnt das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Ab der Zeugung nimmt die Entwicklung des Menschen bis zum Tod seinen Lauf. Folglich besitzt der Mensch ab seinem frühesten Existenzstadium eine unverlierbare Würde, die dem Ungeborenen aus Sicht der Kirche das Recht auf Leben verbürgt.

Rechtlich wird der Beginn des Lebens, der Beginn und das Ende der Schwangerschaft und die Fähigkeit, Träger der Grundrechte zu sein, unterschiedlich beurteilt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob auch das Ungeborene im gleichen Sinne wie der geborene Mensch bereits Träger des Rechts auf Leben gemäß Art. 2 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) sei, offengelassen (vgl. BVerfGE 39, 1, 25.02.1975). Der österreichische Verfassungsgerichtshof stellte in einem Urteil zur Fristenlösung fest, dass das Recht auf Leben gemäß Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention nicht das „keimende Leben“ umfasse (vgl. VfGH 11.10.1974, G8/74). Jedenfalls geht aus der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetz hervor, dass es sich beim Ungeborenen, wenn auch in einer rechtlich abgestuften Form, um ein schützenswertes menschliches Leben handelt. Eine Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetz würde den Schutzgrad des menschlichen Lebens vor der Geburt erheblich mindern.

In einem Kommentar verwies die Juristin und Leiterin der Politikabteilung am IEF, Antonia Holewik, darauf, dass restriktive Abtreibungsgesetze das Potenzial hätten, Abtreibungsraten zu senken. Die Juristin verglich Länder mit restriktiven Abtreibungsgesetzen und liberalen Abtreibungsregelungen und kam zum Ergebnis, dass letztere bei Berücksichtigung aller Unterschiede und Störfaktoren regelmäßig höhere Abtreibungsraten verzeichneten. Dies widerspricht Aussagen von Politikern, liberale Abtreibungsregelungen würden Schwangerschaftsabbrüchen vorbeugen. Davon abgesehen sei laut Holewik erkennbar, „dass ein Angebot auch die Nachfrage schafft und dass gesetzlich erlaubtes Verhalten öfter gesetzt wird, als strafrechtlich sanktioniertes.“ Mit dem strafrechtlichen Verbot von Abtreibungen werde nämlich auch das moralische Urteil assoziiert: „Es ist nicht gut, Kinder abzutreiben“. Werde dieses Verbot aufgehoben, schwinde das Bewusstsein für das Unrecht – vor allem bei einer gesellschaftlich vorherrschenden Überhöhung der Selbstbestimmung und einer ideologisch betriebenen „Entmenschlichung“ von ungeborenen Kindern, so Holewik.

Darüber hinaus steht fest, dass es aus juristischer Perspektive weder im Europäischen noch im Internationalen Recht ein „Recht auf Abtreibung“ gibt, auch wenn ein solches politisch immer wieder unter Berufung auf „sexuelle und reproduktive Rechte“ propagiert wird. Wie Holewik in einem weiteren Kommentar aufzeigte, würde dabei sexuelle und reproduktive Gesundheit unter Ausklammerung des Kindes auf den Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen reduziert werden. Der Politik müsse es aber vielmehr darum gehen, „Bedingungen zu schaffen, bei denen sich keine Frau genötigt sieht, eine Abtreibung vorzunehmen“, forderte Holewik.

In Anbetracht der hohen Abtreibungszahlen und der damit verbundenen „ungewollten“ Schwangerschaften könnte es außerdem sinnvoll sein, auf die Phase vor Eintritt der Schwangerschaft zu blicken. So könnte eine Kultur der verantwortungsvoll gelebten Sexualität viele Konfliktschwangerschaften verhindern.

Exkurs: Historie der Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland

In Deutschland stellte seit 1871 der Paragraf 218 des Strafgesetzbuches Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe. Als Ausnahme von diesem Verbot ließ die Justiz seit 1927 Abtreibungen aus medizinischen Gründen zu. Anfang der 1970er Jahre versuchte die Frauenbewegung unter dem Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ die ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu erreichen und löste damit eine jahrelange politische Debatte um die rechtliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen aus. Nach zähem Ringen stimmte der Bundestag am 26. April 1974 mit knapper Mehrheit für das von der Koalition (SPD und FDP) favorisierte „Fristenmodell“, wonach ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei bleiben sollte. Die CDU/CSU-Fraktion hatte für eine „Indikationenlösung“ gekämpft, die Abtreibungen an medizinische und ethische Voraussetzungen knüpfen sollte. Die Parteien CDU und CSU hatten das „Fristenmodell“ scharf zurückgewiesen, da es sich bei einem Embryo um „individuelles menschliches Leben“ handle, das von Beginn seiner Existenz an und nicht erst ab dem dritten Monat zu schützen sei. Sie forderten daher ein „Bekenntnis zur grundsätzlichen Unverfügbarkeit menschlichen Lebens“. Eine einstweilige Verfügung Baden-Württembergs beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhinderte daraufhin das Inkrafttreten des Fristenlösungsgesetzes. Im Februar 1975 erklärten die Richter die Fristenregelung für verfassungswidrig, weil diese der Verpflichtung aus Artikel 2 des Grundgesetzes, das werdende Leben auch gegenüber der Mutter wirksam zu schützen, „nicht in dem gebotenen Umfang gerecht geworden ist“ (BVerGe 39,1, 25.02.1975). Daraufhin verabschiedete der Bundestag schließlich am 12. Februar 1976 eine Reform des Abtreibungsparagrafen, die erneut den Schwangerschaftsabbruch verbot und eine Strafandrohung gegen die Mutter – und auch den behandelnden Arzt – enthielt. Ausnahme stellten vier sogenannte Indikationen dar: die medizinische, eugenische, kriminologische und soziale Indikation. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands musste die in der DDR geltende Fristenregelung in die Gesetzgebung der Bundesrepublik integriert werden. Der Bundestag beschloss 1993 eine Reform der Abtreibungsregelungen. Der neu beschlossene Paragraf 218a dtStGB sah eine kombinierte Fristen- und Beratungslösung und erklärte den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch innerhalb der Zwölfwochenfrist und nach Pflichtberatung ausdrücklich für nicht rechtswidrig. Vorgesehen war außerdem die Kostenübernahme nicht rechtswidriger Schwangerschaftsabbrüche durch die Krankenkassen. Wiederum erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 88, 203, 28.05.1993) den neugefassten Paragraf 218a dtStGB wegen Unvereinbarkeit mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für nichtig, weil dieser den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch rechtfertige. Der verfassungsrechtlich gebotenen Schutzverpflichtung komme der Gesetzgeber jedoch nur nach, wenn er Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verbiete und Schwangeren die grundsätzliche Rechtspflicht auferlege, ein Kind auszutragen. Ein Schutzkonzept, welches auf präventive Beratung abstellt, müsse sicherstellen, dass die Schwangere sich dieser Rechtspflicht jederzeit bewusst sei. Ein Anspruch auf die Kostenübernahme eines rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs sei ausgeschlossen. Nach der heute gültigen Regelung, die 1995 in Kraft trat, ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig. Er bleibt aber straffrei, wenn er innerhalb der ersten drei Monate und nach einer Konfliktberatung durchgeführt wird. Nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung ausdrücklich, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt. Die „eugenische“ („embryopathische“) Indikation wurde gestrichen, da sie verfassungswidrig ist (Quelle: Deutscher Bundestag und Verfassunsgblog). (TSG)

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