Reaktionen auf Sterbehilfe-Urteil
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AT_DE / Lebensende: Dammbruch und Zäsur für Lebensschutz in Deutschland

IEF, 26.02.2020 – In zahlreichen Reaktionen auf das Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichts zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe wird die Entscheidung heftig kritisiert.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (dtBVerfG) verkündete am Aschermittwoch, den 26.2.2020, sein Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid. Das Gericht erklärte dabei das 2015 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz für verfassungswidrig und hob den § 217 des deutschen Strafgesetzbuchs (dtStGB), der die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung regelt, auf. Bei der Urteilsverkündung sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, dass das Verbot nicht mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das die Freiheit einschließe „sich das Leben zu nehmen und dabei auch Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen“, vereinbar sei. Lesen Sie zur Analyse des Urteils auch den Beitrag von Dr. Stephanie Merckens (IEF) hier.

„Schwerer Rückschritt“ – Susanne Kummer, Geschäftsführerin von IMABE

„Der Rechtsstaat gibt den Schutz des Schwächeren zugunsten des Stärkeren auf“, so kommentiert Susanne Kummer das am Mittwoch ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofs gegenüber kathpress.at. „Wenn wir als Gesellschaft menschenwürdig, solidarisch und mit Respekt vor einer richtig verstandenen Autonomie leben wollen, dann muss der Schutz vor einer Beihilfe zur Selbsttötung Fundament der Rechtsordnung bleiben“, so die Ethikerin und Geschäftsführerin des Instituts für medizinische Anthropologie (IMABE).

Kummer weist darauf hin, dass das Urteil die Suizidprävention untergraben würde. Statt einem Recht auf Tötung plädiert die Ethikerin für „Solidarität mit Menschen in schweren Lebenskrisen“. Denn die „Antwort auf existenzielle Leiden, Einsamkeit und Depression“ müsse „menschliche Begleitung, medizinische Hilfe und das klare gesellschaftliche Signal: ,Dein Leben ist immer lebenswert’“ sein. Dort wo Sterbebegleitung darin bestehen würde, „den Tod als professionelle Dienstleistung einzufordern“, würde eine Verschiebung von einer „Sterbekultur hin zu einer Kultur des Todes“ stattfinden.

In einem in der Wiener Zeitung kurz vor Urteilsverkündigung erschienenen Kommentar geht Kummer auch auf weitere problematische Aspekte der „Sterbehilfe“ ein. Die Ethikerin spricht darin vom „Geschäft mit dem Töten“ und nennt als Beispiel die sich auf mehrere Millionen belaufenden Jahresumsätze der Schweizer Sterbehilfeorganisationen. Vom Geld geleitet wären auch die gesundheitsökonomischen Interessen, die in die Sterbehilfe-Debatte hineinspielen. Außerdem zeichnet die Ethikerin die bedenklichen Entwicklungen in jenen Ländern nach, die bereits „Sterbehilfe“ legalisiert haben. Alarmierend seien die steigenden Zahlen bei “Sterbehilfe”-Fällen, die Ausweitung der “Sterbehilfe” auf immer weitere Personengruppen und den negativen Einfluss der “Sterbehilfe” auf die Palliativversorgung jener, die weiterleben wollen.

„Gefahr eines Dammbruchs“ – Alfred Trendl, Katholischer Familienverband Österreichs

Alfred Trendl, Präsident des Katholischen Familienverbands Österreichs (KFÖ) verweist in einer Presseaussendung anlässlich der Urteilsverkündung darauf , dass auch beim österreichischen Verfassungsgerichtshof momentan vier Fälle zum Thema „Sterbehilfe“ anhängig sind.

Vor diesem Hintergrund mahnt er, den „österreichischen Weg“ in Bezug auf „Sterbehilfe“ nicht zu verlassen. Dieser ließe sich laut Trendl folgendermaßen zusammenfassen: „An der Hand, nicht durch die Hand eines anderen dieses Leben verlassen“.

Aufgrund einer immer prekärer werdenden Pflegesituation würde „Sterbehilfe“ immer wieder als eine „bequeme Lösung“ präsentiert. Tatsächlich würde die Legalisierung des assistierten Suizids aber ältere und pflegebedürftige Menschen massiv unter Druck setzen, so der KFÖ-Präsident.

„Ein Schritt in die falsche Richtung“ – Gudrun Kugler, Nationalratsabgeordnete

Auch für die Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler geht die Legalisierung der „Sterbehilfe“ mit einem erhöhten „innerlichen oder äußerlichen Druck, von der Möglichkeit des assistierten Suizids in belastenden Lebenssituationen“ Gebrauch zu machen, einher.

In Bezug auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts deutet Kugler in ihrem Blogbeitrag darauf hin, dass dieses wahrscheinlich nur deshalb möglich war, da Deutschland ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ aus dem Grundgesetz ableite. Dies sei in Österreich aufgrund einer wesentlich unterschiedlichen Rechtslage nicht denkbar. Kugler weist dabei auch auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hin, aus der sich weder ein Recht auf Sterben noch ein Recht auf Selbstbestimmung in dem Sinn, dass jemand das Anrecht hätte, eher den Tod als das Leben zu wählen, ableiten ließe.

„Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur“ – Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sehen in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen Eingriff in eine auf das Leben ausgerichtete Kultur. An der Art und Weise wie man mit Krankheit und Tod umgehe, würden sich „grundlegende Fragen unseres Menschseins und des ethischen Fundaments unserer Gesellschaft“ entscheiden.

Die Würde und der Wert eines Menschen sollten sich nicht nach seiner „Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter“ bemessen, so die Vertreter der katholischen und evangelischen Kirchen in Deutschland. Sie rufen in Erinnerung, dass die Würde eines jeden Menschen auf seine Gottesebenbildlichkeit zurückzuführen sei.

Das Bemühen der Kirchen sei es daher, „Menschen in besonders vulnerablen Situationen Fürsorge und Begleitung anzubieten“. Dazu würde neben den bereits bestehenden Angeboten der palliativen und hospizlichen Fürsorge auch vermehrt die Sorge um einsame Menschen gehören.

„Eine Zäsur für den Lebensschutz“ – Prälat Karl Jüsten, Leiter des Katholischen Büros in Berlin

Für Prälat Jüsten war das Bundesverfassungsgericht bis dato ein „Garant für die Bejahung und Förderung der auf das Leben ausgerichteten Kultur in Deutschland“. Durch das jüngste Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung sei die Gewissheit, der Staat schütze das Leben in allen seinen Phasen, erschüttert. Der Gerichtsspruch bringe eine „Neubewertung der Grundwerteordnung in Bezug auf das Recht auf Leben und Selbstbestimmung“ mit sich.

In einem Interview mit katholisch.de weist Jüsten auf die Gefahr hin, dass die „Fixierung auf die Selbsttötung“ dazu führe, dass man „viel zu wenig über die vielen Möglichkeiten der Hilfe sprechen und viele Menschen gar nicht wissen würden, welche Möglichkeiten sie haben, selbstbestimmt ihren letzten Weg zu gestalten“.

Er leugne es nicht, dass schweres Leid zu den schwierigsten Grenzerfahrungen des Menschen gehöre. In Gesprächen mit Betroffenen versuche er jedoch darauf hinzuweisen, dass das Leid zum Menschen dazugehöre und das auch der in Jesus Christus Mensch gewordene Gott Leid auf sich genommen hat. Die Annahme und das Aushalten von Schmerzen könne daher auch einen Weg der Nachfolge Christ darstellen.

„Für uns als Kirche kann die Antwort auf die realen Sorgen und Nöte von schwerstkranken und sterbenden Menschen kein Todescocktail sein“, so der Leiter des Katholischen Büros in Berlin weiter. Er sieht es als Aufgabe der Kirche „Menschen, die am Leben zweifeln oder ihr Leben beenden möchten, Unterstützung zu geben, damit sie neuen Lebensmut schöpfen können“. „Wir müssen und wollen vielmehr alles dafür tun, auch auf der letzten Wegstrecke die Liebe zum Leben in den Mittelpunkt zu stellen, um ein Sterben in Würde zu ermöglichen“.

Reaktionen in Zeitschriften

In Kommentaren, die kurz auf die Veröffentlichung des Karlsruher Urteils folgten, meldeten sich unter anderen die Frankfurter Allgemeine und die Tagespost zu Wort.

In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen mit dem Titel „Ein Dammbruch droht“ macht sich die Verwunderung darüber bemerkbar, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe und damit eine allgemeine Strafnorm für nichtig erklärt hat. Aufgrund der Entscheidung des Gerichts, die dem selbstbestimmten Sterben existenzielle Bedeutung für die Persönlichkeit eines Menschen beimisst, bestehe nun die reelle Gefahr, dass geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung zur Normalität werde. Dies würde auch ein Blick ins Ausland bestätigen. Selbstbestimmung kippe dabei aufgrund des „Drucks, sich aus dem Leben zu verabschieden“ schnell in eine Fremdbestimmung. Die Frankfurter Allgemeine hängt dem Artikel auch einen großen Hinweis auf „Hilfe bei Suizidgedanken“ an.

Im Kommentar in der Tagespost heißt es, dass nach dem Karlsruher Urteil zu erwarten sei, dass  „Suizidhilfevereine ihre Arbeit wieder aufnehmen werden und sich – in schwierigen Situationen und bei schwerer Krankheit – nicht das Leben zu nehmen insgesamt begründungspflichtiger wird“. Schwerkranken beizustehen und einer Entsolidarisierung der Gesellschaft entgegen zu wirken, dürfte „zunehmend zu einer Aufgabe von Katholiken werden“, heißt es in dem Artikel weiter. (AH)

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