DE / Lebensende: Bundesverfassungsgericht berät über Sterbehilfe

IEF, 25.4.2019 – Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe verhandelte am 16. und 17.4.2019 über § 217 StGB, der seit 2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ verbietet. Eine Entscheidung des Gerichts wird erst in Monaten erwartet.

Geschäftsmäßige Suizidbeihilfe seit 2015 verboten

Der Deutsche Bundestag beschloss am 6.11.2015 die Annahme eines von den Abgeordneten Michael Brand (CDU/CSU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Die Linke), Dr. Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) und anderen fraktionsübergreifend initiierten Gesetzentwurfs, der seit 10.12.2015 geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe stellt. „Geschäftsmäßig“ bedeutet hierbei, dass es eine auf Wiederholung angelegte Handlung sein muss. Nach § 217 dtStGB (Deutsches Strafgesetzbuch) „bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger […] ist oder diesem nahesteht“. Brand argumentierte damals, dass sich in Deutschland immer mehr kommerzielle Sterbehilfevereine angesiedelt hätten, die für Suizidbegleitung geworben hätten. Die Erfahrung aus Ländern wie der Schweiz oder den Niederlanden, in denen assistierter Suizid legal ist, hätte gezeigt, dass auch im Bereich der Sterbehilfe das Angebot die Nachfrage schaffe, so der Politiker.

Verfassungsbeschwerden gegen § 217 StGB

Dementsprechend dauerte es auch nicht lange, dass gleich mehrere Vereine, Personen aber auch Ärzte versuchten, die neue Regelung anzufechten. Derzeit hat das Bundesverfassungsgericht über insgesamt sechs Verfassungsbeschwerden zu entscheiden.

Laut Bericht des Bundesverfassungsgerichts über die Verhandlung argumentieren die Beschwerdeführer, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollen, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) und wollen daraus ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ableiten. Dieses Recht umfasse ihrer Ansicht nach die Inanspruchnahme der Unterstützung Dritter bei der Umsetzung der Selbsttötung. §217 StGB greife in dieses Recht ein, da es die von ihnen gewählte Suizidassistenz unter Strafe stelle und diese dadurch nicht mehr zugänglich sei.

Die beschwerdeführenden Vereine wiederum führen eine Verletzung ihrer Grundrechte ins Feld und berufen sich dabei auf  Art. 9  Abs. 1 dtGG (Deutsches Grundgesetz), der die Freiheit, Vereine und Gesellschaften zu bilden schützt, sowie auf Art. 2 Abs. 1 dtGG, der das Recht auf „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ schützt. Da die von ihnen angebotene Suizidbeihilfe unter § 217 dtStGB falle, könnten sie für ihre Mitglieder nicht mehr tätig werden.

Die beschwerdeführenden Ärzte begründeten ihre Verfassungsbeschwerde mit einer Verletzung der Gewissens- und Berufsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Alt. 2 dtGG und Art. 12 Abs. 1 dtGG). § 217 dtStGB stelle nicht hinreichend sicher, dass die im Einzelfall geleistete ärztliche Suizidhilfe straffrei bleibe. Unsicherheit bestehe auch darin, ob § 217 dtStGB auch bislang straffreie Formen der Sterbehilfe und der Palliativmedizin erfasse.

Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht beriet deshalb intensiv über die Verfassungsmäßigkeit des § 217 dtStGB, hörte Stellungnahmen von Experten an und beleuchtete die unterschiedlichen Aspekte von Sterbehilfe.

Wie die FAZ berichtet, hatte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, der die Verhandlungen leitete, zu Beginn gemahnt, dass es in dem Verfahren nicht um die moralische oder politische Beurteilung des Suizids und seiner Folgen für die Gesellschaft gehe, sondern ausschließlich um die Verfassungsmäßigkeit einer konkreten Strafrechtsnorm.

Während Befürworter von Sterbehilfe argumentierten, dass das Verbot in unverhältnismäßiger Weise in die persönliche Selbstbestimmung eingreife, machen Kritiker darauf aufmerksam,  dass Sterbewilligen nur in seltensten Fällen eine autonome Entscheidung unterstellt werden könne. Der Prozessvertreter der Abgeordneten des Bundestages, Steffen Augsberg, betonte, dass Suizid-Entscheidungen stets von Ambivalenzen gezeichnet seien. Unterstützt wurde seine Einschätzung durch den als Sachverständiger geladenen Psychiater Clemens Cording. Er führte aus, dass in neunzig Prozent aller Suizide von erheblichen psychischen Störungen auszugehen sei, die kognitive Funktionen entscheidend verzerrten. Zwar gebe es einen Anteil freiverantwortlicher Suizide, der weit überwiegende Teil gehöre aber nicht dazu. Hierfür spreche auch, dass achtzig Prozent aller Menschen, die vergebens einen Suizidversuch unternommen hätten, von einem weiteren Versuch absähen. Weiters führten die Befürworter des Verbots von Sterbehilfe eine Studie des niederländischen Medizinethikers Theo A. Boer an, die eine Steigerung der Suizidrate in Ländern mit legaler Sterbehilfe belegen. Laut Bericht des Spiegels beeindruckten die Fakten die Verfassungsrichter wenig. Voßkuhle antwortete darauf, die Zahlen seien „eben ein Zeichen, dass mehr Menschen von ihrem Grundrecht Gebrauch machen“. Suizid sei „grundrechtlich geschütztes Verhalten“, und damit sei es „Aufgabe des Gesetzgebers, einen Rahmen zu schaffen, in dem das möglich ist“. Aktuell beschränke der Staat aber gezielt diejenigen, die ihr Grundrecht auf Suizid ausüben wollen, so der Gerichtspräsident. Dem widersprach der CDU-Parlamentarier Michael Brand und betonte, es gäbe im Einzelfall trotz Verbot legale Freiräume für Ärzte, Leiden nicht unnötig zu verlängern.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, erklärte laut kathpress/KNA, Sterbewünsche müssten prinzipiell von Ärzten ernst genommen werden. Solche Wünsche gebe es auch trotz guter medizinischer Versorgung. Allerdings gehe es dabei meist nur um „antizipiertes Leid“, also die vermutete Angst vor künftigen Schmerzen – und nicht wegen des aktuellen Zustandes. In einer Kurzreportage von Zeit online sagte Radbruch, der Bereich Sterbehilfe sei aktuell hinreichend geregelt. Bei einer Erweiterung bzw. Freigabe der Sterbehilfe befürchte er, dass nicht genau geschaut werden könnte, worauf der konkrete Sterbewunsch tatsächlich beruhe. Seiner Erfahrung nach, sei der geäußerte Sterbewunsch in den meisten Fällen keine Handlungsaufforderung, sondern vielmehr ein Hilferuf, um beispielsweise über die persönliche Situation zu sprechen. In der Palliativmedizin könne man den Menschen immer etwas anbieten, so Radbruch.

Lockerung des § dt217 realistisch

Spiegelautor Dietmar Hipp hält eine Lockerung des Sterbehilfeverbots für realistisch. Dass überwiegend Ärzte und Wissenschaftler zu Anhörung geladen worden waren, die eher als Gegner der Suizidbeihilfe gelten, sei ein schlechtes Zeichen. Er vermute, dass Andreas Voßkuhle sich schlicht nicht dem Verdacht aussetzen wollte, eine bedeutende Stimme aus dem Kreis der Verbotsunterstützer nicht gehört zu haben, so der Journalist. Auch die übrigen Richter scheinen sich der Meinung Voßkuhles anzuschließen. Richter Johannes Masing warf den Abgeordneten um Brand vor: „Sie wollen Autonomie schützen, indem Sie die Möglichkeit nehmen, sie auszuüben“. Richter Ullrich Maidowski sagte, dass es für jemanden, der „vorher abbiegen will“, „keinen Ausweg“ gebe. Normalerweise sei die Grundrechtsausübung die Regel, der Eingriff in das Grundrecht die Ausnahme. Hier sei es umgekehrt, so Maidowski. Verfassungsrichter Peter Huber regte an, statt des generellen Verbots eine „mildere Konstruktion“ zu wählen und mit dieser direkt „an den Gefahren anzusetzen, am Autonomieschutz“. Er stelle sich eine Lösung ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch vor, wo man ja „mit einer Beratungslösung auch keine schlechten Erfahrungen gemacht“ habe. Angesichts der hohen Zahl an Abtreibungen und der entsprechenden Mentalitätsänderung eine hinterfragungswürdige Aussage, meint dazu etwa Dr. Stephanie Merckens, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF). Sie vermisst in der Abwägung der Argumente zudem noch die Auswirkungen einer weiteren Liberalisierung auf jene Menschen, die durch einen Mentalitätswandel in ihrem Recht auf Leben gefährdet werden würden, insbesondere da sie mit weniger Verständnis für die Sinnhaftigkeit und Unterstützungswürdigkeit eines leidenden Lebens rechnen müssen. Berichte wie etwa jener von Gerbert van Loenen über das Sterben seines an Gehirntumor erkrankten Partners seien Zeugnis davon. Van Loenen möchte in seinem Buch „Das ist doch kein Leben mehr!“ deutlich machen, dass aktive Sterbehilfe zu Fremdbestimmung führe. Ein Aspekt, der in der rechtlichen Beurteilung der Frage höher bewertet werden sollte, so Merckens. (TSG)

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