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DE / Lebensende: BGH stellt klar „Kein Schmerzensgeld für Lebensverlängerung“

IEF, 25.4.2019: Anfang April entschied der Deutsche Bundesgerichtshof über die Haftung wegen Lebenserhaltung durch künstliche Ernährung und lehnte die Klage des Erben wegen Schmerzensgeld und Ersatz der Behandlungskosten für den verstorbenen Vater ab.

Wie aus der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 2.4.2019 zu entnehmen ist, ging es im Ausgangsverfahren um den Vater des Klägers, der seit Jahren an fortgeschrittener Demenz litt. In den letzten beiden Jahren vor Lebensende kamen noch eine Entzündung der Lunge und der Gallenblase hinzu. Seit 2006 wurde der Patient mittels PEG-Magensonde künstlich ernährt. Der Patient war bewegungs- und kommunikationsunfähig und hatte keine Patientenverfügung gemacht. Sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen konnte auch nicht auf andere Weise festgestellt werden.

Der Kläger im Verfahren war der im Ausland lebende Sohn, der als Erbe Anspruch auf Schmerzensgeld wegen sinnloser Lebensverlängerung erhob sowie Schadenersatz wegen der Schmälerung seines Erbes aufgrund der durch die Lebensverlängerung entstandenen Pflegekosten begehrte. Während das Oberlandesgericht München dem Kläger Schmerzensgeld zusprach, korrigierte der Deutsche Bundesgerichtshof und stellte klar:

Für die Entscheidung ist es nicht relevant, zu klären, ob der Arzt bei der Behandlung des Patienten einen Fehler gemacht hat, indem er an der künstlichen Ernährung festgehalten hat. Es ist daher nicht zu klären, ob der Zustand des Patienten eventuell eine Therapiezieländerung verlangt hätte und man die künstliche Ernährung hätte einstellen müssen. Da ein Wille des Patienten hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen nicht feststellbar war, war auch nicht zu klären, ob ein solcher Wille missachtet worden wäre.

Wesentlich war allein die Frage, ob das Leben per se insofern als Schaden angesehen werden könne, als dass seine pure Existenz Schmerzensgeld auslösen dürfte. Der Bundesgerichtshof verneinte dies. Wörtlich heißt es in der Presseerklärung „Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.“

Auch den Ersatz von Pflegekosten durch die etwaige Lebensverlängerung lehnte der Bundesgerichtshof ab. Der Kläger argumentierte, der Arzt habe seine Aufklärungs- und Behandlungspflichten auch gegenüber dem Sohn verletzt und dadurch sinnlose Pflegekosten verursacht. Das Höchstgericht aber stellte klar, dass der Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen nicht die Verhinderung wirtschaftlicher Belastungen sei, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind. Vor allem seien diese ärztlichen Pflichten nicht dazu da, das Vermögen des Patienten für die Erben möglichst ungeschmälert zu lassen.

IMABE-Direktor Johannes Bonelli begrüßt die Entscheidung des Deutschen Höchstgerichts

In einer Aussendung begrüßt der Leiter des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), Univ. Prof. Dr. Johannes Bonelli, die Entscheidung der Karlsruher Richter. Es wäre ein „fatales Signal“, wenn Ärzte nach den „Kind als Schaden“-Urteilen nun auch mit „Greise als Schaden“-Urteilen zu rechnen hätten. Vielmehr sollten Ärzte während ihrer Ausbildung in ihrer Kompetenz gestärkt werden, um sowohl Über- als auch Unterversorgung zu vermeiden, fordert der Internist. Maßnahmen müssten laufend evaluiert werden und könnten gegebenenfalls auch abgesetzt werden, wenn ein Patient tatsächlich im Sterben liege, führt Bonelli aus. „Was aber nicht sein darf, ist, dass ein psychischer Druck auf Ärzte entsteht, einen älteren Patienten mit Demenz von vornherein nicht mehr zu ernähren, nur weil hier Haftungsklagen im Raum stehen“, so der IMABE-Direktor wörtlich.

Urteil könnte weitreichende Folgen haben

Die in der Presseerklärung wiedergegeben Aussagen des Bundesgerichtshofs haben sowohl in der Beurteilung des Schadenscharakters von menschlichem Leben als auch im Hinblick auf den Umfang von Aufklärungs- und Behandlungspflichten einen recht allgemeinen Tenor, befindet Dr. Stephanie Merckens, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF). Insbesondere könnten sich daraus auch Aussagen auf die bereits erwähnten „Kind als Schaden“-Fälle bei übersehener Behinderung von Ungeborenen ableiten lassen. Die schriftliche Ausfertigung des Urteils bleibt daher mit Spannung zu erwarten, so Merckens.

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