
DE / Gender: Bundesverfassungsgericht fordert weiteren „positiven“ Geschlechtseintrag neben Mann und Frau
IEF, 9.11.2017 – Das deutsche Bundesverfassungsgericht fordert neben den Geschlechtsangaben Mann und Frau eine weitere „positive“ Geschlechtswahlmöglichkeit für Menschen, die sich weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
Mit Beschluss vom 10.10.2017 (verlautbart am 8.11.2017) erkennt das deutsche Bundesverfassungsgericht, dass das deutsche Personenstandsrecht gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot verstoße, weil es die Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ nicht vorsieht. Laut Bundesverfassungsgericht schütze das allgemeine Persönlichkeitsrecht aber auch die geschlechtliche Identität einer Person und zwar auch dann, wenn sie sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lasse.
Die Diskussion um die Frage einer dritten Geschlechtskategorie wird zurzeit international intensiv geführt und hat in einigen Staaten bereits zur Einführung einer dritten Geschlechtskategorie geführt, wie das IEF berichtet. Nach einer ausführlichen Stellungnahme des Deutschen Ethikrates im Jahr 2012, in dem dieser bereits die Einführung einer dritten Geschlechtskategorie empfohlen hatte, änderte der deutsche Gesetzgeber das Personenstandsrecht dahingehend, dass die Angabe einer der beiden binären Geschlechtskategorien (Mann/Frau) offen gelassen werden konnte, so sie nicht eindeutig zuordenbar war, erläutert Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF). Während der Deutsche Bundesgerichtshof diese Regelung noch als ausreichend beurteilt hat, war das reine Offenlassen der Geschlechtsangabe dem Bundesverfassungsgericht nun zu wenig. Nach den Erwägungen des Senates sei der Personenstand keine Marginalie, sondern nach dem Gesetz die „Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung“. Die Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität gefährde darum bereits für sich genommen die selbstbestimmte Entwicklung, so der Senat. Durch die Ermöglichung des positiven Eintrags eines weiteren Geschlechts unter einer einheitlichen dritten Bezeichnung entstünden auch keine Zuordnungsprobleme, die sich nach geltendem Recht nicht ohnehin schon stellten. Es seien nämlich die gleichen Fragen zu klären, die sich bei der nach derzeitiger Rechtslage möglichen Nichteintragung des Geschlechts stellten. Das Bundesverfassungsgericht räumte allerdings auch ein, dass den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch genüge getan werden könne, wenn der Gesetzgeber beschließe, generell auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag zu verzichten.
Auch die österreichische Bioethikkommission hat sich in den letzten Monaten intensiv mit der Thematik Intersexualität und Transidentität auseinander gesetzt. Unter Intersexualität verstehe man kurz gefasst eine physisch nicht eindeutige Zuordnung zu einem der binären Geschlechter. Ein Baby werde also so geboren, dass entweder die äußeren Geschlechtsmerkmale, oder auch die genetische oder chromosomale Zuordnung nicht eindeutig sind. Bei Transidentität entspreche hingegen das psychische Selbstverständnis einer Person nicht den physisch eindeutigen Geschlechtsmerkmalen, erläutert Merckens, die auch Mitglied der österreichischen Bioethikkommission ist. Die Stellungnahme stehe kurz vor der Veröffentlichung. Die Auseinandersetzung der Experten habe aber gezeigt, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei weitem nicht das Ende der Diskussion in dieser Frage sein wird. Vielmehr blieben noch viele Punkte offen, so die Biopolitikerin.
So stelle sich etwa die Frage, ob eine dritte Geschlechtskategorie all die verschiedentlich empfundenen Geschlechtsidentitäten erfassen könne, die das Bundesverfassungsgericht mit seiner umstrittenen Rechtseinschätzung zu berücksichtigen sucht. Daraus ergebe sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit, das binäre System von Mann und Frau rechtlich zu verlassen. Empfohlen werde daher von einigen Seiten, keine neue Geschlechtskategorie einzuführen, sondern eher eine Sammelangabe zu ermöglichen.
Eine ganz andere Frage wiederum sei, ob man überhaupt unkritisch von dem Vorhandensein weiterer Geschlechtsidentitäten ausgehen könne, wie es der Bundesverfassungsgerichtshof seinen Erwägungen scheinbar vorausschickt bzw. nach welchen Kriterien eine Person sich weder der männlichen noch der weiblichen Geschlechtskategorie zuordnen lassen dürfe. Während einige Stimmen in letzterem Punkt für die völlig freie Wahlmöglichkeit plädieren, sprechen sich gerade Mediziner und Juristen für feststellbare und vor allem dauerhafte Merkmale aus. Auch und gerade zum Schutz der betroffenen Personen. Wichtig sei jedenfalls, in dieser Debatte zwischen physischer Betroffenheit und ideologisch motivierter Systemdiskussion zu unterscheiden, so Merckens. Während erstere oft rein praktikable Vorschläge bräuchten, um in einer oftmals sehr schwierigen Situation nicht noch stärker belastet zu werden, ist man bei zweiterer in der Versuchung jenseits der Praktikabilität tief verwurzelte Ordnungssysteme in Frage zu stellen. Durchaus auch auf Kosten der Betroffenen, so die Biopolitikerin kritisch.