DE / Lebensende: Bundesgerichtshof bestätigt Freisprüche in zwei Fällen ärztlich assistierter Selbsttötung
IEF, 11.7.2019 – Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte am 3.7.2019 den Freispruch zweier Ärzte vom Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung für bewusstlose Suizidenten sowie der Tötung auf Verlangen.
Die beiden Ärzte hatten in Hamburg und in Berlin 2012 bzw. 2013 insgesamt drei Frauen bei Suiziden begleitet und nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Hilfeleistungen zur Lebensrettung unterlassen. Keine der Frauen litt an einer tödlichen Erkrankung. Beide Ärzte waren von den Landgerichten Hamburg und Berlin freigesprochen worden. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Revision beantragt und die Fälle damit vor den BGH gebracht.
Regelung von assistiertem Suizid in Deutschland
In Deutschland ist die Beihilfe zur Selbsttötung nicht grundsätzlich strafbar. Verboten ist jedoch die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ (§ 217 Dt. StGB). Die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ wurde 2015 unter Strafe stellt. „Geschäftsmäßig“ bedeutet hierbei, dass es eine auf Wiederholung angelegte Handlung sein muss, weshalb sowohl Sterbehilfevereine als auch Ärzte unter den Paragraphen fallen. Strafrechtlich verfolgt werden kann allerdings auch derjenige, der der Selbsttötung beiwohnt, da er unter Umständen dazu verpflichtet ist, dem bewusstlosen Suizidenten Hilfe zu leisten (sog. Garantenpflicht). Leistet er keine Hilfe kann das als unterlassene Hilfeleistung oder Totschlag durch Unterlassen eingestuft werden (vgl. § 323c Dt. StGB). Liegt eine eindeutige Willensbekundung des Suizidenten vor, wird von der Garantenpflicht abgesehen. Wie das Institut für Ehe und Familie (IEF) berichtete, werden derzeit vor dem BGH Verfassungsbeschwerden gegen den § 217 verhandelt.
BGH: „Weder strafrechtliche Verantwortlichkeit noch Verpflichtung zur Hilfeleistung“
Wie aus der Pressemitteilung des BGH (Urteile vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18) hervorgeht, verwarf dieser die Revisionen der Staatsanwaltschaft.
Da die Frauen dazu in der Lage gewesen seien, einen „freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden“, hätte keine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden bestanden, begründete der BGH. Der Selbsttötungswille der Frauen beruhte „auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden “Lebensmüdigkeit” und waren nicht Ergebnis psychischer Störungen“, so der BGH.
Auch seien die Ärzte nach Eintritt der Bewusstlosigkeit nicht zur Hilfeleistung verpflichtet gewesen. Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, seien Rettungsmaßnahmen gegen deren Willen nicht geboten gewesen.
Allerdings hebt der BGH hervor, dass dieses Urteil aufgrund der Tatzeit auf der Rechtslage vor dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 dt. StGB) beruht. Es kann daher nicht für Fälle herangezogen werden, die nach 2015 stattgefunden haben.
Kritik an Urteil von Ärztekammer, Stiftung Patientenschutz und Marburger Bund
Vertreter der Ärzteschaft reagierten laut Ärzte Zeitung mit Kritik und Skepsis auf das jüngste Urteil. Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt nannte es „fatal“, wenn das Urteil in der Bevölkerung Erwartungen wecke, die auf einen „regelhaften Anspruch auf ärztliche Assistenz beim Suizid gerichtet sind“. Reinhardt betonte, dass die Beteiligung an Selbsttötungen nicht zu den ärztlichen Aufgaben zähle. Es sei vielmehr Aufgabe von Ärzten, Leben zu erhalten, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. Eugen Brysch, Vorstand der „Stiftung Patientenschutz“, warf dem BGH vor, mit seinem Urteil „das Tor zur organisierten Sterbehilfe geöffnet“ zu haben.
Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, erklärte, das Urteil „löst keine Probleme, sondern schafft neue“. Der Widerspruch zu den berufsrechtlichen Pflichten von Ärzten sei evident. „Wenn wir Ärztinnen und Ärzte in unseren Grundsätzen von Sterbebegleitung sprechen, meinen wir Beistand und Fürsorge für Menschen, die den Tod vor Augen haben. Sterbebegleitung kann und darf aber keine Hilfe zur Selbsttötung sein.“ Auch Ärzten sei es „nahezu unmöglich“ einzuschätzen, ob der Sterbewunsch eines Patienten „endgültig“ sei, so Henke.
Umfrage: Mehrheit der Deutschen für Straffreiheit – Tendenz aber rückläufig
Laut einer von der internationalen Data and Analytics Group YouGov am 4.7.2019 durchgeführten Umfrage, spreche sich die Mehrheit der Deutschen für eine Straffreiheit von assistiertem Suizid und Tötung auf Verlangen aus. 69 Prozent der Deutschen seien für die Straffreiheit des assistierten Suizides, während 13 Prozent diese ablehnten. Tötung auf Verlangen würden zwei Drittel der Deutschen (67 Prozent) befürworten, während 17 Prozent sich dagegen aussprachen. Im Vergleich zu einer Umfrage von 2015 sei die Zahl der Befürworter jedoch etwas zurückgegangen. Hier stimmten 74 Prozent der Befragten für eine Legalisierung von Tötung auf Verlangen und 76 Prozent für die Legalisierung von assistiertem Suizid. YouGov befragte 1.614 Personen. Nach entsprechender Gewichtung seien die Ergebnisse laut YouGov für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren repräsentativ.
Währenddessen hält Bundesminister Jens Spahn am Verbot der organisierten Sterbehilfe fest. Entgegen eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts wies er das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an, keine tödlichen Betäubungsmittel an Schwerkranke und Sterbewillige auszugeben. Dafür soll die Behörde ihn nun kritisiert haben. Lesen Sie >> hier den Bericht dazu.
Österreich: Suizidbeihilfe explizit verboten
Anders als in Deutschland ist in Österreich die Mitwirkung am Selbstmord (vgl. § 78 StGB) explizit und umfassend verboten. Ärzte trifft zudem auch hier zu Lande die Garantenstellung nach § 2 StGB. Diese besagt, dass sich bei Erfolgsdelikten (wie Verbot der Körperverletzung oder Mord) ein Arzt auch dann strafbar macht, wenn der „Erfolg“ (also die Körperverletzung oder der Tod) auch durch die Unterlassung einer Handlung des Arztes (etwa die medizinische Behandlung) eintritt, erläutert Dr. Stephanie Merckens, Juristin am IEF. Dies bedeute etwa, dass ein Arzt auch dann eine Körperverletzung oder einen Mord begeht, wenn er trotz medizinischer Möglichkeit und Indikation eine Behandlung unterlässt, die die Körperverletzung oder den Tod verhindert hätte. Allerdings darf jeder Mensch eine Behandlung, selbst wenn diese zu seinem Tod führt, wirksam verweigern – im Falle der Ansprech- und Zurechenbarkeit direkt vor Ort, im Falle der Bewusstlosigkeit mittels einer verpflichtenden Patientenverfügung im Vorhinein. Die Garantenstellung des Arztes endet durch das gewichtigere Recht der Behandlungsautonomie des Patienten. Dies gelte auch für Fälle, in denen sich die Patienten die lebensgefährlichen Verletzungen mit Tötungsabsicht selbst zugefügt haben, so Merckens weiter. Was jedoch in Österreich verboten ist, ist die Beihilfe oder Mitwirkung an der Selbsttötung. Diese kann bestehen in der Beschaffung von Medikamenten oder auch der psychischen Ermutigung zur Durchführung. Nach Merckens hätten sich die deutschen Ärzte daher in Österreich jedenfalls strafbar gemacht. (TSG)