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US / Pro-Life: Coney Barrett – „Ich will keine Politik machen“ 

IEF, 03.11.2020 – Acht Tage vor der heute stattfindenden Präsidentschaftswahl wurde Amy Coney Barrett als Richterin am Supreme Court angelobt: doch wofür steht die Juristin, deren Vereidigung für Proteste sorgte?

Juristischer Mentor: Antonin Scalia

Die 49-jährige Coney Barrett wurde 1972 als ältestes von sieben Kindern in einem Vorort von New Orleans geboren, ihr Vater arbeitete als Rechtsanwalt für die Shell Oil Company, ihre Mutter war Hausfrau. Nach ihrem Schulabschluss studierte sie Englischsprachige Literatur am privaten Rhodes College in Memphis, Tennessee und erhielt dort 1994 einen Bachelor of Arts magna cum laude. Die Law School der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana schloss sie mit der Auszeichnung summa cum laude ab. Coney Barrett ist mit einem Rechtsanwalt verheiratet und hat sieben Kinder, darunter zwei Adoptivkinder aus Haiti und einen leiblichen Sohn mit Trisomie 21. Coney Barrett ist Katholikin und gehört der charismatischen Bewegung „People of Praise“ an. Die Gruppe besteht mehrheitlich aus Katholiken, wobei auch Lutheraner, Anglikaner, Methodisten, Pfingstler und nicht konfessionelle Christen vertreten sind. Die 1800 erwachsenen Mitglieder leben in den USA und in der Karibik.

Ernennung zum „Associate Justice“

Am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn war Coney Barrett beigeordnete Juristin („law clerk“) am Bundesberufungsgericht des District Columbia sowie des Richters Antonin Scalia am Supreme Court. Nach zwei Jahren in einer Rechtsanwaltskanzlei kehrte sie als Professorin für Zivilprozessrecht und Verfassungsrecht an die Law School der University of Notre Dame zurück. 2017 erfolgte ihre Ernennung zur Richterin am Bundesberufungsgericht für den siebten Gerichtskreis (Illinois, Indiana, Wisconsin). Am 26. September 2020 wurde sie von Donald Trump als Nachfolgerin der am 18. September 2020 verstorbenen langjährigen Richterin am Supreme Court, Ruth Bader Ginsburg, nominiert und am 26. Oktober 2020 mit der Mehrheit von 52 gegen 48 Stimmen vom Senat der Vereinigten Staaten bestätigt.

Supreme Court: Gerichtshof schafft Recht

Der Supreme Court der Vereinigten Staaten überprüft u.a. auf Antrag die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen. Wichtigstes Unterscheidungskriterium zu der Judikatur des österreichischen Verfassungsgerichtshofes ist, dass der Supreme Court als oberstes Berufungsgericht in der Sache selbst entscheidet und damit Präzedenzfälle schafft, die im Sinne des anglo-amerikanischen case-law-Systems Bindung entfalten, während in Österreich der VfGH ein Kassationsgericht ist, also Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit hebt, aber nicht direkt gestaltet. Die vom jeweiligen US-Präsidenten nominierten und in weiterer Folge durch den Senat bestätigten neun Richter werden auf Lebenszeit ernannt. Unter der Präsidentschaft von Donald Trump wurden drei Richterstellen nachbesetzt, zuletzt jene der verstorbenen, dem liberalen Flügel zugeordneten Richterin Bader Ginsburg. In der derzeitigen Besetzung werden sechs der neun Richter dem konservativen Lager zugeordnet. Die Anzahl der Richter selbst ist historisch gewachsen und nicht verfassungsmäßig vorgesehen. Zuletzt schloss der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden eine Erhöhung der Anzahl der Richter zum Ausgleich der beiden politischen Flügel nicht aus.

Recht in seinem historischem Kontext auslegen

Wie auch ihr Mentor, der 2016 verstorbene, konservative Richter des Supreme Court Antonin Scalia, wird Coney Barrett der Schule des Originalismus im Wege der grammatisch-historischen Methode („original meaning“), auch als Textualismus bezeichnet, zugeordnet. Die maßgebende Bedeutung einer Norm der Verfassung aus 1787 bestimmt sich hier nach ihrem Wortlaut, und zwar nach derjenigen Bedeutung der Worte, die ihnen eine vernünftige Person während der Entstehungszeit der Norm zuschreiben würde. Es gilt zu vermeiden, dass die rechtsanwendenden Richter sich die Befugnisse des Gesetz- bzw. Verfassungsgebers anmaßen, indem sie einer Norm eine andere oder weitere Bedeutung geben als ursprünglich beabsichtigt oder verstanden und damit eigentlich die Substanz der Norm selbst ändern.

Coney Barrett folgt der „Ginsburg-Regel“

Bei ihrer Anhörung vor der Bestätigung durch den Senat hatte sich Coney Barrett geweigert, ihre Position zu früheren Supreme Court Entscheidungen offenzulegen, wie etwa der Tagesspiegel berichtete. Konkret befragt wurde sie zu den Urteilen in der Rechtssache Roe v. Wade aus 1973, die das Recht einer Frau auf Abtreibung für verfassungsgemäß erklärte, sowie die Rechtsache Obergefell v. Hodges, mit der 2015 auch gleichgeschlechtliche Ehen als verfassungsgemäß festgestellt wurden. Bemerkenswerter Weise bezog sich Coney Barett in ihrer 11-stündigen Befragung durch den Justizausschuss des Senats auf die so genannte „Ginsburg-Regel“ ihrer Vorgängerin Bader Ginsburg wonach sie „keine Andeutungen, keine Prognosen, keine Ausblicke“ dazu machen würde, wie sie in künftigen Fällen urteilen werde.  Der Ausschuss solle „mehr Vertrauen in meine Integrität haben als zu denken, dass ich mich als Schachfigur missbrauchen lasse, um den Wahlausgang für das amerikanische Volk zu entscheiden“.

Dem Gesetz verpflichtet

Bereits in der Befragung vor ihrer Bestellung zur Richterin am Bundesgericht hatten zwei Senatoren der Demokratischen Partei Anstoß an ihrem öffentlichen Bekenntnis zum katholischen Glauben genommen. „Wenn Sie fragen, ob ich meinen Glauben ernst nehme und eine gläubige Katholikin bin, das bin ich“, wurde Coney Barrett zitiert. Gleichzeitig hatte sie darauf hingewiesen, dass ihre Zugehörigkeit zur Kirche und ihre religiösen Überzeugungen sie bei der Ausübung ihrer Pflichten als Richterin nicht beeinflussen würden. Sie sei „dem Gesetz verpflichtet“. Auch in ihrer Befragung vor dem Justizausschuss Mitte Oktober wiederholte Coney Barrett diese Ansicht: „Ich möchte betonen, dass meine persönliche Kirchenzugehörigkeit oder mein religiöser Glaube bei der Ausübung meiner Pflichten als Richterin nicht zum Tragen käme“. Kamala Harris, Kandidatin für die Vizepräsidentschaft der Demokratischen Partei und Senatorin hatte Coney Barretts Katholizismus zuvor thematisiert. Ihr Glaube disqualifiziere sie zwar nicht für die Aufgabe einer Richterin am Obersten Gerichtshof der USA, doch könnte sie von Vorurteilen geprägt sein, die nicht mit dieser Tätigkeit vereinbar wären, so Harris.

Hoffnung für pro life Bewegung

Coney Barrett gilt als dezidiert pro life eingestellt. Mit ihrer Ernennung steigen die Hoffnungen von US-Lebensschützern, dass das ungeborene Leben in den USA künftig möglicherweise wieder besser geschützt wird. Wie die Frankfurter Rundschau schreibt, hatte Coney Barrett im Jahr 2006 eine Anzeige unterschrieben, in der das Recht auf Abtreibung als „barbarisch“ bezeichnet wurde. In einem 1998 mit einem Kollegen verfassten Aufsatz erklärte sie zudem, lehramtstreue katholische Richter müssten sich für befangen erklären, wenn es um die Durchsetzung der Todesstrafe gehe.

Kardinal lobt Ernennung

Nach Ansicht von Kardinal Timothy Dolan, Erzbischof von New York, sei Amy Coney Barrett „die beste Kandidatin“ für den vakanten Sitz des Supreme Court gewesen. Wie Kath.net berichtet, lobte Dolan Coney Barrett als eine Person, die ihren katholischen Glauben ernst nehme. Das sei aber nicht der Grund für ihre Nominierung gewesen: „Ich denke, sie ist nominiert worden, weil sie in jeder Hinsicht die beste Kandidatin ist. Ich hoffe es. Und wie ich höre, ist sie es. Hoffen wir das Beste.“ (KL)

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