CA / Menschenrechte: Kanadisches Parlament lehnt Gesetz zum Schutz der Gewissensfreiheit ab
IEF, 20.10.2022 – Kanada behält die ärztliche Weiterleitungspflicht bei und verletzt damit das anerkannte Menschenrecht auf Gewissensfreiheit.
Privater Gesetzesantrag zum Schutz der Gewissensfreiheit abgelehnt
Ein Gesetzesentwurf, welcher die Gewissensfreiheit von medizinischem Personal garantiert hätte, ist Anfang Oktober im kanadischen Unterhaus gescheitert. Das Gesetz war im Februar von der Parlamentarierin, Kelly Block, als privater Gesetzesantrag („private member’s bill”) unter dem Namen „Gesetz zum Schutz der ärztlichen Gewissensfreiheit“ eingebracht worden. Wie Kelly Block selbst erklärt, habe sie mit dem Antrag auf die „Forderungen zahlreicher Behindertenverbände, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und anderer Fachleute“ reagieren wollen, die „unter zunehmendem Druck stehen, an der medizinisch assistierten Sterbehilfe (Medically Assisted Aid in Dying, MAiD) mitzuwirken“.
Aushöhlung der Gewissensklausel schon seit 2018
„Als die medizinisch assistierte Sterbehilfe 2015 in Canada legalisiert wurde, wurde uns gesagt, dass Sterbehilfe niemals zu einer Sache des Zwanges werden wird“, sagt die Parlamentarierin. Doch bereits wenige Jahre später wurde das medizinische Personal mit einer Aushöhlung der Gewissensklausel konfrontiert (das Institut für Ehe und Familie (IEF) hat berichtet). Ärzte sollten beispielsweise auf Weisung des College of Physicians and Surgeons of Ontario (CPSO) dazu verpflichtet werden, Suizidwillige an Kollegen weiterzuleiten, wenn sie selbst aus Gewissensgründen nicht an der Beihilfe zum Suizid mitwirken wollten. Tausende Ärzte, medizinische Einrichtungen und Verbände hatten gegen diese Weisung geklagt. Sie vertraten die Meinung, eine solche Pflicht verstoße gegen die grundlegenden demokratischen Werte und das Menschenrecht auf Religions- und Gewissensfreiheit.
Ende 2018 entschied ein Gericht der Provinz Ontario/Kanada schlussendlich zugunsten einer Weiterleitungspflicht (das IEF hat berichtet). Die Richter argumentierten damit, dass die Weiterleitungspflicht vulnerable Menschen vor Leid schütze und dass damit eine Eingrenzung der Religions- und Gewissensfreiheit von Ärzten gerechtfertigt sei. Obwohl die Weiterleitungspflicht laut Kelly Block es Pro Life orientierten Menschen in Gesundheitsberufen schwermache, ihren Beruf in Kanada auszuüben, da sie sie zwinge, indirekt an Praktiken mitzuwirken, die sie als unethisch und schändlich bewerten, zeigte sich das Gericht mit seinem Urteil, so BioEdge, „völlig uneinsichtig“: Keiner hätte ein „gewohnheitsrechtliches, vermögensrechtliches oder verfassungsmäßiges Recht auf Ausübung eines Gesundheitsberufs“. Vielmehr müssten sich „Angehörige eines reglementierten und öffentlich finanzierten Berufsstandes stets am öffentlichen Interesse und nicht an ihren eigenen Interessen orientieren“.
Doch kann die Gewissensfreiheit wirklich auf ein bloß „persönliches Interesse“ reduziert werden? In einem von fast 400 Ärzten aus der ganzen Welt unterzeichneten Brief an den Weltärztebund zum Thema Gewissensfreiheit heißt es: „Wir, die Unterzeichnenden, sind der Auffassung, dass sich Ärzte zur Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten gegenüber den Patienten, zur Wahrung der Integrität des ärztlichen Berufsstandes und zur Vermeidung von Schaden an dieer Gesellschaft verpflichten müssen, in ihrem Beruf ethisch zu handeln und Handlungen, die sie als unethisch erachten, zu unterlassen.“ Die Pflicht des Arztes, seine Tätigkeit nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben, schließe also auch die Pflicht ein, nicht gegen das eigene Gewissen zu handeln. Es sei also eine ärztliche Pflicht und kein rein „persönliches Interesse“, sich zu weigern, an Handlungen direkt oder indirekt mitzuwirken, die als unethisch betrachtet werden.
C-7-Gesetz erhöhte Druck, direkt oder indirekt „Sterbehilfe“ zu leisten
2021 wurde in Kanada das C-7-Gesetz verabschiedet (das IEF hat berichtet). Seitdem dürfen auch Patienten mit degenerativen Erkrankungen MAiD beantragen, solange „unerträgliches Leid“ vorliegt. Das Gesetz habe, so Kelly Block, das Risiko erhöht, dass auf Patienten Druck ausgeübt werde, damit sie MAiD beantragen (über einen konkreten Fall hat das IEF berichtet) und dass dementsprechend auch Ärzte, Zwang erfahren, „Sterbehilfe“ leisten zu müssen.
Gesetzesantrag hätte medizinisches Personal vor Einschüchterung oder Nötigung geschützt
Kelly Blocks Gesetzesantrag (Bill C-230), der Anfang Oktober mit 203 zu 115 Stimmen abgelehnt wurde, sah eine Änderung des Strafgesetzbuches vor, die medizinisches Personal vor Einschüchterung oder Nötigung zur Mitwirkung an MAiD hätte schützen sollen. Zunächst einmal, indem es jede Form der Nötigung, sei es direkte oder indirekte „Sterbehilfe“ leisten zu müssen, als Straftat geahndet hätte. Damit wäre eine Weiterleitungspflicht als indirekte Form der Mitwirkung ebenfalls strafbar gewesen. Zusätzlich, indem es das Entlassen oder Nicht-Einstellen von medizinischem Personal allein aufgrund der Tatsache, dass es sich weigere, direkt oder indirekt Beihilfe zum Suizid oder Tötung auf Verlangen zu leisten, ebenfalls unter Strafe gestellt hätte.
Weltärztebund respektiert das Menschenrecht auf Gewissensfreiheit
Die Tatsache, dass der Gesetzesentwurf gescheitert ist, spiegelt die Haltung der kanadischen Ärztekammer (Canadian Medical Association, CMA) zum Thema „Sterbehilfe“ wider. Auf der 70. Generalversammlung des Weltärztebundes im Jahre 2019 hatte die CMA den Weltärztebund (WMA) aufgefordert, eine „neutrale“ Stellung bezüglich der ärztlichen Beihilfe zum Suizid und der Tötung auf Verlangen einzunehmen (das IEF hat berichtet). Nachdem der Weltärztebund seine Haltung, „sich entschieden gegen Euthanasie und ärztlich assistierten Suizid zu stellen“, bekräftigt hatte, war die kanadische Ärztekammer aus dem Weltärztebund ausgetreten.
Erst vor kurzem, Anfang Oktober, wurde der neue Internationale Kodex für ärztliche Ethik von fast 60 nationalen Ärzteverbänden angenommen (das IEF hat berichtet). Eine im Vorfeld kontrovers diskutierte Änderung des Kodex betraf eine mögliche Überweisungspflicht für Ärzte, nicht nur in Hinblick auf das Thema Lebensende, sondern z.B. auch bezüglich Abtreibungen. Doch das anerkannte Menschenrecht auf Gewissensfreiheit wurde von der WMA bestätigt. Laut WMA müsse also niemand, auch nicht indirekt z.B. über eine Überweisungspflicht, „Sterbehilfe“ leisten, wenn er dies mit dem eigenen Gewissen nicht vereinbaren könne. (SM)