Präimplatationsdiagnostik
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DE / Reproduktionsmedizin: BVwG: „Über jede PID ist gesondert zu entscheiden“

IEF, 30.11.2020 – Trotz Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts bleibt weiter unklar, was als schwere Erbkrankheit gilt.

PID: Enormes Missbrauchspotential

Bei einer Präimplantationsdiagnose (PID) werden künstlich befruchtete Embryos vor einem eventuellen Einsetzen in die Gebärmutter auf schwere Erbkrankheiten untersucht. Da die Gefahr des Missbrauchs sehr groß ist, ist die PID in Deutschland nur unter besonderen Voraussetzungen und nach Freigabe durch eine der bundesweit fünf dafür eingerichteten Ethikkommissionen erlaubt. Nun hatte das deutsche Bundesverwaltungsgericht über einen Einzelfall zu entscheiden.

Aktuelles Urteil in Deutschland

Im Anlassverfahren ging es um den Antrag einer Frau, deren Mann unter der angeborenen Muskelkrankheit Myotone Dystrophie Typ 1 leidet. Das Paar mit Kinderwunsch hatte eine PID durchführen lassen wollen, doch der Antrag war von der Bayerischen PID-Ethikkommission 2016 abgelehnt worden, da nach ihrer Ansicht die im Embryonenschutzgesetz festgeschriebenen Voraussetzungen nicht vorlägen. Nach Ansicht der Kommission bestehe für die Nachkommen der Klägerin und ihres Mannes kein hohes Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit, wiewohl der Vater die Muskelkrankheit mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent weitervererben würde.

Vorinstanzen sehen Schwere der Krankheit nicht gegeben

Die auf Erteilung der Zustimmung gerichtete Klage war auch vor dem Verwaltungsgericht München und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) ohne Erfolg geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof hatte angenommen, dass eine PID nur bei einer Erbkrankheit zulässig sei, die mindestens den Schweregrad der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne (DMD) aufweise. Die DMD sei eine schwere und lebensbedrohende genetische Erkrankung, die progredient verlaufe und zu einem Muskelschwund führe, der in den meisten Fällen im jungen Erwachsenenalter zum Tod führe. Die bei dem Partner der Klägerin vorliegende klassische Form der Myotonen Dystrophie Typ 1 erreiche nicht den Schweregrad der DMD. Die Betroffenen seien nicht schon in der Kindheit und im jungen Erwachsenenalter auf intensive Pflege im Alltag angewiesen und erreichten das fortgeschrittene Erwachsenenalter.

Die auf Erteilung der Zustimmung gerichtete Klage ist vor dem Verwaltungsgericht München und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ohne Erfolg geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass eine PID nur bei einer Erbkrankheit zulässig sei, die mindestens den Schweregrad der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne (DMD) aufweise. Die DMD sei eine schwere und lebensbedrohende genetische Erkrankung, die progredient verlaufe und zu einem Muskelschwund führe, der in den meisten Fällen im jungen Erwachsenenalter zum Tod führe. Die bei dem Partner der Klägerin vorliegende klassische Form der Myotonen Dystrophie Typ 1 erreiche nicht den Schweregrad der DMD. Die Betroffenen seien nicht schon in der Kindheit und im jungen Erwachsenenalter auf intensive Pflege im Alltag angewiesen und erreichten das fortgeschrittene Erwachsenenalter.

„Individuelle Unzumutbarkeit“ durch krankes Kind

Wie das Ärzteblatt berichtet, gingen die Richter im Berufungsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ebenfalls vor allem der Frage nach, ab wann von einer „schwerwiegenden Erbkrankheit“ gesprochen werden kann und welche Kriterien dafür gelten müssen. Das Embryonenschutzgesetz biete dazu „keinen glasklaren Befund“, so die Vorsitzende Richterin Renate Philipp. Hilfreich wäre die Erwähnung einer Referenzkrankheit in den Gesetzeserläuterungen. Der Richter-Senat äußerte jedoch Zweifel an der Ausführung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH), der die Klage als Vorinstanz abgelehnt hatte. Der VGH hatte in seinem Urteil festgestellt, dass eine „individuelle Unzumutbarkeit“ aufgrund der Lebenssituation der Eltern nicht als Kriterium für die Beurteilung zulässig sei. Wie jedoch bereits vom VGH selbst festgestellt, könne die Konfliktsituation der Frau nach Ansicht der Höchstrichter bei der Frage nach einer PID ähnlich sein wie bei einer Spätabtreibung, bei der die individuelle Situation berücksichtigt werde. Gleichwohl könne die Schutzbedürftigkeit eines Embryos im Reagenzglas eine andere sein als die eines Embryos im Mutterleib, so die Vorsitzende Richterin.

„Weiterhin viele Fragen offen“

Mit Urteil von Anfang November gab das deutsche Bundesverwaltungsgericht der Revision der Klägerin schließlich statt und verpflichtete den beklagten Freistaat Bayern, den Antrag auf Durchführung einer PID zustimmend zu bewerten. Die Klägerin hat folglich einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung der Ethikkommission, weil für ihre Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit besteht. Die Ethikkommission habe bei der Entscheidung über die Zulässigkeit einer PID keinen Beurteilungsspielraum, urteilte das Höchstgericht. Die Entscheidung einer solchen Kommission unterliege der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit. Anhand welcher konkreten, juristisch überprüfbaren Kriterien ein hohes Risiko für eine schwerwiegende Erbkrankheit ausgeschlossen werden könne, konnte durch das aktuelle Verfahren nicht geklärt werden. Die Krankheit  Myotone Dystrophie Typ 1 könne aber nicht der Maßstab für die Entscheidung sein, urteilte das Bun­desverwaltungsgericht nun. Stattdessen müsse in jedem Fall einzeln entschieden werden. Am Ende der Verhandlung seien „bei dem Thema auch weiterhin viele Fragen offen“, so die Vorsitzende Richterin Philipp.

Immer mehr PID

Die Zahl der in Deutschland vorgenommenen Präimplantationsdiagnostiken (PID) steigt, wie aus dem vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorgelegten zweiten „Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik“ hervorgeht. Der Report umfasst die Jahre von 2015 bis 2018. Demnach lag die Zahl der PID 2017 bei 203, im Jahr 2016 bei 100 und 2015 bei 33. Laut Bericht wurden 2018 von den zuständigen Ethikkommissionen 319 Anträge auf PID genehmigt und 23 abgelehnt. Wobei die Ablehnungen fast ausschließlich von der Ethikkommission Bayern ausgesprochen wurden.

Situation in Österreich

Im Gegensatz zu Deutschland muss in Österreich nicht jeder einzelne Antrag auf PID durch einen Ethikkommission erlaubt werden. Eine PID ist in Österreich seit 2015 gemäß § 2a FMedG gesetzlich zulässig bei drei misslungenen IVF/ICSI-Versuchen nach erfolgter Implantation, oder drei Tot- oder Fehlgeburten nach einer künstlichen Befruchtung – in beiden Fällen jedoch nur wenn Grund zur Annahme besteht, dass diese auf die genetische Disposition des Embryos zurückzuführen sind. Ebenso zulässig kann eine PID sein, wenn eine genetische Disposition zumindest eines Elternteils befürchten lässt, dass es zur Tot- oder Fehlgeburt oder zu einer Erbkrankheit des Kindes kommt. Unter Erbkrankheit definiert der Gesetzgeber in einer Legaldefinition in § 2a Abs 2 FMedG, dass das Kind nur durch den ständigen Einsatz moderner Medizintechnik oder den ständigen Einsatz anderer, seine Lebensführung stark beeinträchtigender medizinischer oder pflegerischer Hilfsmittel am Leben erhalten werden kann oder schwerste Hirnschädigungen aufweist oder auf Dauer an nicht wirksam behandelbaren schwersten Schmerzen leiden wird und darüber hinaus die Ursache dieser Krankheit nicht behandelt werden kann. Anders als in Deutschland muss vorab keine Ethikkommission einwilligen, vielmehr existiert ein sich ständig erweiternder Katalog von genehmigten Inhalten bzw. Krankheiten. Sollte eine Erkrankung noch nicht im Katalog aufscheinen, so ist beim Bundesministerium für Gesundheit (BMSGPK) ein Antrag auf Bewilligung zu stellen. In weiterer Folge, beurteilt der Wissenschaftliche Ausschuss für Genanalyse und Gentherapie am Menschen (WAGG) welche Erbkrankheit die Kriterien des Gesetzes erfüllt. In Österreich kommt dem wissenschaftlichen Ausschuss somit eine Schlüsselrolle zu. (KL)

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