
CN / Bioethik: Chinesischer Wissenschaftler behauptet Geburt erster genomeditierter Zwillinge
IEF, 30.11.2018 – He Jiankui soll mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas9 die DNA von 8 Embryos manipuliert haben. Sein Ziel sei es gewesen, die Babys gegen den HIV-Virus resistent zu machen.
Das Ergebnis seiner Versuche präsentierte der Wissenschaftler nicht wie üblich in einem Fachjournal, sondern auf YouTube und das kurz vor dem in Hongkong stattfindenden internationalen Kongress zum Thema „Editieren des menschlichen Genoms“. Das Experiment ist noch keineswegs bewiesen, aber viele gehen davon aus, dass die Behauptungen des chinesischen Wissenschaftlers stimmen. He selbst kündigte an, die Rohdaten seiner Experimente anderen Forschern zur Verfügung zu stellen.
Die Fachwelt ist fassungslos
Der Bekanntgabe der Geburt von genmanipulierten Zwillingen folgte eine Welle der Entrüstung – nicht nur aus der wissenschaftlichen Community. He hätte sich „über alle Maßstäbe der klinischen Forschung hinweggesetzt“ und in Wahrheit einen Menschenversuch mit nicht vorhersehbaren Folgen durchgeführt, so die Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), Susanne Kummer im „Kathpress“-Interview. Der Deutsche Ethikratpräsident, Peter Dabrock, meinte sogar gegenüber der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), man müsse „angesichts der in China zu Tage getretenen Ansinnen darüber nachdenken, eine Überwachungsbehörde analog zur Internationalen Atomenergie-Organisation zu schaffen.“ Er forderte die Politik auf sich des Themas auf globaler Ebene so schnell wie möglich anzunehmen.
Nicht einmal theoretischer Nutzen
Zudem soll die umstrittene Genedition jeglichen Nutzen entbehren und nur bei einem der Embryos funktioniert haben. Dennoch setzte He auch das zweite Embryo der Mutter ein. Der behauptete Wunsch des Wissenschaftlers, die Kinder von HIV-positiven Vätern vor einer Ansteckung mit dem Virus schützen zu wollen, scheint nur ein Vorwand für die Genmanipulation gewesen zu sein. Es gebe heute zahlreiche einfachere, erprobte Verfahren, die die Weitergabe der Erkrankung verhindern, wie Spiegel Online berichtet.
He habe in seinem Experiment mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas9 ein Gen namens CCR5 verändert, das für die Infektion mit dem HI-Virus verantwortlich sei. Wie Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Gentherapie der Universität Freiburg i. Br. erklärt, habe der chinesische Wissenschaftler jedoch nicht beachtet, dass eine CCR5-Inaktvierung das Immunsystem nicht gegen alle HIV-Stämme resistent macht. „Einige HI-Viren nutzen eine andere Pforte, um in die Zellen einzudringen», so der Freiburger Experte. «Zudem ist aus Studien bekannt, dass CCR5 eine wichtige Rolle in der Abwehr anderer Virusinfektionen einnimmt. Die Mädchen wären somit gegen bestimmte HI-Viren resistent, trügen aber ein höheres Risiko, beispielsweise an einer Infektion mit dem Grippe-Virus zu versterben».
„Off-target“-Effekte
Ein weiteres Risiko ist durch den „Off-target“-Effekt der Genschere selbst gegeben. Diese würde immer wieder auch an der falschen Stelle schneiden und könnte so die Funktion anderer lebensnotwendiger Gene beeinträchtigen, was sowohl kurzfristige Nebenwirkungen als auch Langzeitfolgen nach sich ziehen kann, wie in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) zu lesen ist. Da die Genmanipulation an Embryos durchgeführt wurde und es sich somit um einen Keimbahneingriff handelt, wurden bei dem Experiment nicht nur die Gene der Zwillinge, sondern auch die Gene ihrer potenziellen Nachkommen verändert.
Keimbahneingriff
„Die gentherapeutische Anwendung beim Erwachsenen ist ethisch unproblematisch und begrüßenswert, sofern man die Technik sicher einsetzen kann und wo sie zur Gesundung oder Heilung von Menschen beiträgt. Bei einem Keimbahneingriff muss die Beurteilung völlig anders ausfallen“, so die bereits zitierte Bioethikerin Kummer.
Dabei hat die Amerikanische Akademie der Wissenschaften und das Nuffield Council on Bioethics in den Jahren 2017 und 2018 Keimbahneingriffe unter bestimmten Umständen für ethisch zulässig erklärt. Dabei müssten jedoch unter anderem potenzielle Risiken und Vorteile abgeklärt sein, überzeugende medizinische Gründe vorliegen und keine alternativen Therapien vorhanden sein.
Die Teilnehmer des erwähnten Kongresses in Hongkong haben letzte Woche auch eine offizielle Stellungnahme bzgl. der Genmanipulation an Embryos abgegeben. Darin werden Hes Experimente zwar verurteilt und als „höchst verstörend“ bezeichnet, gleichzeitig werden Keimbahneingriffe unter strikter Aufsicht, bei zwingender medizinischer Indikation, dem Fehlen vernünftiger Alternativen und bei Vorliegen von Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Folgen, gebilligt.
Aufklärung über Risiken und Erfolgschancen
Abgesehen von universellen Gesichtspunkten kommt bei Hes Experimenten, wie in einem weiteren Artikel der NZZ zu lesen ist, noch eine andere partikuläre rechtliche und ethische Komponente hinzu – die Aufklärung und Einwilligung der Eltern. Momentan sei fraglich, ob die Eltern der Babys verstanden hätten, was bei ihren Kindern durchgeführt wird. So soll der Eingriff durch die Forscher einer HIV-Impfung gleichgestellt worden sein. Sollte sich bewahrheiten, dass die Eltern nicht ausreichend über den Eingriff aufgeklärt worden seien, wäre dies verheerend.
Reaktion der Behörden
Die chinesischen Behörden und die Universität der Stadt Shenzhen behaupten, nichts von den Experimenten gewusst zu haben. Die nationale Gesundheitskommission soll nun eine «minuziöse Untersuchung» des Falls angeordnet haben, so FOCUS Online. He muss seine Arbeit vorerst aussetzten. Bei dem Kongress in Hongkong hat er jedoch bereits angekündigt, dass es eine weitere Schwangerschaft mit einem geneditieren Embryo gebe.
Situation in Österreich
In Österreich sind Keimbahneingriffe verboten. Zudem darf Präimplantationsdiagnostik am Embryo nur bei Vorliegen von Erbkrankheiten, die schon früh zum Tod oder zur schweren Behinderung des Kindes führen würden, durchgeführt werden, bzw dann, wenn die Kinderwunschpatientin bereits drei Fehlgeburten erlitten hat und diese auf einen Gendefekt der ungeborenen Kinder zurückzuführen sind (Aneuploidien-Screening). (ah)