Familienzeit wird durch Erwerbsarbeit durchsetzt. Bedürfnis nach gemeinsam verbrachter Familienzeit steigt.
Lesezeit: 10,1 Minuten

AT / Familie: Aktueller ÖIF-Bericht zu Erwerbsarbeit und Familienzeit

IEF, 29.1.2018 – Die Flexibilisierung in der Arbeitswelt, der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit und der Anspruch an die Förderung der Kinder führen immer häufiger zu Zeitknappheit und Zeitkonflikten, die in weiterer Folge Zeitdruck und Zeitstress auslösen können. Gleichzeitig steige das Bedürfnis nach gemeinsam verbrachter Familienzeit. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht des unabhängigen Österreichischen Instituts für Familienforschung an der Universität Wien (ÖIF). In folgendem Beitrag gibt das Institut für Ehe und Familie (IEF) relevante Aussagen des Berichts wieder.

Familienzeit wird von Erwerbsarbeit durchsetzt

Mit Beginn des neuen Jahres veröffentlichte das ÖIF unter dem Titel Forschungsbericht „Familienzeit – Wie die Erwerbsarbeit den Takt vorgibt“ eine umfassende Arbeit über die Entwicklung der Familienzeit im Hinblick auf den Arbeitsalltag der Bevölkerung von heute. In der Einleitung halten die Autoren fest, dass die Aufgabe des Staates nicht nur darin bestehe, Familien in ihren wesentlichen Aufgaben für die Gesellschaft monetär zu unterstützen. Staat und Gesellschaft müssten vielmehr auch die Rahmenbedingungen schaffen, Familien ein hinreichendes und verlässlich verfügbares Maß an Zeit für Familie ermöglichen. Die vermehrt in den Fokus genommene zeitliche Komponente der familialen Unterstützung beruhe auf mehreren in den letzten Jahrzehnten stattgefundenen Entwicklungen. So könne die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten einerseits positive Auswirkungen auf die Familienzeit haben, indem sie dem Arbeitnehmer ein gewisses Maß an Zeitsouveränität gewähre. Anderseits führten die flexibilisierten Arbeitszeiten auch zu einem erhöhten Koordinationsaufwand innerhalb der Familien. Die Entwicklung der modernen Kommunikationsmittel führe zudem dazu, dass Zeiten am Abend oder am Wochenende zunehmend mit Erwerbsarbeit durchsetzt werden. Dadurch werde Familie mitunter in Zeitlücken der Erwerbsarbeit gelebt. Die Bereitstellung gemeinsamer Zeitfenster für Familienleben und deren Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsbereichen würden dadurch zu einer immer größeren Herausforderung für Familien.

Steigende Erwerbstätigkeit der Frauen – steigende Erziehungsansprüche

Mittlerweile arbeiteten 70 % der Frauen erwerbstätig, 47,8 % davon in Teilzeit, wodurch der strukturelle Zeitpuffer der traditionellen Frauenrolle zunehmend wegfalle. Frauen würden heute – im Vergleich zur Nachkriegszeit, als in Österreich das Modell des männlichen Versorgers dominierte – über weniger disponible Zeit verfügen, die sie je nach Bedarf für andere zur Verfügung stellen können. ObgleichMänner in den letzten Jahrzehnten vermehrt innerfamiliäre Aufgaben übernommen hätten, habe die Verteilung nicht in gleichem Ausmaß stattgefunden.

Gleichzeitig sei der Anspruch der Eltern an eine „gelungene Erziehung der Kinder“ gestiegen, bei der sie alles richtig machen wollten. Besonders Mütter der „bürgerlichen Mitte“ stünden damit unter Druck, da sie einerseits mehr Zeit investieren würden, die Kinder zu fördern (z.B. Weg- und Wartezeiten), andererseits Zeit für Erwerbsarbeit aufwenden würden, um die finanzielle Grundlage für die gewünschte Förderung der Kinder zu schaffen.

Wunsch nach mehr Familienzeit

Basierend auf einer Datenerhebung der Statistik 2008/09 lasse sich der Wunsch nach mehr Familienzeit quantifizieren. So wünschten sich über 60 % der Väter mit schulpflichtigen Kindern mehr Zeit mit ihrer Familie. Auch der Anteil bei Vätern mit Kindern unter sechs Jahren war mit 58 % nur wenig niedriger. Auch 50 % der Frauen mit schulpflichtigen Kindern würde gerne mehr Zeit mit der Familie verbringen. Von den Müttern mit Kindern unter sechs Jahren wünschten sich 40 % mehr Zeit mit der Familie. Dies sei jedoch „nicht mit einer ablehnenden Haltung zu der eigenen Familie gleichzusetzen, viel mehr ist dies das Resultat der derzeit in Österreich umgesetzten geschlechtsspezifischen Arbeitsaufteilung“, interpretiert das ÖIF.

Zunahme produktiver Tätigkeiten – Abnahme von Freizeit und Ruhezeiten

Der Bericht wertet die verfügbaren Daten der letzten beiden Jahrzehnte zu Erwerbstätigkeit und unbezahlter Tätigkeit sowie Zeit für Freizeit und Ruhezeiten aus. Die Zahlen zeigen, dass sich der Zeitdruck auf die Familien kontinuierlich erhöht hat.  Bei einer Zunahme der produktiven Tätigkeiten (marktgängige Leistung, Haushaltsarbeit, Freiwilligenarbeit), nahm die Freizeit, v.a. für Ruhepausen dementsprechend ab und die Menschen müssen pro Tag mehr leisten. Die recht einseitige Mehrbelastung der Frauen, die als solche in den 1990ern noch gut erkennbar gewesen sei, habe sich inzwischen etwas verschoben. Dennoch leisteten Frauen insgesamt mehr als Männer, d. h. sie seien etwas länger mit produktiven Tätigkeiten beschäftigt. Es ist jedoch erkennbar, dass diese generelle Zeitressourcenverteilung v. a. durch die der Pensionist/innenhaushalte determiniert ist. Familien und Paare im Erwerbsalter wiesen inzwischen sogar Mehrbelastungen seitens der Männer aus.

Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitverkürzung und Verschiebung der Arbeitszeit

In einem weiteren Kapitel werden zwei Arbeitszeitmodelle besprochen, die es Familien ermöglichen könnten, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Zum einen könnten Eltern die Zeit, die sie mit Erwerbsarbeit verbringen, reduzieren. Durch eine Reduktion des Stundenausmaßes der Erwerbsarbeit stünde folglich mehr Familien- und Erziehungszeit zur Verfügung. Alternativ bestehe die Möglichkeit, die Erwerbsarbeit zeitlich bzw. räumlich zu verschieben. Hier komme es zwar kaum zu einer absoluten Steigerung an Familienzeit, es könnten jedoch längere Zeiträume für Familie am Stück geschaffen werden.

Dem Modell der Arbeitszeitverkürzung werden im ÖIF-Bericht noch weitere positive Auswirkungen als mehr Familienzeit zugeschrieben. So könnte durch eine Verkürzung der Arbeitszeit vorhandene Arbeit auf mehr Arbeitnehmer verteilt werden und so Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung sollten das Einkommen der Beschäftigten gleichzeitig nicht reduzieren, da die Lebenshaltungskosten derzeit ständig steigen würden und eine sinkende Kaufkraft der Bevölkerung dem gesetzten Beschäftigungsanreiz entgegenwirken würde.

Eine Arbeitszeitverkürzung, wie sie etwa bereits in Form von Elternteilzeiten existiert, sollte auch das Ungleichgewicht von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten und hier insbesondere zwischen Müttern und anderen Beschäftigten reduzieren können. Die Balance von Care-Work und Erwerbsarbeit sei das zentrale Motiv des Berichts. Arbeitszeitverkürzung sei demnach auch ein Gleichstellungsthema. Frauen arbeiteten hauptsächlich aus Care-Motiven in Teilzeitarbeit und würden dadurch einen deutlichen Nachteil gegenüber Personen, die keine Care-Arbeit leisten, erleiden. Dies äußere sich in einem geringeren Einkommen, einer schlechteren Absicherung im Alter und schlechteren Aufstiegschancen im Job. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, insbesondere mit einem (teilweisen) Lohnausgleich könnte diese Benachteiligungen aus Sicht des ÖIF abfedern. Eine geringe Verkürzung der Normalarbeitszeit würde den Zeitdruck für erwerbstätige Eltern verringern, mehr Zeit für Versorgungsarbeit ermöglichen und zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Aufteilung dieser Arbeit führen. Die Zielsetzung der Angleichung der weiblichen Erwerbsarbeitszeit an die männliche Norm erscheine hingegen – nicht nur aus beschäftigungspolitischen Gründen – weder realistisch noch erstrebenswert. Die volle Leistungsfähigkeit sei in einer einigermaßen beanspruchenden Vollzeitarbeit inklusive regelmäßiger Überstunden ohne einen versorgenden Elternteil über längeren Zeitraum nicht gegeben. Dies sei insbesondere in Lebensabschnitten der Fall, wo zeitintensive Versorgungsarbeit für Kinder oder Pflegebedürftige anfalle.

Verschiebung der Arbeitszeit

Gleitzeitmodelle mit und ohne Kernzeiten sind mittlerweile in Österreich weit verbreitet. Nach den aktuellsten Zahlen von Statistik Austria hatten 2010 rund 20% der unselbständig Beschäftigten in Österreich eine Gleitzeitregelung. Eine weitere flexible Erwerbsarbeitsgestaltung könnten flexible Lebensarbeitszeitmodelle darstellen. Vom Prinzip her könnten so z.B. potentielle Eltern bei geplantem Familienzuwachs zunächst mehr arbeiten und anschließend diese aufgebauten Mehrstunden durch Arbeitszeitreduktion in der Kleinkindphase ohne Einkommensverluste wieder abbauen.

Viele Eltern sehen in der Möglichkeit von zuhause aus zu arbeiten eine Chance zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Teleworking, Home-Office). Eine vom deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2015) beauftragte Studie vom Institut für Demoskopie Allensbach ergab, dass 57 % der Eltern mit minderjährigen Kindern, die auch zu Hause arbeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Möglichkeit zur Heimarbeit viel leichter falle und 36 % etwas leichter. Der Großteil der Eltern sehe in der flexiblen Einteilung der Arbeit im Home-Office den Vorteil, kurzfristig auf besondere Bedürfnisse der Kinder einzugehen und dann weiterzuarbeiten (88 %) oder ein krankes Kind zu pflegen, ohne sich dafür frei nehmen zu müssen (83 %). Nutzerinnen und Nutzer von mobilen Arbeitsformen sparten durchschnittlich 4,4 Stunden durch Heimarbeit, zum Beispiel durch den Wegfall des Arbeitsweges. Diese Zeit werde von Eltern vor allem für mehr Familienzeit verwendet (80 %). Die negativen Seiten seien hingegen die Tendenz zu längeren Arbeitszeiten und die stärkere Überschneidung von Berufs- und Privatleben. In Österreich lag der Anteil 2016 bei 3,7% der Erwerbstätigen (18,1% der Selbständigen und 1,6% der Unselbständigen), die ihren Hauptarbeitsplatz zuhause hatten. Weitere 12,7 % der Erwerbstätigen, die ihren Hauptarbeitsplatz nicht zuhause hatten, gaben an, zusätzlich auch von zuhause zu arbeiten.

Ein weiteres denkbares Modell wäre die „Vertrauensarbeitszeit“, die weder abschließend genau definiert werden kann, noch arbeitsrechtlich gefasst ist. Einzelne Eckpunkte ließen sich aber festmachen. So werde bei der „Vertrauensarbeitszeit“ weitgehend auf eine Arbeitszeitkontrolle verzichtet. Statt einer Zeit- komme es im Unternehmen zu einer Ergebnisorientierung. Es werden sogenannte „Milestones“ festgelegt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht werden sollen. Wann, wieviel und wo die Mitarbeiter arbeiteten, um diese Vorgaben zu erreichen, könnten diese weitestgehend selbst entscheiden. Somit erreichten die Mitarbeiter einen hohen Grad an Flexibilisierung. Gleichzeitig fordere dieses Modell aber auch eine hohe Eigenverantwortlichkeit bei der Arbeitsgestaltung von den Mitarbeitern ein. Für die Arbeitnehmer bedeute dies einerseits, dass sie nun ihre einzelnen Lebensbereiche in größerem Ausmaß selber in Einklang bringen könnten, jedoch steige dadurch auch der Koordinationsaufwand im täglichen Leben weiter an.

Durch die Verdichtung der Arbeit mittels 12-Stundentag wäre es möglich, einer Vollerwerbstätigkeit (40 Wochenstunden) in etwas mehr als drei Tagen nachzukommen. In weiterer Folge würden sich dadurch längere Zeiträume ohne Erwerbstätigkeit ergeben, welche Eltern nutzen könnten, um Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Da eine konkrete Ausgestaltung dieses Arbeitszeitmodells derzeit nicht vorliege, sei es allerdings schwer, über die Vor- bzw. Nachteile auf die Familienzeit zu schließen.

Praxisbeispiele europäischer Länder und Vorschläge zur Novellierung im Arbeitszeitrecht

In weiteren zwei Kapiteln werden ausgewählte Praxisbeispiele in unterschiedlichen europäischen Ländern dargestellt. Die Fragen lauten hier: Welche Maßnahmen wurden auf staatlicher bzw. kommunaler Ebene getroffen, welche seitens der Betriebe? Welche Auswirkungen für die Beschäftigten, aber auch für die Betriebe können aufgrund dieser Maßnahmen erkannt werden? Abschließend werden Vorschläge zur Novellierung im Arbeitszeitrecht auf gesetzlicher Ebene in Kollektivverträgen und in Betriebsvereinbarungen in einer zusammenfassenden Gesamtschau gemacht. Hier liegt die Auffassung zu Grunde, dass die Sozialpartner eine besondere Verantwortung für die konkrete Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen tragen. Zur Untermauerung wird dazu eine Stelle aus dem achten deutschen Familienbericht zitiert, derer sich die Autoren des ÖIF Berichts anschließen wollen: „In der Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen durch die Tarifvertragsparteien, die Betriebsparteien und die Arbeitsvertragsparteien liegen große Potenziale, die es noch stärker auszugestalten gilt. Ihnen obliegt es, flexible Arbeitszeitmodelle einzuführen, die sowohl die Interessen der Betriebe als auch der Beschäftigten angemessen berücksichtigen und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen (…) Werden die Spielräume intelligent genutzt, entsteht eine echte Win-Win-Situation für Beschäftigte und Arbeitgeber.“

Resümee

Alles in allem liefert der Bericht des ÖIF sehr interessante Daten und Ansätze zur besseren Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienzeit, meint dazu Dr. Stephanie Merckens vom IEF. Es sei erfrischend zu lesen, dass bereits zahlreiche neue Arbeitsmodelle im Bericht berücksichtigt wurden. Besonders erfreulich sei die Erkenntnis, dass das erwünschte Pensum an familiärer Versorgungszeit einer Vollzeitarbeitstätigkeit beider Elternteile entgegensteht und daher politisch nicht anzustreben sei.

Wenig überzeugend sei hingegen der Vorschlag der Autoren, die Arbeitszeit bei gleichem Gehalt allgemein zu reduzieren, meint Merckens. Zum einen zweifelt Merckens daran, dass dadurch tatsächlich Arbeitslosigkeit reduziert und eine weitere Angleichung der Geschlechter erreicht werden könne. Zum anderen fehlten überzeugende Finanzierungskonzepte. Allein die Arbeitgeber oder auch öffentlichen Steuergelder dafür heranziehen zu wollen, sei angesichts interessanterer Lohnniveaus im Ausland eher kontraproduktiv, weil standortgefährdend. Zudem hinke der Vergleich mit der Kurzarbeit in wirtschaftlichen Krisenzeiten, da schon heute in einigen Bereichen annähernd Vollbeschäftigung erreicht sei und es insbesondere an qualifizierten Facharbeitern mangle, meint Merckens kritisch. Da der Bericht interessanterweise den erhöhten Stresspegel auch auf den gesteigerten Erwartungsdruck bei der Förderung der Kinder sieht, wäre es überlegenswert, hier genauer hinzuschauen. Auch wenn Merckens bewusst ist, dass dies nur eine kleine Schraube im umfassenden Lösungskonzept darstellt.

Weiterführende Artikel

Diesen Artikel teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Nach oben