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AT / Lebensende: Bericht von der VfGH-Verhandlung

IEF, 24.09.2020 – Verfassungsgerichtshof befasst sich mit Suizidzahlen und Menschenwürde.

Heute fand die öffentliche Verhandlung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zu den vier anhängigen Verfahren statt, mit denen beabsichtigt wird, die Verbote der Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) und der Suizidbeihilfe (§ 78 StGB) zu kippen.

Dr. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF) durfte als eine der wenigen ausgelosten Zuhörer teilnehmen.

Die österreichische Bundesregierung machte mit ihren Experten aus den zuständigen Ressorts Strafrecht, Zivilrecht, Verfassungsdienst und Gesundheitsministerium deutlich, dass die österreichische Rechtslage schon heute ein selbstbestimmtes Sterben möglich mache, allerdings die bewusste Tötung von Menschen keine medizinische Option sein dürfe. Dies wurde auch durch die von der Regierung genannten Auskunftspersonen untermauert. So machte Univ.-Prof. Dr. Herbert Watzke, Professur für Palliativmedizin an der Medizinischen Universität Wien und Leiter der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin-AKH Wien mit konkreten Beispielen verständlich, dass sich niemand in Österreich gegen seinen Willen behandeln lassen müsse. Dieses Recht auf Ablehnung  gelte selbst dann, wenn die Behandlung medizinisch sinnvoll und notwendig wäre, um einen vorzeitigen Tod zu verhindern. Immer aber sei es Aufgabe der Medizin und Pflege, alles zu tun, damit der Patient möglichst wenig Schmerzen habe. Dr. Elisabeth Pittermann (Ärztin, sie war von 2000-2004 Wiener Stadträtin für Gesundheits- und Spitalswesen, SPÖ) warnte davor, das ärztliches Ethos zu durchbrechen. Mediziner hätten einen zu leichten Zugriff zu todbringenden Medikamenten, umso wichtiger sei es, die Hürde zur Tötung so hoch wie möglich zu halten, so Pittermann.

Rechtsanwalt Dr. Proksch sowie ein Antragsteller argumentierten erwartungsgemäß für die Abschaffung der §§ 77 und 78 StGB. Als Auskunftspersonen wurden sie von Frau Mag. Nikola Göttling als Betroffene (sie hat MS und gehört zum Verein Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende) und Silvan Luley, Vereinsleiter des Schweizer Sterbehilfevereins Dignitas, von Seiten der Antragsteller unterstützt. Frau Göttling untermauerte, dass ihr die Aussicht auf Behandlungsverzicht nicht ausreiche. Es könne ja Menschen geben, die sich „gerne wickeln“ lassen, sie selber wolle sich das aber nicht vorstellen. Der Vertreter von Dignitas wiederum beeindruckte mit der wenig überzeugenden Behauptung, dass die Dienstleistungen von Dignitas kostenlos seien.

Die Verhandlung dauerte knapp vier Stunden. Besonderes Augenmerk richtete man auf die Frage, ob die Freigabe von assistiertem Suizid zu höheren Suizidzahlen insgesamt führen würde. Dr. Proksch von Seiten der Anklage behauptete wiederholt, dass dies nicht der Fall sei. Nein, dass vielmehr gerade die Schweiz zeige, dass die Möglichkeit des assistierten Suizids zu weniger Suiziden insgesamt führe.

Irritierendes über Zahlen

Diese Behauptung konnte allerdings der von der Bundesregierung bereitgestellten Beilage über die statistische Entwicklung in der Schweiz nicht standhalten. Laut Angaben des Schweizer Bundesamtes für Statistik starben im Jahre 2017 insgesamt 2052 Personen an Suizid (davon 1043 durch „normale“ Suizide und 1009 durch assistierten Suizid). Die Statistik weist ausdrücklich aus, dass es sich bei den 1009 durch assistierten Suizid gestorbenen Personen um Personen handelt, die in der Schweiz wohnhaft waren. Die Zahl umfasst daher nicht Ausländer, die im Rahmen eines „Sterbetourismus“ in der Schweiz verschieden. Quelle: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit.gnpdetail.2019-0197.html (insbesondere die Tabellen für Suizide und assistierte Suizide)

Damit wurde auch die Aussage der Antragssteller entkräftet, dass es in Österreich mehr Suizide gebe als in der Schweiz. Bei einer annähernd gleichen Bevölkerungszahl gibt es in Österreich etwa im Jahr 2017 eine bedauerliche Zahl von 1224 Suiziden (als doch um einiges weniger als 2052).

Auch WMA wird falsch zitiert

Bei dem Versuch nachzuweisen, dass auch Ärzte keine Vorbehalte gegen Beihilfe zur Selbsttötung ihrer Patienten hätten, blieb die Rechtsvertretung der Antragsteller auf halben Wege stecken. Mit der Behauptung, selbst die World Medical Association (Dachverband von mehr als 120 Ärztekammern weltweit) wäre für assistierten Suizid legten, die Antragssteller die Genfer Erklärung der WMA aus dem Jahr 2017 vor.

In dieser Erklärung geloben die Ärzte u.a. die Autonomie ihrer Patienten zu respektieren. Mit keinem Wort wird darin eine Haltung zur aktiven Sterbehilfe ausgesprochen. Im Gegenteil: Zwei Jahre später im Oktober 2019, auf der 70. Generalversammlung der WMA, bekräftigt der Weltärztebund wörtlich seine Ablehnung von assistiertem Suizid oder auf (Deutsche Version).

Die kanadische Ärztekammer, die sich eine „neutrale“ Haltung gewünscht hätte, ist daraufhin aus Protest aus der WMA ausgetreten. In Kanada ist Euthanasie seit 2016 legal.

Würde ist ein sehr subjektiver Begriff

Deutlich wurde auch, dass man unter Menschenwürde sehr Unterschiedliches verstehen könne. Während für die Vertreter der Bundesregierung darunter einfühlsame Pflege, Respekt der Behandlungsautonomie und der Einsatz von Schmerztherapie zu verstehen ist, sieht der von Dignitas gewählte Anwalt Dr. Proksch dies anders: Von der Hilfe anderer abhängig zu sein, sei „entwürdigend“. Und auf Nachfrage: Sein Ziel sei die „völlige Freigabe des Suizids“, also auch etwa die Möglichkeit, dass sich junge, gesunde Menschen, so sie dies wünschten, gegenseitigen bei der Selbsttötung helfen könnten. Aber man dürfe hier nicht vermessen sein – ein Schritt nach dem anderen.

Die Verfassungsrichter werden nun weiter beraten. Das Urteil wird eher schriftlich erfolgen. Die Herbst-Session endet am 10.10.2020. (stm)

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