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„Außerhalb unserer Entscheidungskompetenz“ IEF-Filmtalk zum Abtreibungsdrama „24 Wochen“

Das Institut für Ehe und Familie (IEF) lud in Kooperation mit der Wochenzeitung „Die Furche“ zur Filmvorführung des Abtreibungsdramas „24 Wochen“ und anschließendem Expertengespräch ins Wiener Votivkino.
In dem Film von Regisseurin Anne Zohra Berrached, der ab sofort in den Kinos läuft, erfahren Astrid und Markus, dass sie ein Kind mit Down Syndrom und einem schweren Herzfehler erwarten. Nach anfänglicher Entscheidung für das Kind gerät Astrid – gespielt von Julia Jentsch – angesichts der Schwere der Erkrankung immer mehr ins Wanken und entscheidet sich letztlich für einen Spätabtreibung in der 24. Schwangerschaftswoche.

„Sehr realitätsnah“

Im anschließenden Expertengespräch – moderiert von Doris Helmberger-Fleckl von der Wochenzeitung „Die Furche“ – waren sich alle Befragten einig: Der Film ist sehr realitätsnah. In beklemmender Wirklichkeitstreue und Nähe zeigt er den schwierigen Weg des Paares und blendet auch nicht aus, als Astrid im Operationssaal den Fetozid durchführen lässt – jenen Eingriff, bei dem das Kind durch eine Kaliumchlorid-Spritze getötet wird. Dennoch handle es sich bloß um einen Film, eine fiktive Geschichte, betonte Dr. Erich Griessler vom Institut für Höhere Studien, weswegen er davon Abstand nahm, zu viel in die einzelnen Reaktionen der Protagonisten hinein zu interpretieren.

Eine Frage, die wir uns nicht stellen sollten

Der Film bewegt, beklemmt, rüttelt auf – und geht dann den Weg einer Entscheidung, die wir uns letztlich gar nicht stellen sollten, so unerwartet direkt Renate Mitterhuber, die als Hebamme Frauen begleitet, die einen Spätabbruch durchgeführt haben. Für Mitterhuber geht es gar nicht primär darum, ob man die Entscheidung für eine Spätabtreibung nun für richtig oder falsch hält. „Es geht vielmehr darum, dass wir Menschen solche Entscheidungen eigentlich gar nicht treffen dürften.“ Mitterhuber forderte, „einen Schritt zurück zu gehen“, stellte aber gleichzeitig fest: „Der Zug ist abgefahren, denn die Medizin und die Rechtslage lassen solche unmöglichen Entscheidungen zu.“ Frauen die sich für einen Spätabbruch entschieden hätten, trügen – so ihre Erfahrung – immer schwer an ihrer eigenen Schuldfrage. „Davon kann man sie auch nicht entlasten“, so Mitterhuber

Notwendiger Schritt zurück

Tatsächlich aber wäre es notwendig, diesen Schritt zurück in Erwägung zu ziehen und die eugenische Indikation zu überdenken, griff Dr. Stephanie Merckens, Referentin für Biopolitik am Institut für Ehe und Familie (IEF), den Gedanken von Mitterhuber auf. Denn heute stelle die österreichische Rechtslage die Frau in eine Entscheidungssituation, die sich menschlicher Kompetenz entziehe und lasse es zu, den Keil des Zweifels in die
Haltung der Betroffenen zu bringen.

Gerade dieser Aspekt werde ja im Film sehr stark thematisiert. Das Institut für Ehe und Familie hatte sich daher sehr bewusst entschieden, zu diesem Film einzuladen. „Wir lehnen den Spätabbruch ab. Aber gerade deswegen sehen wir es als unseren Auftrag, uns dem Thema zu stellen und genau hinzusehen, wie es Menschen in diesen Situationen geht. Um hilfreich zur Seite zu stehen, die Entscheidung für das Leben des Kindes auch möglichst gut zu leben“, so Merckens

Es fehlt an Hilfe für Kind und Eltern

Diese Hilfe, dieses Angebot, so immer wieder der Tenor unter den Diskutanten, fehle häufig. Dabei, so Dr. Karl Radner, Gynäkologe in Wien, sei auch der Druck auf die Ärzte ein mögliches Hindernis: „Ärzte raten oft eher zur Abtreibung. Damit kann ihnen nichts passieren, damit können sie nicht belangt werden.“ Viel zu wenig, so Radner, würde darüber aufgeklärt, wie ein Leben mit einem kranken oder behinderten Kind möglich sei und welche -zum Teil auch palliativmedizinischen – Möglichkeiten es gebe, um dem Kind das Leben zu erleichtern.

Wer kann schon beurteilen, was ein gutes Leben ist?

Wie schwer und gleichzeitig bereichernd das Leben mit einem kranken Kind sein könne, erzählt ein Ehepaar P., das vor rund einem Jahr einen Sohn mit einem Herzfehler zur Welt brachte und seither unzählige Eingriffe durchstehen musste: „Die Diagnose war für mich einfach zu schwer, ich habe sie bis kurz vor der Geburt weggeschoben“ so der Vater. Nach der Geburt lebten sie von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, „teilweise von Minute zu Minute. Man kann sich das vorher nicht vorstellen, aber man schafft das irgendwie.“ Der Film war für sie beide eine Art Déjà vu. „Als Mutter möchte man für sein Kind das Beste und fragt sich, warum das nicht möglich ist. Aber wer sagt denn eigentlich, was das Beste ist“, fragte die Mutter in die Diskussionsrunde hinein. Ihr Mann ergänzte: „Es kann doch im Leben nicht das Wichtigste sein, Olympiasieger zu werden.“

Hat die Frau nicht auch das Recht, ein solches Leben nicht zu wollen?

Doch geht es nicht auch – wie eine Zuhörerin im Saal fragte – um die Mutter und die Frage, ob sie nicht das Recht hätte, ein Leben mit einem solchen Kind nicht führen zu wollen. Um die Mutter ginge es sehr wohl, aber ein Recht, deswegen das Leben ihres Kindes zu beenden, lehnte Stephanie Merckens mit klaren Worten ab. Auch wenn das für viele hart wirke, so müsse man sich den Vergleich vor Augen führen, wie sich die Situation wenige Stunden später darstelle: „Sobald das Kind auf der Welt ist, hat niemand – auch nicht die Mutter – das Recht es zu töten, weil sie von der Situation überfordert ist. Warum sollten wir uns diese Entscheidungsmöglichkeit einräumen, nur weil das Kind noch im Bauch ist?“ Die Mutter habe aber durchaus das Recht, Hilfe einzufordern, wenn sie sich überfordert fühlt – bis hin zu der Übergabe des Kindes in die staatliche Fürsorge. Die Aufgabe und Herausforderung für die Gesellschaft sieht Merckens darin, bestmögliche Rahmenbedingungen für Mutter und Kind zu schaffen, damit so ein Leben gut möglich und möglichst gut ist.

Beratung braucht ein Wertegerüst

Umso wichtiger sei es, Eltern, die vor einem so ungewissen und schwierigen Schicksal stehen, bestmöglich zu beraten. Dabei sei auch zu unterscheiden zwischen Information und Beratung, so Merckens. Denn – wie auch Dr. Radner betonte – wertfreie Information sei möglich. Eine völlig non-direktive, wertfreie Beratung könne sich Radner aber nicht vorstellen. Immer scheine irgendwie die eigene Haltung des Beratenden durch. Auch im Film überwiegt bei der begleitenden Hebamme wohl der Wunsch, der Frau den Druck zu nehmen und sie zu trösten. Nur so könne sich Mitterhuber erklären, warum die Hebamme das Strampeln des Kindes als mögliches „Verabschieden“ und Gutheißen der Entscheidung der Mutter kommuniziert. Fachlich gesehen sei es jedenfalls eine unsachliche Kompetenzüberschreitung. Aber man dürfe eben nicht vergessen, dass auch die Hebammen oft in einer Extremsituation stehen.

Hier zeige der Film, so Merckens, eines der gravierenden Mankos unserer Gesellschaft, nämlich das Fehlen von verbindlichen Werten, auf die sich Betroffene stützen können: „Astrid, die sich selbst ständig hinterfragt, kann sich auf nichts wirklich stützen. Sie sucht nach Antworten und bekommt sie nicht. Im Grunde leidet sie unter dieser Unverbindlichkeit und der Antwortlosigkeit unserer Zeit „, so Merckens. Wenn jemand einen Rat sucht, dann würde er eine Meinung hören wollen. „Gerade deswegen geben wir als IEF eine klare Antwort und lehnen den Spätabbruch ab. Man kann diese Antwort ablehnen. Sie kann aber auch der letzte Anker sein, an dem sich die Ratsuchende festhalten kann.“, so Merckens. „Als Gesellschaft sollten wir uns jedenfalls immer die Frage stellen, wie ein Leben möglich ist, und nicht ob.

Über die Diskutanten:

Dr. Mag. Erich Griessler, Leiter der Abteilung Technologiepolitik am Institut für Höhere Studien (IHS), beschäftigte sich u.a. mehrfach mit wissenschaftlichen Studien zur Aufklärungssituation von Frauen im Rahmen der Pränataldiagnostik und versucht – auf soziologischer Ebene – der Frage nachzugehen, ob Frauen für die Entscheidung eines Schwangerschaftsabbruches ausreichend aufgeklärt sind.
siehe www.ihs.ac.at

Dr. Stephanie Merckens, Referentin für Biopolitik am Institut für Ehe und Familie (IEF) und Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzlers, setzt sich in ihrer Arbeit für das Thema Lebensschutz ein. Kern ihrer Tätigkeit ist immer die Würde des Menschen, die mit der Verbindung von Ei- und Samenzelle anfängt und bis zum natürlichen Tod gilt.
siehe www.ief.at

Renate Mitterhuber, Hebamme und Trauerbegleiterin in Wien, erlebt in ihrer Arbeit immer wieder, wie nah Tod und Leben, Freude und Trauer beieinander liegen. Sie begleitet Paare bei Fehl- und Totgeburten genauso wie bei Fetozid und Schwangerschaftsabbruch.

Das Ehepaar P., lebt und arbeitet in der Steiermark. Als Eltern eines herzkranken Kindes wurden sie schon während der Schwangerschaft mit der Tatsache konfrontiert, dass ihr Kind schwer krank sein wird. Ihre klare Entscheidung für ein „nicht perfektes Leben“ führt sie immer wieder unerwarteten Glücksmomenten, aber auch Schwierigkeiten im Alltag.

Dr. Karl Radner, Gynäkologe in Wien, erlebt in seinem Beruf viel Freude und Glück, muss aber auch immer wieder mitansehen, wie Eltern der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wenn sie erfahren, dass Sie ein behindertes oder krankes Kind erwarten. Als Frauenarzt begleitet er Eltern durch die schönen und schwierigen Momente einer Schwangerschaft und meint: „Leben ist so zu akzeptieren wie es ist.“

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