AT_INT / Gender: Geschlechtsselbstbestimmung auf dem Vormarsch
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IEF, 07.06.2021 – Immer neue gesetzliche und parlamentarische Initiativen fordern Rechte zur Selbstbestimmung im Zusammenhang mit Geschlechtsidentität.
International gibt es zahlreiche Bestrebungen, die Rechte von LGBTIQ-Personen auszubauen und zu stärken. So wurde in Spanien letztens über ein Gesetz abgestimmt, das die Rechte von Transgender-Personen fördern und hier insbesondere das Recht auf Selbstbestimmung etablieren sollte. In den letzten Wochen sind auch einige Forderungen im Zusammenhang mit LGBTIQ-Personen im österreichischen Parlament eingelangt. Verlangt wird u.a. die Schaffung von Anlaufstellen und die Sicherstellung der Versorgung von LGBTIQ-Personen, sowie die Berücksichtigung von LGBTIQ-bezogenen Themen im schulischen Kontext. Zudem fordert eine Petition die Möglichkeit der Selbstbestimmung bei Geschlechtseinträgen.
Sicherstellung der Versorgung von LGBTIQ-Jugendlichen
In einem Entschließungsantrag zu flächendeckender Versorgung für LGBTIQ-Jugendliche, setzen sich Mario Lindner (SPÖ), Kolleginnen und Kollegen, dafür ein, dass ein Fördertopf für mindestens eine hauptamtliche Einrichtung für LGBTIQ-Jugendarbeit im Rahmen von Beratungsstellen in jedem Bundesland eingerichtet wird. Begründet wird die Forderung im Antrag damit, dass junge LGBTIQ-Personen besonders von psychosozialen Herausforderungen, gerade auch in der Corona-Pandemie, betroffen seien und es in Österreich ein wenig ausgebautes Netz an Beratungs- und Betreuungseinrichtungen für diese Personengruppe gibt. Der Entschließungsantrag zitiert dabei Ergebnisse einer amerikanischen Studie, der zufolge die Pandemie vor allem eine negative Auswirkung auf den Zugang zur psychosozialen Versorgung und die Fähigkeit von queeren Jugendlichen, ihre Identität auszudrücken, habe.
Aufklärungsunterricht zu Homo-, Inter- oder Transsexualität
In einem thematisch verwandten Antrag plädierten Yannick Shetty (NEOS), Kolleginnen und Kollegen, für niederschwellige Anlaufstellen sowie LGBTIQ-inklusive Lehr- und Lernmaterialien an österreichischen Schulen. Dabei führt er den letzten Jahresbericht der ILGA-Europe, der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association, an. Darin heißt es, dass die Krise des letzten Jahres LGBTIQ-Personen in Europa „an den gesellschaftlichen Rand gedrängt“ habe, sowie einen Anstieg an Missbrauch und Hassreden ihnen gegenüber verzeichnen ließ. Auch Österreich sei immer noch von Heteronormativität bestimmt, wobei „abweichende sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten ein Tabuthema und ein Diskriminierungsgrund“ seien. 40% von in Österreich lebenden LGBTIQ-Personen hätten sich laut einer LGBTIQ-Studie der europäischen Grundrechte-Agentur FRA in den letzten 12 Monaten mindestens einmal diskriminiert gefühlt. 33% hätten Belästigungen und 11% physische oder sexuelle Übergriffe erfahren. Um diesem Übel zu begegnen, müsse laut dem Antrag vor allem im Schulunterricht angesetzt werden, für den es ein umfassendes Konzept zur raschen Verankerung von LGBTIQ-bezogenen Themen, sachlicher Aufklärung und der Verwendung von LGBTIQ-inklusiven Lehr- und Lernmaterialien auszuarbeiten gilt. Außerdem müssten niederschwellige Anlaufstellen an Schulen geschaffen werden, an die sich Kinder und Jugendliche bei Fragen, Problemen und Diskriminierungserfahrungen wenden könnten.
Freier Zugang zum Personenstand
Schließlich überreichten Mario Lindner und Yannick Shetty dem Parlament auch eine von 56 zivilgesellschaftlichen und Menschenrechtsorganisationen unterzeichnete Petition mit dem Titel “Selbstbestimmung und Anerkennung von transidenten, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen”. Die Unterzeichner kritisieren darin die „rechtliche Ungleichbehandlung und den „fehlenden freien Zugang zum Personenstand“, die eine Diskriminierung von transidenten, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen zur Folge hätten und ihre Selbstbestimmung massiv einschränken würden. Die Petition bemängelt auch die hohen Kosten, die mit einer Änderung des Geschlechtseintrags einhergehen würden. Die Organisationen fordern daher die „freie Personenstandswahl ohne bürokratische Hürden“ durch Selbstauskunft, Zugang zu den Geschlechtseinträgen „inter”, „divers”, „offen” und „kein Eintrag” für transidente und nicht-binäre Personen, ein Ende der Gutachtenpflicht, sowie die kostenfreie Neuausstellung von Dokumenten und die Abschaffung der Gebühren für Personenstands- und Vornamensänderungen.
„Einfordern, bis es klappt“
Eine ähnliche Forderung wurde bereits 2020 von 64 Organisationen in einem offenen Brief an den Bundesminister für Inneres, Karl Nehammer, vorgebracht (das IEF hat berichtet). Damals wurde die Ergänzung der Eintragungsmöglichkeiten „weiblich“, „männlich“, „offen“ und „divers“, um die Eintragung „inter“ verlangt, wobei alle Eintragungsmöglichkeiten allen Personen, ungeachtet ihrer körperlichen Geschlechtsmerkmale, zur Verfügung stehen sollten. Außerdem forderten die Organisationen die Zulässigkeit des mehrmaligen Wechsels des Geschlechtseintrags aufgrund einer Selbstauskunft vor dem Standesamt.
Und nicht ganz zwei Monate ist es her, dass Mario Lindner ebenfalls einen Entschließungsantrag mit dem Titel „freier Zugang zu alternativen Geschlechtseinträgen“ eingebracht hatte, in dem er den Zugang zu Geschlechtseinträgen auf Basis von Prinzipien wie Selbstbestimmung forderte (das IEF hat berichtet).
Internationale LGBTIQ-Strategie
Gerade die Forderung nach einfacherem Zugang zum personenstandsrechtlichen Geschlechtswechsel und unterschiedlichen Eintragungsmöglichkeiten deckt sich mit Strategien internationaler LGBTIQ-Organisationen. Davon zeugt etwa ein letztes Jahr veröffentlichter Leitfaden mit Best Practices und erfolgreichen Vorgehensweisen aus einigen Europäischen Ländern zur Erleichterung einer rechtlichen Änderung des Geschlechts für unter 18-Jährige (das IEF hat berichtet). Darin wird etwa den Aktivisten geraten, der politischen Agenda der Regierung sowie den Medien einen Schritt voraus zu sein und Gesetzesvorschläge, noch bevor die Regierung einen eigenen Entwurf eingebracht hat, zu veröffentlichen. Auch sei das frühzeitige Einbeziehen von NGOs, idealerweise noch bevor der Gesetzgebungsprozess überhaupt erst begonnen hat, von Vorteil. Außerdem wird in dem Papier dafür plädiert, sich in der Debatte auf Menschenrechte zu beziehen, da die Angst der Staaten vor dem Stigma, das ihnen bei Menschenrechtsverletzungen angehängt wird, besonders groß sei.
Gefährdung von Rechten und Bedürfnissen anderer Gruppen
Spanien, das vor kurzem einen Gesetzesvorschlag über Selbstbestimmung bei Geschlechtseinträgen abgelehnt hat, konnte sich diesem internationalen Trend scheinbar widersetzen. Das geplante Gesetz hätte unter anderem die Möglichkeit der Selbstbestimmung des Geschlechts und des Eintrags „nicht-binär“ und „offen“ für alle Menschen, die sich nicht mit dem binären Geschlechtssystem identifizieren, vorgesehen. Gescheitert sei das Gesetz an der mangelnden Zustimmung der Sozialisten, der Partido Socialista Obrero Español (PSOE), die den Vorschlag zuvor unterbreitet hatten. Die Vize-Premierministerin, Carmen Calvo, die auch der PSOE angehört, soll die Entscheidung gegen den Gesetzesvorschlag damit begründet haben, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen die Rechte von Frauen und anderen Gruppen gefährden würden.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch Kathy Murray und Lucy Hunter Blackburn in einem Artikel in dem Edinburgh Law Review, in dem sie schrieben, dass es in der Thematik eine genaue Abwägung zwischen den Bedürfnissen verschiedener Gruppen brauche und dass Länder, die von den LGBTIQ-Gruppen als „Vorbilder“ bezeichnet werden, diese oft vernachlässigen würden (das IEF hat berichtet).
Steigende Zahlen und Verunsicherung bei Kindern
Hinzukommt, dass immer mehr Studien auf einen alarmierenden Zuwachs an Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsidentitätsstörungen hinweisen (das IEF hat berichtet). Während sich einige also national und international für die Rechte von LGBTIQ-Personen einsetzen, scheint die Gendertheorie immer mehr für Verunsicherung und Verwirrung bei Kindern zu sorgen, wie etwa der Fall eines 13-jährigen Mädchens in Großbritannien zeigt, das sich nach einem Mentoring in der Schule, bei dem ihr unter anderem empfohlen wurde, Videos von Masektomien (Entfernung der Brüste) anzuschauen und sich in der Jungenumkleide umzuziehen, als Transgender zu fühlen begann (das IEF hat berichtet). (AH)